"Westfälische Rundschau" erfährt Solidarität

Zeitungszerschlagung Redaktionsschließungen: Auch Lokalpolitiker melden sich nun empört zu Wort. Der Arnsberger Bürgermeister Hans-Josef Vogel: Schwächung lokaler und regionaler Demokratie.

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Der WAZ-Konzern legt die Axt an die Redaktionen der “Westfälischen Rundschau”. Der Protest dagegen ist groß. Redakteure und Leser kämpfen gemeinsam Hand in Hand.

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Kundgebung zum Erhalt der WR vorm Redaktionsgebäude der Zeitung in Dortmund; Foto: privat

Morgen wird es eine Woche her sein, dass Mitarbeiter, Leser und Freunde der Zeitung “Westfälische Rundschau” (WR) in Dortmund für den Erhalt des Blattes auf die Straße gingen. Wie Readers Edition berichtete, will die WAZ-Mediengruppe ingesamt 120 festen Redakteuren und etwa 180 freien Mitarbeitern kündigen. Der Konzern hat die Schließung aller WR-Redaktionen angekündigt. Der überregionale Zeitungsmantel wird weiter aus Essen kommen. Die Lokalteile sollen zugeliefert werden. In Dortmund ausgerechnet vom Konkurrenten “Ruhr Nachrichten”! Die WR also künftig als Zeitung ohne Redakteure? Bei einem Vortrag in Dortmund in dieser Woche sagte der Medienexperte Horst Röper : “Das Schließen einer kompletten Redaktion, zusammen mit dem, was den Lesern in Zukunft angeboten wird, ist ein Unikum.”

Ein Brief aus Arnsberg

Lesern und Abonnenten der WR stinkt das Vorgehen der WAZ-Mediengruppe gewaltig. Viele sollen bereits ihr Abo gekündigt haben. Andere haben es vor. Millionenverluste, heißt es, habe die Zeitung inzwischen beim Anzeigengeschäft gemacht. Wer soll auch noch Anzeigen schalten in einer Zeitung, die mit den Redaktionen auch Leser – also potentielle Adressaten der werbenden Firmen – einbüßen wird. Auch Vertreter von Kommunen im Verbreitungsgebiet der WR sind nicht nur beeunruhigt über den Verlust der jeweiligen Lokalredaktionen, sondern äußerst empört. Die Redaktion der Readers Edition erreichte eine Presseinformation der nordrhein-westfälischen Stadt Arnsberg aus dem Sauerland. In einer Stellungnahme des Bürgermeisters dieser Kommune, Hans-Josef Vogel, lesen wir: “Die Abschaffung der Lokalredaktionen der “Westfälischen Rundschau” (WR) einschließlich ihrer regionalen Berichterstattung bedeutet eine handfeste Schwächung lokaler und regionaler Demokratie, Kommunaler Selbstverwaltung und örtlicher Bürgergesellschaft mit ihren Initiativen, Vereinen und Einrichtungen.” Vogel beklagt, die WR-Lokalredaktionen würden künftig fehlen, “um über die Arbeit der Städt zu informieren, kritisch zu begleiten und zu hinterfragen”. Überdies ginge eine Möglichkeit “dem Bürgerengagement mit seiner wachsenden Bedeutung auch mit seinen Gegenentwürfen zum Bestehenden die notwendige Öffentlichkeit zu verschaffen” verloren. Die Bürgerinnen und Bürger hätten künftig nicht mehr die Möglichkeit, “zumindest unter zwei verschiedenen Zeitungen mit lokaler Information zu wählen”. Lokale Zeitungsinhalte, kritisiert Bürgermeister Vogel, seien dann “endgültig bis auf den Zeitungstitel völlig identisch”. Regionen jenseits vom WAZ-Standort Essen, so Hans-Josef Vogel weiter, würden von Wahrnehmung im Land abgekoppelt. Vogel: “Ab 1. Februar geht es nun nur noch in eine Richtung.”

