Zeitzeuge der Auschwitz-Befreiung in Dortmund

Holocaust-Gedenktag David Dushman (92) sprach in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache vor und mit Gymnasiasten über den Zweiten Weltkrieg. Der Panzersoldat: Krieg, das ist nicht normal

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Ein Gedenktag vermag gerade durch die Gegenwart von Zeitzeugen immer einen ganz besonders starken Eindruck zu vermitteln. Insofern muss der Dortmunder Mahn- und Gedenkstätte Steinwache (Ort des früheren Gestapo-Gefängnisses) gedankt werden, dass es gelang es anlässlich des diesjährigen Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts einen Zeitzeugen einzuladen. Die Jüdische Gemeinde München hatte signalisiert, dass der nunmehr 92-Jährige David Dushman bereit sei zum Gedenktag nach Dortmund zu kommen. Dushman ist einer der letzten Zeitzeugen der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz. An diesem Dienstag, 71 Jahre danach, sprach der 92-Jährige russische Jude, seit 1996 in München lebende David Dushman in der Steinwache vor und mit Schülerinnen und Schülern des Max-Planck- und des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums über seine Erlebnisse während des Zweiten Weltkriegs.

Freiwillig zur Roten Armee

David Dushmann hatte sich nach dem Überfall des faschistischen Deutschland auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 als 17-Jähriger freiwillig zur Roten Armee gemeldet. Als Panzersoldat war er später an der Befreiung des weißrussischen Minsk sowie der größten Panzerschlacht der Weltgeschichte von Kursk und dem Kursker Bogen beteiligt. Als Angehöriger der Roten Armee gehörte er zu den Einheiten, die am 27. Januar 1945 das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz erreichten. Von den 12.000 Mann seiner Division lebten bei Kriegsende noch 69. Nach dem Krieg studierte Dushman, Kind einer jüdischen Familie, Medizin und Sport in Moskau. Während seines Studiums wurde er sowjetischer Meister im Fechten und später Fechttrainer der sowjetischen Nationalmannschaft. Er trainierte zahlreiche Weltmeister und Olympiasieger. 1996 zog David Dushman nach München, wo er bis heute lebt und noch regelmäßig trainiert.

Mit den vielen Auszeichnungen an der Brust zog David Dushman die Aufmerksamkeit auf sich

Schwer ordenbehangenen Sakkos zog der rüstige, aufrecht stehende Zweiundneunziger einstige Soldat schon vor seinem Vortrag die Aufmerksamkeit der anwesenden Jugendlichen sowie der Presse und eines TV-Teams von Sat 1, deren weibliche Mitarbeiterin galant mit einem Handkuss begrüßte, auf sich. David Dushman spricht Deutsch, hatte aber einen Freund mitgebracht, der kompliziertere Fragen auf Russisch bzw. die Antworten des Referenten auf Deutsch übersetzte. Dushman hatte rasch mitbekommen, dass einige Schülerinnen und Schüler Russisch sprechen, da sie ihn in dessen Muttersprache willkommen geheißen hatten.

Der Panzersoldat überlebte schwere Verletzungen und Panzerbrände

David Dushman stand die ganze Zeit in fast soldatischer Haltung seines über eine Stunde währenden Vortrags hinter dem Stuhl, der eigentlich als Sitzplatz für ihn vorgesehen gewesen war. Der frühere Panzersoldat berichtete von seiner von 1941 bis 1945 dauernden Mitgliedschaft in der Roten Armee und dass er in dieser Zeit dreimal verwundet worden sei. Er wies auf ein rotes Abzeichen (leichtere Verwundung) und eine gelbe Plakette (schwere Verwundung) an seinem Sakko. Dushman erlitt einen Bauchschuss, wobei er eineinhalb Meter Darm verlor, dann wurde ihm in die Brust geschossen und er verlor eine halbe Lunge. In dieser Zeit überlebte Dushman allein drei Panzerbrände. Heute leben noch drei von den 12.000 Mann seiner Panzerbrigade. David Dushman hatte viel Glück während des Krieges, der „eine schreckliche Zeit“ gewesen sei. Dushman: „Ich hoffe, dass wird nie mehr sein!“ Krieg sei für alle Menschen, egal welcher Herkunft - „für die ganze Welt“ fürchterlich gewesen. Die vielen Toten und Invaliden – für was? „Kinder haben ihre Eltern verloren. Eine europäische – eine Weltkatastrophe“, sagte Dushman rückblickend.

