Wenn ich an Europa denke

Eurokrise Um Zypern ist es ruhig geworden. Eigentlich wäre es allmählich Zeit ein neues Europa zu bauen, wie es Mikis Theodorakis vorgeschlagen hat. Sonst dürfte es verloren sein.

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In der Zypern-Krise ging nicht nur das Vertrauen vieler Europäer in die Sicherheit ihrer Spareinlagen verloren ...

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Immer mehr Menschen könnten betreffs der sie Regierenden zur Ansicht kommen "Ihr Repräsentiert Uns Nicht" (iRUN); Foto: privat

Ein oft gebrauchtes Zitat aus Heinrich Heines Gedicht “Nachtgedanken” wird oft falsch interpretiert, weil die Wenigsten offenbar das ganze Gedicht kennen. Weshalb sie dem “Deutschland” darin eine andere Bedeutung zumessen als Heine das tat. Mit Verlaub möchte auch mich in gewisser Weise dieses Zitats bedienen, indem ich es das darin vorkommende “Deutschland” jedoch kurzerhand durch “Europa” ersetze. Heine, der in seiner Matratzengruft im Pariser Exil starb, möge mir verzeihen und nicht im Grabe rotieren:

Denk ich an Europa in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.

Es stinkt gewaltig

Kernig und ein Blatt vor den Mund nehmend: Die Exkremente sind längst am Dampfen. Nun liegt Zypern oben auf. Sinkt ein. Die Troika wird bald mit Austerität- und Privatisierungsforderungen in Nikosia einlangen. Die Zyprioten dürften nach dem Ingangsetzen dessen lange bis zum Hals in dem angerichteten, ihnen stinkenden, Haufen zu stecken verdammt sein. Das großartige Projekt Europa ist in Gefahr verspielt zu werden. Es stinkt nämlich gewaltig. Schon lange. Zum europäischen Himmel. Vorerst riechen es wohl nur diejenigen, die jeweils unterschiedlich tief in der übel riechenden Krisen-Pampe stecken: Griechen, Spanier, Portugiesen. Und nun sind die Zyprioten dran. Bald auch die Slowenen? Dilletanten!, so muss es allmählich auch den wohlwollendsten unter den Beobachtern der von der EU ins Werk gesetzten “Rettungs”maßnahmen in den Sinn kommen, treffen sich da ein ums andere Mal in Europas Hauptstadt Brüssel. Immer wieder heißt es nach dem x-ten Gipfeltreffen: Jetzt haben wir es im Griff.

Vertrauenszerstörung und Schmutz von Bild-Blome

Das Schlimmste was in der Zypern-Krise fabriziert wurde ist die Zerstörung des Vertrauens der Europäer bezüglich der Garantie von Spareinlangen innerhalb der EU bis 100.000 Euro. Da nützt es hinterher auch nichts zu sagen: die Zyprioten wollten es doch selber so. Wobei das gar nicht mal so sicher ist. Sie hatten, hört man, die Pistole am Kopf. Aber wie auch immer: Warum haben die EU-Finanzminister nicht gesagt, so geht es nicht? EU-weit ist den Sparern bis 100.000 Euro Einlagensicherung garantiert! Sogar als das zypriotische Parlament die Schröpfung von unter dieser Summen liegenden Spareinlagen ablehnte, erntete Nikosia nur Unverständnis und sogar Häme. Von Deutschland aus ätzte Nikolaus Blome chauvinistisch in Richtung der kleinen Mittelmeerinsel. Der Stellvertretende Chefedakteur der Bild-Zeitung beschmutzte die Abgeordneten des Parlamentes in Nikosia mit der Titulierung “Zypr-Idioten”. Na, am Deutschen Stammtisch werden die Gläser dazu geklirrt haben! In Deutschland mit unserem “Einparteiensystem mit vier Flügeln” (Oskar Lafontaine) wird man dort gelallt haben, wär’ das nicht passiert. Allenfalls die LINKE hätte dagegen gestimmt.

Dilletanten?

Dilletanten bei der Euro-Rettung am Werke? Es hat den Anschein: Pfeifen in Nadelstreifen wissen nicht was sie tun. Sie nennen “Rettung” was Gasgeben mit Kurs auf die harte Wand genannt werden müsste. Auch das europäisches Recht wird immer öfters gebeugt. Garantiert war nicht nur der freie Waren-, sondern auch der freie Kapitalverkehr in Europa. Ruckzuck ist Letzteres Makulatur. Einzig richtiger Schritt in puncto Zypern: diesmal werden auch die Vermögenden zur Kasse gebeten. Allerdings sollen schon bevor der Bankenverkehr auf Zypern gekappt wurde gewaltige Summen von dort abgezogen und woanders hin transferiert worden sein.

Angela Merkels Versprechen von den sicheren Bankeinlagen in Deutschland dürften jetzt hierzulande immer weniger Leute Glauben schenken. Denn merke: Wenn es richtig kracht, dann geht es nach der Devise rette sich wer kann. Und wer die Ersten sein werden können wir ahnen. Nichts ist dann nämlich mehr sicher. So ähnlich hat es auch Finanzminister Schäuble ausgedrückt.

Nix is fix oder die ewige Frage nach Krieg und Frieden in Europa

Und machen wir uns doch nichts vor: Auch Europas Werte gehen auf der Fahrt gegen die Wand mehr und mehr verloren. Die EU ist aus einer Wirtschaftsunion entstanden. Sie ist nie eine richtige politische und schon gar nicht eine soziale Union geworden. Aber den Frieden hat sie in der EU erhalten helfen. In ganz Europa leider nicht. Wir erinnern uns an den Jugoslawien-Krieg. Doch das Projekt EU ist im Kern ein Friedensprojekt. Wer wollte das bestreiten? Mit dem Frieden allerdings verhält es sich ähnlich wie mit der Demokratie: Er muss gelebt – vor allem: vorgelebt! – werden. Frieden leben heißt nichts anderes als Frieden erhalten. Vielleicht, weil der Krieg zu lange her ist und der Frieden als selbstverständlich gilt. Nichts ist fix, sagt man Österreich. Auch der Frieden ist nichts für immer Fixes. Gewiss: der luxemburgische Ministerpräsident und frühere Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker ist zweifelsohne ein mit allen Wassern gewaschenes politisches Schlitzohr. Wir erinnern wie er vor der Presse einst die Tricks nannte, welchen er den EU-Staats- und Regierungschefs empfahl anzuwenden: “Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.” Eigentlich eine Unverschämtheit uns Europäern gegenüber. Aber anscheinend ein Rezept mit welchen uns die EU-Oberen öfters hinter die Fichte führen. Und wir lassen es zu?! Was auch damit zutun haben mag, dass viele Menschen Europapolitik vernachlässigen, für unwichtig halten. Darum: Wollen wir Europa, müssen wir auch Europäer sein wollen und uns als solche handeln und uns entsprechend einmischen. Nicht zuletzt um des europäischen Friedens willens. Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker mag ein erfahrenes ausgekochtes politisches Schlitzohr sein, die von ihm kürzlich an Europas vom Einsturz bedrohten Himmel gemalte Gefahr ist indes nicht aus der Luft gegriffen: „Wer glaubt, dass sich die ewige Frage von Krieg und Frieden in Europa nie mehr stellt, könnte sich gewaltig irren. Die Dämonen sind nicht weg, sie schlafen nur.“

Heiner Flassbeck: „Der Elefant im Porzellanladen ist Deutschland”