Der Arnsberger Bürgermeister verweist auf die Stimmigkeit einer weitsichtigen Analyse der Monopolkommission in verschiedenen Haupt- und Sondergutachten seit über 30 Jahren: “Publizistische Meinungsvielfalt ist nur bei wirtschaftlicher Selbstständigkeit von Medienunternehmen durchsetzbar. Oder umgekehrt: Ökonomische Machtkonzentration führt – wenn auch nach längerer Zeit – zur publizistischen Machtkonzentration und zum Abbau von publizistischer Vielfalt.”

Hans-Josef Vogel befürchtet, dass lokale Demokratie künftig weniger gefördert werden wird. Und weniger Meinungen als bisher zum Ausdruck gebracht werden könnten. Er gibt zu bedenken, dass Lokaljournalismus auch die Aufgabe habe, Behördendeutsch zu übersetzen und Serviceinformationen über alle möglichen Veranstaltungen, Termine und Fristen uns Bürgerinnen und Bürgern ins Haus zu liefern. Vogels pessimistische Einschätzunng: Meinungsvielfalt bliebe wohl künftig auf der Strecke. Keine schönen Aussichten. “Also: Alles jeweils vom Gleichen.”

Der Dortmunder OB Ullrich Sierau: Nicht alle Möglichkeiten sind genutzt worden, um die radikalste aller Maßnahmen zu verhindern

Auch Vogels Dortmunder Amtskollege, Oberbürgermeister Ullrich Sierau, zeigte sich fassungslos über die Schließung über das Aus für die WR: “Ich kann nach Gesprächen mit Beteiligten nicht erkennen, dass alle Möglichkeiten genutzt worden wären, um die radikalste aller Maßnahmen zu verhindern.”

Sierau konstatiert: “Wenn die traditionsreiche Westfälische Rundschau ebenso wie die Dortmunder WAZ im Lokalen künftig mit Inhalten von Mitbewerbern gefüllt wird, werden zwei gewichtige Stimmen in der Stadt verstummen. Diese Stimmen werden uns fehlen, weil sie in der politischen und stadtgesellschaftlichen Diskussion eine große Lücke hinterlassen werden. Das Kooperationsmodell ist zudem eine grobe Missachtung der Interessen der WR- und WAZ-Abonnenten. Wie sicher für viele von ihnen gilt auch für mich: eine Zeitung ohne Redaktion ist keine Zeitung.”

Facebook-Seite “Westfälische Rundschau muss bleiben” dokumentiert Tag für Tag den Stand der Dinge

So liest man dort etwas über “Szenen einer Betriebsversammlung: Die Belegschaft war da, die Geschäftsführung leider nicht: Zur (…) Betriebsversammlung der Westfälischen Rundschau in Hagen tauchten weder Thomas Ziegler noch Christian Nienhaus auf, und auch kein Manfred Braun ward gesehen…” Und weiter: Drei Geschäftsführer lenken die WAZ-Mediengruppe, und keiner hat das Standing, sich den Menschen zu stellen, die schon bald ihren Arbeitsplatz verlieren. Ein bitterer Moment für 140 Menschen, für die betroffenen Mitarbeiter sowie für die Gäste von Gewerkschaften, Arbeitsagentur, Presseversorgung.” Einzig Personalchef Joachim Kopatzki hatte die Traute sich den Mitarbeitern zu stellen. Ein großer Moment, wird berichtet zum Schluss der Versammlung: Eine Redakteurin geht auf Kopatzki zu und überreicht „Rundschau retten“-Aufkleber mit den Worten: „Einen für Frau Grotkamp, einen für ihren Mann, einen für Herrn Braun, einen für Herrn Ziegler, einen für Herrn Nienhaus und einen für Herrn Schindler.“ Der WAZ Medienkonzern befindet sich im Mehrheitsbesitz der Essener Familie Grotkamp.

Große Solidarität

Die von Redaktionschließungen und Arbeitsplatzverlust bedrohten WR-Mitarbeiter erfahren indes viel Solidarität. Damit – zumindest nicht in dieser Größenordnung – hat man offenbar kaum gerechnet und zeigt sich gerührt. Kürzlich traf ein solidarisches Schreiben vom Betriebsrat und Belegschaft der Frankfurter Societäts-Medien GmbH (u.a. Frankfurter Neue Presse), unterzeichnet von Ursula Königstein Thomas Kurtenbach (Vorsitzende und Stellv. Vorsitzender) bei der WR ein. Die Autoren des Briefes notieren, “das kann doch alles nicht wahr sein! Da hatten wir ein paar Jahre lang gedacht, das Schurkenstück, dass sich Lambert Lensing-Wolff mit seiner Lokalredaktion in Münster erlaubt hat, sei vermutlich nicht mehr zu toppen, da belehrt uns der WAZ-Konzern eines besseren und schiebt die Höchstmarke auf der Fremdschämskala für verlegerische Unverfrorenheit in neue schwindelerregende und nie erreichte Höhen.” Über das “Schurkenstück” berichtete RE im Jahr 2007.

WR-Chefredakteur Malte Hinz im Zapp-Interview wenig glaubwürdig

In der Tat ist dieses abermalige Anlegen der WAZ-Axt an die Redaktionen der WR mit dem Zeile diese zu Zerschlagen ein Vorgang ohne Beispiel in der Bundesrepublik. Die WR, eine Zeitung, die bald ohne Redaktionen sein wird? Unglaublich! Auf “Westfälische Rundschau muss bleiben” wird diese Idiotie so deutlich gemacht: “Würden Sie auch Nutella mit Nusspli-Inhalt essen? WR-Chefredakteur Malte Hinz redet indessen über das “spannende Projekt” einer Zeitung ohne Redaktion. Die WR-Mitarbeiter sehen den früheren Vorsitzenden der Deutschen Journalistenunion und Betriebsrat kritisch. Bei dem früheren Gewerkschafter, den man in Arbeitgeberfunktion gebracht hat, fühlen sich wohl manche an den ehemaligen Transnet-Gewerkschaftsboss Norbert Hansen erinnert, der dann Arbeitsdirektor wurde und bis 31. Mai 2009 Vorstandsmitglied im Vorstand der Deutschen Bahn AG. war. Im Interview des Medienmagazins Zapp kommt der WR-Chefredakteur nicht so recht als jemand herüber, der für sein Blatt kämpft. Er als jemand, der im Auftrag des WAZ-Konzerns die Aufgabe des Abwicklers übertragen bekommen hat. Nichts in Hinz scheint vom einstigen Gewerkschafter übrig geblieben zu sein, der früher auf Tischen stehend große Reden geschwungen hat. Den Vorwurf von Mitarbeitern, dass er vom Konzern sozusagen gekauft wordensei, um die WR abzuwickeln, weist der Mann jedoch im Zapp-Interview weit von sich.

Der Kampf der WR-Mitarbeiter geht weiter – Schreiben und Berichte werden gesammelt

Wie also geht es weiter? Die WR-Mitarbeiter haben den Kampf längst nicht verloren gegeben. Im Gegenteil: sie fühlen sich durch tausende Solidaritätsadressen, Protest- und Kündigungsschreiben, die täglich bei der WR und WAZ eingehen, nur bestärkt weiter für den Erhalt von Redaktionen und Arbeitsplätzen zu kämpfen. Etliche Abo-Abbestellungen sollen die Anzeigenabteilung erreicht haben.
Der Verlag indes unterbindet weiter die Veröffentlichung dieser Schreiben. Berichte über Kundgebungen wurden im Nachhinein durch den WAZ-Konzern zensiert bzw. erst gar nicht zugelassen. Die Mitarbeiter planen diese Schreiben und Berichte “an einem Ort zu sammeln, um sie zu dann an einer anderen Stelle als der WR zu veröffentlichen”.
Da man nicht genau wisse, wo überall diese Schreiben gelandet sind und es somit schwierig sei an die bereits versendeten E-Mails, Briefe und Faxe zu kommen, haben die WR-Mitarbeiter folgende Bitte: “Es würde uns die Arbeit sehr erleichtern, wenn die Autorinnen und Autoren der Protest- und Solidaritätsschreiben zukünftige, aber auch die bereits versendeten, als Kopie an die E-Mailadresse wr-muss-bleiben@gmx.de schicken.

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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