Nach dem Krieg wurde David Dushman Fechtmeister und führte eine seiner Schülerinnen sechzehn Mal zur Weltmeisterin

Nach dem Krieg und seinem Studium brachte David Dushman in seiner Funktion als Fechtmeister eine seiner Schülerinnen allein sechzehn Mal zur Weltmeisterin. Emil Beck aus Tauberbischofsheim war sein Schüler „und ein bisschen auch Thomas Bach“, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, erzählte der Gast. Dushman arbeitete sieben Jahre in Graz. Selbst heute arbeite er noch etwa dreimal pro Woche. Und fährt „als alter Hund“ noch immer Auto.

Die Umzäunung des Vernichtungslagers Auschwitz wurde mit den Tanks niedergerissen, Verpflegung dort gelassen

Dann berichtete der Referent von Auschwitz. Als man damals dort angekommen sei, habe man nicht gewusst, was da passierte. Seine Panzerabteilung hätte auf dem Weg nach Warschau den Befehl bekommen, nach Auschwitz zu fahren. Dort rissen sie mit ihren T-34-Tanks die Zäune des Vernichtungslagers nieder. Die faschistischen deutschen Wachmannschaften waren bereits geflohen.

Viel gesehen habe er nicht. Durch den kleinen Sehschlitz im Panzer sahen sie völlig abgemagerte Gestalten, die Häftlinge des Lagers in ihrer gestreiften Kleidung und mit ihren auf die Arme tätowierten Nummern. Essen, Konserven und Brot, ließ man dort zurück und fuhr dann weiter Richtung Deutschland. „Eine schreckliche Zeit. Ich hoffe, dass werden Sie nie mehr sehen“, sprach Dushman zu den Schülerinnen und Schülern. Und schob nach: „Viel besser, wenn wir zusammen Bier trinken.“

Krieg macht aus Menschen wilde Tiere“

Was hätten, sagte David Dushman ins Publikum, ihre Großväter ihm getan? Menschen wollten doch normalerweise Frieden. Der Dolmetscher erklärte, zunächst sei den sowjetischen Soldaten das ihnen unbekannte Auschwitz überhaupt nicht so schlimm vorgekommen, weil niemand wusste was da passierte. Sie sahen nicht die Krematorien. Nicht die Berge von Schuhen und Kleidung der zur Vernichtung durch Arbeit und Gas bestimmten Häftlinge. Unterwegs hätten sie – so meinte man - viel Schlimmeres erlebt: Berge von Toten und Blut über Blut sehen müssen. Erst nach dem Krieg sei ihnen klar geworden, was in diesem KZ getan wurde. Wie habe man die Panzerschlachten ertragen können? Es gab jeden Morgen eine Schale voll Spiritus. Dermaßen benebelt habe man drauf losfahren können. Wie sonst könne man Menschen töten? Schlimm! Ob Bäume, Tiere oder Menschen – man sei imstande gewesen, alles niederzumähen. „Krieg macht aus Menschen wilde Tiere.“

Komisches und Tragisches

Und er erzählt, wie sie einmal in Polen unter Hunger litten. Da sahen sie ein Haus und darin Licht brennen. Leute saßen beim Essen. Mit dem Panzer seien sie ganz dicht ans Haus herangerollt. Mit der sechs Meter langen Panzerkanone hätten sie das Fenster des Hauses zerstoßen und dann die Familie aufgefordert, Nahrungsmittel in die Kanone zu stecken. „Komisch und tragisch war das.“ Sie hoben die Kanonen an und nahmen das Essen drin im Tank an.

