Wen wählen, oder der Urne fernbleiben?

Bundestagswahl Haben wir eine wirkliche Option bei der Bundestagswahl? Wir sehen uns einem Einparteiensystem mit vier Flügeln (O. Lafontaine) gegenüber. Und DIE LINKE wird ausgegrenzt.

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Die Bundestagswahl rückt tagtäglich näher. Und als wahlberechtigter Bürger und am Wohl und Wehe unseres Landes interessierter Mensch wird man wieder von der Frage "Wen wählen?" umgetrieben. Mir sind eine Reihe von Menschen persönlich bekannt, die diese Frage inzwischen völlig kalt lässt. Und es werden anscheinend mehr. Beileibe sind es nicht die Menschen, welche sich eigentlich immer schon keinen Kopf über die Politik und die Parteien machten. Das waren diejenigen, welche entweder von vornherein kein Interesse daran zeigten bzw. vorgaben ohnehin nichts von Politik zu verstehen. Ohne dabei zu verstehen, dass selbst diese Einstellung auch schon wieder politisch ist. Nein, es kommen meines Erachtens nach immer mehr desillusionierte, durchaus politisch interessierte ja bis zu einem gewissen Maß sogar sich politisch betätigende Mitmenschen hinzu. Ich bedauere das sehr, muss jedoch zugeben: Ich kann ihre Resignation verstehen. Auch wenn ich persönlich auch dieses Mal wieder wählen gehen werde, fehlt selbst mir allmählich die Kraft Desillusionierten und Resignierten ins Gewissen zu reden, um sie zum Gang an die Wahlurne zu bewegen.

"Wen", hielten sie mir ja dann schon früher immer entgegen, "bitteschön soll ich denn wählen?!" Und es dauerte meist nicht lange, bis dann noch dieses meist Kurt Tucholsky zugeschriebene, aber wohl von einem Unbekannten stammende Zitat, „Wenn Wahlen irgend etwas verändern würden, wären sie schon längst verboten“, bemüht wurde.

Wahlen können etwas ändern

Was indes so nicht ganz stimmt. Immerhin führte die Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und dessen Politik zu einem Paradigmenwechsel. In der Regierungserklärung hatte Willy Brandt am 28. Oktober 1969 versprochen: "Wir wollen mehr Demokratie wagen" und: "Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an." Das Regierungsprogramm enthielt eine Reihe von grundlegender Reformvorhaben. Die damaligen Wahlen waren wirkliche Richtungswahlen. Willy Brandt setzte Themen auf die Agenda, die die Menschen bewegten und umtrieben. Dazu empfehle ich auch eine Rede Brandts auf einem SPD-Parteitag in Dortmund 1972 zu lesen. Schriller Kontrast dazu: Wie blass ist dagegen die SPD von heute? Und was haben die "Reformen" Gerhard Schröders angerichtet?

Einparteienystem mit vier Flügeln

Aber richtig: Wir leben im Jahre 2013 und nicht 1972. Also wen wählen? Ein Richtungswahlkampf mit Themen, die die Menschen umtreiben könnte (sichere Rente, armutsfeste Löhne) ist nicht in Sicht. Der frühere SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine (heute Fraktionsvorsitzender DIE LINKE im Saarländischen Landtag) muss man wohl Recht geben. In einem bemerkenswerten Artikel schrieb Lafontaine: "Zweifellos hat die Amerikanisierung der deutschen Politik dazu geführt, dass wir heute, auch in Deutschland, ein Einparteiensystem mit vier Flügeln haben, um in dem Bild Gore Vidals zu bleiben." Und ist es nicht so? CDU, CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen stehen seit Jahren - mit im Endeffekt marginalen Abweichungen - für ein und dieselbe schlechte Politik, die zu einer enormen Spaltung unserer Gesellschaft geführt hat. Hatten viele Wähler einst - der sechzehn Jahre währenden Kohl-Ära überdrüssig - noch große Hoffnungen in eine rot-grüne Regierung, die ja dann auch unter Schröder/Fischer ans Bundesruder kam, gesetzt, wurden sie von von der herb enttäuscht.

Wen als also wählen?

Es wirklich nicht einfach. Albrecht Müller (Mitherausgeber der NachDenkSeiten, und frühere Planungschef im Bundeskanzleramt unter Willy Brandt und Helmut Schmidt) erinnerte in einem interessanten Interwiew diese Woche mit Deutschlandradio Kultur daran, dass es in der Bundesrepublik rechnerisch schon lange eine Mehrheit für eine rot-rot-grüne Koalition gibt. Doch diese Alternative eben nicht ergriffen werde. Vorallem deshalb nicht, weil Müllers Partei, die SPD, das vor jeder Wahl kategorisch ausschließt! Dadurch könnte sogar einiges bewegt werden im Lande, denn auch im Bundesrat hat Rot-Rot-Grün derzeit eine Mehrheit. Doch zu Rot-Rot-Grün im Bund wird es mit ziemlicher Sicherheit nicht kommen. Dafür dürfte uns "Mutti" Merkel weiter erhalten bleiben. Mit Schwarz-Gelb, Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot re(a)gierend. Was für Viele ein Graus sein dürfte. Aber "Mutti" finden ja auch wiederum genug Leute toll. Erklären können warum können es die meisten dieser Merkel-Menschen allerdings nicht. Schizophren!

Nichtwählen als Protest?

Wie schlimm es mit unserem Land dank herrschender Politik gekommen ist, zeigt folgende Äußerung Albrecht Müllers im Deutschlandradio: "Also, ich muss gestehen, dass ich zum ersten Mal gut verstehe, dass Leute sagen, ich gehe nicht hin. (zur Wahl; ansansörpress35) Und vielleicht wäre es auch wichtig, wirklich eine solche Protestwahl dieser Art zu machen, zu sagen, wenn ich schon nicht die Linkspartei, die aus meiner Sicht auch die einzige ist, in Teilen, leider nicht mehr ganz, die eine Alternative wird, wenn ich die schon nicht wählen kann, dann wähle ich wenigstens auch die anderen nicht. Das wäre wirklich eine Art von Protest, den man überlegen müsste. Und darüber denke ich auch noch nach."

Ja, ich vermute, immer mehr Leute denken mittlerweile darüber nach. Verübeln kann man es ihnen wirklich nicht. Es muss eine jede, ein jeder, für sich persönlich eine Entscheidung treffen. Bislang habe ich selbst noch niemanden zur Nichtwahl geraten. Aber auch die Nichtwahl ist eine Wahl. Erschreckend steigt deren Zahl an. Vergegenwärtigen wir uns einmal was das bedeutet. Von wie viel Menschen, in Prozenten ausgedrückt, sind eigentlich die derzeit Regierenden in Bund und Land wirklich gewählt?! Was bedeutet das für unsere Demokratie?

Diskussion auf SPIEGELFECHTER

Wie auf SPIEGELFECHTER heute zu lesen ist, hat ein Leser in einem Kommentar bezüglich des Interviews von Albrecht Müller in Deutschlandradio Kultur (Audio)" gebeten, auf SPIEGELFECHTER zur Diskussion aufzurufen. Fragen: "Wen kann man wählen? Warum verspielt die SPD ihre einzige echte Machtoption, indem sie Rot-Grün-Rot ausschließt?"

Eine Diskussion darüber ist angebracht. Schließlich kommen die Bundestagswahlen tagtäglich immer näher. Wen also sollen wir wählen?

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

asansörpress35

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