Ob Junckers Warnung Eingang in regierungsamtliche Ohren in Berlin – mehr noch: dort auch Gehör fand und darüberhinaus sogar richtig verstanden worden ist? Zweifel sind angebracht. Merkel-Deutschland unterliegt ja der groben Fehleinschätzung alles richtig gemacht zu haben und alles richtig zu machen. Dabei ist Exportweltmeister Deutschland nicht ganz unschuldig an der Krise. Der Grund: Leistungsbilanzüberschüsse. Die NachDenkSeiten (NDS) erklären das mit Verweis auf Heiner Flassbeck der auf der Euro Finance Week 2012 laut Welt.de das Bild vom Elefanten gebraucht. Wörtlich: „Der Elefant im Porzellanladen ist Deutschland”, … “Solange wir den Elefanten nicht aus dem Laden rauskriegen, können wir Tassen flicken, soviel wir wollen, zum Beispiel in Griechenland.” Albrecht Müller (NDS) schrieb dazu: “Das ist ein gutes Bild. Es beschreibt anschaulich, was seit Beginn des Euro Währungsraum und speziell mit den Rettungsversuchen seit 2010 hier in Europa abläuft. Deutschland feiert seine Exportüberschüsse und versucht dann zusammen mit der Troika und anderen in immer wiederkehrenden Rettungsrunden die Porzellan-Schäden in den Defizitländern zu kitten.” Eigentlich ist es ganz einfach: Damit andere Staaten ihre Defizite abbauen können, muss Deutschland seine Überschüsse abbauen. Und in der Krise verdient Deutschland auch noch an den Krisenländern. Etwa über die an Deutschland geflossenen Zinsen im Zuge des Griechenland-Rettungspakets (eine falsche Bezeichnung, denn es werden ja die Banken gerettet). Die bittere Wahrheit kleidete Jakob Augstein für seine S.P.O.N-Kolumne in diese treffenden Worte: “Die Armen von Athen bezahlen die Reichen in Deutschland.” Deutschland profitierte von Zinsersparnissen. Allein für 2012 waren das 10 Milliarden Euro!

Schulden=schuldig?

Aber deutsche Politik und deutsche Mainstreammedien zeichnen ein anderes Bild von Deutschland. Demnach hat Deutschland keinerlei Schuld auf sich geladen. Die gern als schlamperte Südländer verhöhnten Krisenstaaten haben Schuld, weil sie Schulden haben. Nur in der deutschen Sprache impliziert das Wort Schulden: schuldig. Dabei sind vielen “Schuldenländer” erst richtig in die Schuldenfalle geraten, nachdem sie Banken hatten retten müssen. Für Deutschland tragen sie die Schuld. Basta. Und weil wie Volker Kauder (CDU) bemerkte betreffs der “Krisenlösungen” verstärkt Deutsch in Europa gesprochen werd, stehen eben Schulden auch für Schuld. Deshalb, so gewinnt man den Eindruck, werden die in die Bredouille geratenen Staaten auch wie kleine Kinder behandelt, die Unrechtes getan haben und nun bestraft gehören. Wer nicht spurt dem werden die Instrumente gezeigt. Der Deutsche Michel schluckt das in der Regel. In den Südländern tun das die Menschen nicht: Sie kochen vor Wut und kleben Angela-Merkel-Puppen Hitler-Bärte an. Dabei sie sehr wohl zwischen den Deutschen und der Regierung zu unterscheiden wissen. Hitler-Vergleiche mögen unpassend sein. Aber die Leute wissen sich in ihrer verständlichen Wut über die ihnen drohende Ausweglosigkeit und Not gegenüber dem als die Bedingungen diktierender “Zuchtmeister” wahrgenommenen Deutschland offenbar nicht anders auszudrücken, als dermaßen krass. Unter Angela Merkels von kühler Hartleibigkeit geprägter Politik im Interesse der Finanzmärkte und Wolfgang Schäubles unerbittlich über ihren Köpfen geschwungenen Knute, dürften sie sich in die Enge getrieben fühlen. Die Mehrheit der Bevölkerungen in den Euro-Krisenländern hat längst begriffen, oder ahnt es, wie nun die Zyprioten erst jetzt, dass sie schwer und vermutlich sehr sehr lange für die Misere, die andere angerichtet haben, werden darben und aufkommen müssen. Wer wollte es ihnen verdenken, wenn sie ihr Vertrauen in die EU verlören? Ebenfalls wiegt schwer, dass die Menschen in der Not den Eindruck vermittelt bekommen mit der europäischen Solidarität ist es, wenn es darauf ankommt, nicht weit her. Wenn sich in Europa Vertrauensverluste und Demütigungen einzelner EU-Mitglieder fortsetzen, dann kann irgendwann ein gefährliches Klima entstehen, wie es schon einmal in Europa bestand. Dann ist auch der Frieden in Gefahr. Was nicht gleich Krieg zur Folge haben muss. Aber Uneinigkeit, Misstrauen und Skepsis dem jeweils anderen gegenüber ist keine Boden, in welchen dauerhaft Frieden wurzeln kann. Der jahrzehntelange Aufbau dieses Europa würde womöglich hinfällig. Können wir das wollen?