Nazitum und Antisemitismus darf nie mehr Duldung finden

Nach Dushmans Bericht konnten die Schülerinnen und Schüler Fragen an den Kriegsveteran stellen. Was sind David Dushmans Lehren aus diesem Krieg? Das Nazitum und der Antisemitismus dürfe nie mehr geduldet werden. Nach dem Krieg habe er wohl auch Hass gefühlt. Wie auch nicht, nachdem, was Deutsche seinem Volk angetan haben. Die vielen niedergebrannten, manchmal mit Menschen darin niedergebrannten Häuser und die vielen Toten – da kam schon Hass auf im und nach dem Krieg. Aber heute habe er mehr deutsche als russische Freunde. Wie kann man künftige – überhaupt Kriege verhindern? Dushman rät den jungen Leuten sich nicht von Medien bevormunden propagandistisch oder von Vorurteilen anderer Menschen negativ beeinflussen zu lassen. Kriege dürfte generell nicht sein: „Sprechen Sie mit den Menschen in anderen Ländern von Angesicht zu Angesicht!“

David Dushman: „Gott gibt Leben und nur Gott kann Leben nehmen. Krieg, das ist nicht normal. Für alle Völker, alle Menschen. Alles kann sein, aber kein Krieg!“ Die Leute wollten leben, lieben und glücklich sein. Wozu also Krieg?

David Dushman gab zu bedenken: „Gegen Russland kann niemand gewinnen“

Dann stellt Dushman betreffs seiner Heimat Russland klar und gibt zu bedenken: „Gegen Russland kann niemand gewinnen.“ Zerstören, das könne man sehr wohl - „aber gewinnen: nein!“ Dschingis Khan hätte das versucht und auch Napoleon. Sie alle seien gescheitert, wie auch später Hitlerdeutschland. „Wir bekommen das von der Muttermilch vom ersten Tag an“, weiß David Dushman: „Das ist Heimatliebe.“ Wenn Russland angegriffen würde, werde gekämpft.“ Das war auch unter Stalin nicht anders. Obwohl unter ihm zwischen 1933 bis 1933 viele Menschen verschwanden und ums Leben gebracht wurden. Dusmans private Meinung: Hätte Stalin nicht so viele hohe Militärs töten lassen – die deutsche Wehrmacht hätte nie so tief in die Sowjetunion vorrücken können.

Bei Stalin war es wie im Bus

Wie das in der Stalin-Zeit gewesen sei, möchte ein Schüler vom Referenten wissen. Das habe er selbst schmerzlich erfahren müssen, sagte Dushman. Sein Vater, der ein großer Mann in der Sowjetunion gewesen sei, ein Militärarzt im Generalsrang, war seinerzeit verhaftet gewesen. 1949 starb er im Lager Workuta. Später habe man ihn rehabilitiert. Eine Entschädigung, die man der Mutter anbot, lehnte er ab: „Man verkauft seinen Vater nicht.“

Dushman beschreibt wie die Stalin-Zeit mit einem damaligen Witz. Fragt einer jemanden, wie lebst du? Antwortet der andere: „Wie im Bus. Die einen sitzen, die anderen zittern.“

Verschiedenen Mentalitäten

Dann kam David Dushman auf die verschiedenen Mentalitäten der Deutschen und der Russen zu sprechen. Er lebe nun schon geraume Zeit in Deutschland, könne jedoch eines nicht verstehen: „Ich gehe mit einem Fräulein in Restaurant. Ich zahle. Sie zahlt selbst. Mache ich das in Russland, werden alle mit dem Finger auf mich zeigen!“ Die Mädchen und jungen Frauen im Publikum lachten. „Das ist unmöglich! Wenn ich mit einer Dame ausgehe, muss ich bezahlen. Nicht die Dame! Und zwar alles, immer!“ Wieder Heiterkeit Raum.

Wie Hass entstehe, warf Dushmans Dolmetscher ein, sehe man doch schon nach den Ereignissen der Kölner Silvesternacht. