Wecker an Obama

Syrien-Krise Die USA arbeiten wegen des Giftgasanschlags auf eine "Bestrafungsaktion" gegen Syrien hin. Konstantin Wecker hat Präsident Obama geschrieben, er möge in sich gehen.

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Sollte nachgewiesen werden, dass in Syrien tatsächlich Giftgas zum Einsatz gekommen ist, wäre das eine Angelegenheit für den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Die dann aufzunehmenden Ermittlungen müssten dann zu Tage fördern, wer verantwortlich für den Giftgaseinsatz ist.

Ebenso obläge schließlich dem IStGH die Ahndung dieses schrecklichen Verbrechens. Einer wie auch immer gearteten militärischen Bestrafungsaktion fehlt jede völkerrechtliche Legitimation. Schon gar nicht sollten sich die USA das Recht dazu anmaßen. Ihre eigne Vergangenheit spricht dagegen. Dennoch meint Washington offenbar noch immer sich als Weltpolizist aufspielen zu müssen. Wer kann wirklich glauben, dass es den USA bei ihren militärischen Selbstermächtigungen ausschließlich um Menschenrechte und die Verbreitung von Demokratie auf allen Kontinenten und in allen Ländern geht?

"Beweise" einer Großmacht unwürdig

Nun wollen die USA wissen, dass der syrische Diktator Assad hinter dem in Rede stehenden Giftgaseinsatz steckt. Die angeblichen Beweise dafür sind jedoch keine. Sie dürften keiner juristischen Prüfung standhalten. So jämmerlich muten sie an. Unwürdig einer Großmacht. Und überhaupt: Wer vermag US-Beweisen ohne darob wenigstens skeptisch aufzumerken noch vertrauen? Schon einmal wurde bekanntlich ein Krieg herbeigelogen.

Obamas Zauber ist längst verdampft

Es ist noch gar nicht so lange her. Selbst einem mit den Vorschusslorbeeren eines Friedensnobelpreises behangenen Barack Obama trauen Viele längst nicht mehr über den Weg. Den beinahe märchenhaft anmutenden Zauber, den zu haben man dem ersten Farbigen im Amte des US-Präsidenten im eignen Lande und weltweit - verbunden mit den besten Hoffnungen auf eine bessere Welt - dick und dicker andichtete und den zu haben, er selbst durch grandiose Reden, wie etwa der in Kairo vor Studenten gehaltenen Ansprache, genährt hatte, ist längst verdampft.

Nicht allein Obamas Schuld

Das nur Obama selbst anzukreiden wäre ungerecht. Schuld daran trägt das US-amerikanische System. Die wirklich Mächtigen hinter dem Präsidenten. Allein: Barack Obama ist nun einmal der Präsident. Und Friedensnobelpreisträger dazu. Wird Obama nun die gefährlichste aller roten Linien übertreten, auf den Knopf drücken, um eine kriegerische Bestrafungsaktion mit womöglich schlimmen Folgen für die Region und die ganze Welt auszulösen? Zu befürchten ist es.

Der deutsche Liedermacher Konstantin Wecker hat einen Brief an US-Präsident Barack Obama geschrieben. Das Schreiben enthält einen geschichtlichen Abriss hinsichtlich dem Wirken und Tun der USA. Es verweist auf das Beste und das Schlechteste. Beides, so Wecker, sei in der extrem polarisierten USA-Gesellschaft voll entwickelt. Damit trifft er den Nagel auf den Kopf.

Der Brief:

Liebe Freunde,
aus aktuellem Anlass, ein Brief an den Präsidenten der Vereinigten
Staaten von Amerika.
Die NSA kann ihn ja dem Weißen Haus vorlegen....

Sehr geehrter Herr Obama,

die USA sind eine extrem polarisierte Gesellschaft. Das Beste und das
Schlechteste im Menschen scheint hier voll entwickelt, und eine
Geschichte des Landes Amerika, die ich liebe, gibt es selbstverständlich
auch. Es ist die Geschichte von Janis Joplin und Joan Baez, die
Geschichte von Rosa Parks und Martin Luther King, Sacco und Vanzetti und
Noam Chomsky und viele, viele andere mehr. Die Amerikanische Verfassung
war mit ihrem radikalen Gleichheitsversprechen der Welt ein
demokratisches Vorbild. Und ich hätte gehofft, Sie, Barack Obama, seien
ein Teil dieser fortschrittlichen US-Geschichte und würden ihr einen
neues, stolzes Kapitel hinzufügen. Ich habe mich leider getäuscht.

Nun schreibe ich diese Zeilen als Deutscher. Und ich glaube sicher
nicht, dass dieses Land und seine Machthaber irgendwie besser wäre als
das ihre. Keine Nation der Erde hat mehr Grund als wir, sich auf alle
Zeiten aus allen Kriegen auf der Welt herauszuhalten. Aber auch die
US-Amerikaner hätten Gründe genug.
Völlig zu Recht sind Sie, Barack Obama, der Meinung, dass in Syrien mit
der Ermordung vieler Zivilisten durch Giftgas eine rote Linie
überschritten wurde. Auch wenn ich persönlich glaube, das passt nahtlos
in die endlose Reihe manipulierter Kriegsgründe - beweisen kann ich das
natürlich nicht. Unabhängig davon allerdings wäre diese Erkenntnis doch
ein guter Anlass, die jüngere Geschichte Ihres Landes daraufhin zu
untersuchen: Wann wurde die rote Linie in den Kriegseinsätzen der USA
überschritten?

Die amerikanischen Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki vom 6.
und 9. August 1945 waren der erste und bislang einzige Einsatz von
Atomwaffen in einem Krieg.

Die Atombombenexplosionen töteten insgesamt etwa 92.000 Menschen sofort.
Weitere 130.000 Menschen starben bis Jahresende an den Folgen des
Angriffs, zahlreiche weitere an Folgeschäden in den Jahren danach. Bis
heute hat keine Regierung der USA eine offizielle Entschuldigung
gegenüber den zivilen Opfern der Abwürfe und ihren Angehörigen
abgegeben.

Wurde mit dem Einsatz von Napalm im Koreakrieg und in Vietnam keine rote
Linie überschritten? Der Gebrauch von Brandwaffen gegen die
Zivilbevölkerung wurde durch Protokoll III der Konvention der Vereinten
Nationen zur Ächtung unmenschlicher Waffen im Jahre 1980 verboten.

Millionen Vietnamesen waren der Chemikalie Agent Orange ausgesetzt.
Heute weiß man, dass die Bevölkerung ein genetisches Erbe mit sich
herumträgt. Etwa 150.000 Kinder leiden noch heute unter den Spätfolgen
von Agent Orange, dessen giftiger Hauptbestandteil Dioxin ist.

Uranummantelte Munition, die zu schrecklichen Missbildungen unzähliger
Menschen im Irak führte - wurde da eine rote Linie überschritten?

Das Abschießen von Zivilisten in Afghanistan wie im Videospiel? Das
Aufdecken dieses Kriegsverbrechens durch Chelsea Manning wurde gerade
mit 35 Jahren Gefängnis belohnt.

Die Ermordung von "Staatsfeinden" durch Drohnen, nebst Kollateralschaden
an Zivilisten - keine rote Linie in Sicht?

Herr Obama, ich spreche ihrem Land die moralische Kompetenz ab,
Angriffskriege aus angeblich ethischen Gründen zu führen.

Gehen Sie in sich und arbeiten Sie die Geschichte Ihres eigenen Landes
auf.

Das würde vermutlich wirklich zum Wohle der Menschheit gereichen.

Ihr
Konstantin Wecker

P.S:
Herzlichen Glückwunsch dem britischen Unterhaus!!
***EINE HISTORISCHE NIEDERLAGE DER KRIEGSFRAKTION***
British Parliament Votes Against Syria Strike +++ The first time a Prime
Minister has lost a vote for war since 1782!!!!!

Die Kriegsmaschinerie nicht noch zusätzlich ölen

Ist diesem Brief noch etwas hinzuzufügen? Vielleicht das: Die deutsche Presse, die elektronischen Medien sollten ihn ebenfalls zur Kenntnis nehmen. Und einmal in Ruhe über den Inhalt nachdenken. Müssten sie dann nicht wenigstens zu dem Schluss kommen, schnellstens die Kriegsrhetorik aus den Zeitungzeilen und diversen Sendungen verbannen und sich fortan einer seriösen Berichterstattung zu befleißigen? Man sollte sich einfach zu schade dafür sein, die ohnehin schon tuckernde Kriegsmaschinerie noch zusätzlich zu ölen.

Und nebenbei bemerkt: Nicht nur in der Syrien-Sache ist dem Ton angebendem deutschen Journalismus ein jämmerlicher Zustand zu bescheinigen. Ihm mangelt es entscheidend an gebotener Unabhängigkeit und gehörigem Biss. Was nicht zuletzt allzu großer Nähe führender deutscher Journalisten zur herrschenden Politik geschuldet sein dürfte.

Die Heuchelei und Ignoranz des Westens

Auch der sich immer ach so demokratisch und humanistisch gesinnt gebenden Westen hätte allen Grund einmal tief in sich zu gehen. Die Heuchelei und Ignoranz des Westens ist kaum noch zu überbieten. Wohin auch das Auge blickt und schlimmste Diktaturen am Werke waren (und sind) tat man mit ihnen dicke. Lieferte und liefert ihen Waffen noch und nöcher. Und dann plötzlich kommt man mit Menschenrechten und geriert sich als Überbringer der Demokratie. Roten Kopfes sollte sich dieser Westen in Grund und Boden schämen. Meint der Westen etwa, er besäße noch irgendwo in den Krisengebieten dieser Welt besondere Glaubwürdigkeit, dann sitzt er einem gewaltigem Selbstbetrug auf. Je früher man das bemerkt, desto besser.

Es ist an den Syrern selbst

Was Syrien anbelangt, so ist es an den Syrern selbst ihren Weg zu finden. Jeder Tote den dieser Weg kostet ist entschieden einer zuviel. Eines ist sicher: eine nach Alttestamentarischem müffelnde Bestrafungsaktion, durchgeführt von einem selbsternannten Weltgendarmen USA braucht Syrien indes nicht.

Die USA selbst müssen sich ändern

Die USA selbst kranken an einem imperialistisch und auf Gier ausgerichtetem System. Diese Krankheit hat sich tief auch in vielen Politikerköpfen eingenistet. Und der militärisch-industrielle Komplex wird dafür sorgen, dass es so bleibt. Das tut den USA auf lange Sicht nicht gut. Und der Weltgemeinschaft ebenfalls nicht. Obama traut man zu nicht zu zu diesen vernebelten Hirnen zu gehören. Was aber auch nicht viel nützt, weil er ein Gefangener jenen Systems ist. Barack Obama haben wir augenscheinlich zuviel zugemutet. Die USA brauchen wohl noch einige Präsidentinnen oder Präsidenten, die in der Art Obamas denken und unweigerlich eine Bewegung von Unten, um dereinst vielleicht einmal ein normales und geachtetes Mitglied der Weltgemeinschaft werden. Und beim Denken darf es eben nicht bleiben.

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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