Deutschlands Verantwortung

Deutschland fällt bei der Rettung des Projektes Europa eine wichtige Aufgabe zu. Nicht zuletzt mit Blick auf eine unrühmlich deutsche Geschichte unter “Adolf Nazi” (Helmut Schmidt). Nicht mit Arroganz und der Verordnung von deutscher Agenda-2010-Politik für den Rest Europas, nach dem Motto am deutschen Wesen soll die Welt genesen, sollte da länger zu Werke gegangen werden, sondern mit Augenmaß und Respekt vor den Anderen.

Deutschland unterliegt ohnehin einen schweren Irrtum. Es glaubt nämlich ohne Schaden aus der Krise zu kommen. An dieser Stelle will ich auf noch einmal eine Stophe aus Heinrich Heines “Nachtlied” bemühen:

Deutschland hat ewigen Bestand,
Es ist ein kerngesundes Land,
Mit seinen Eichen, seinen Linden,
Werd’ ich es immer wiederfinden.

Kerngesund? Haben Sie gelesen was der Sachverständigenrat von sich gab? Die Konjunkturprognose für 2013 ist auf 0,3 Prozent heruntergesetzt worden. Leute, die Rezession guckt um die Ecke! Deutschland geht es gut? Dazu passt wiederum:

Gestern noch auf stolzen Rossen, Heute durch die Brust geschossen, Morgen in das kühle Grab! Quelle: (Reiters Morgengesang)

Aufputsch- und Beruhigungspillen, die den Deutschen selbst via Politik und Medien verabreicht werden und die die Menschen dazu verleiten so seltsam unscharfe Sätze wie “Deutschland geht es gut” zu sagen, sollten endlich abgesetzt werden. Denn welches Deutschland ist da gemeint?

Europa am Scheideweg

An Ostern war Zeit für Besinnlichkeit. Zeit auch um über das an sich großartige Europäische Projekt nachzudenken. Brachte das Nachdenken etwas? Schön wär' es. Europa steht am Scheideweg. Denk ich an Europa – und zwar bei Tag und Nacht – dann bin ich um den Schlaf gebracht. Wie man allein auf Regierungsebene miteiander umgeht tut einem im Herzen weh. Vergangenes Jahr rief der weltbekannte griechische Komponist Mikis Theodorakis dazu auf zusammen ein neues Europa zu bauen. Es sollte ein Europa der Menschen und der Menschlichkeit sein. Europa, die EU, hatte bis jetzt oder hat nun erst bei manchen Menschen keine guten Karten. Dennoch: vergewissern wir uns doch endlich, einmal was uns dieses Europa bedeutet bzw. bedeuten könnte. Und machen wir uns klar, was eine Ende des Projektes Europa bedeutete. Als Europäer müsste man angesichts des bisherigen Fiaskos, in welchem sich die EU derzeit befindet, könnte man sich bezüglich des in der EU politische Verantwortung tragenden Personal fast mit der gerade aufblühenden Bewegung #iRUN (Ihr Repräsentiert Uns Nicht) identifizieren. Erst recht träfe das zu, wenn die Krise dazu benutzt werden sollte die Sozialstaatlichkeit europaweit abzubauen und Löhne zu drücken. Könnten wir doch gute Europäer werden! Man muss das allerdings auch wollen. Ehe es zuspät ist. Der einstige UNCTAD-Chefökonom Heiner Flassbeck befürchtet indessen, dass der Euro bald am Ende ist und schwerste Folgen auf uns zukommen. Er schreibt das auf seinem Portal "Flassbeck Economics". Behielte er Recht, wäre das Kind bereits unrettbar in den Brunnen gefallen. Zurückzuführen ist die unterdessen weiter schwelende Misere seiner Meinung nach nicht zuletzt auch auf deutsche Ignoranz.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

asansörpress35

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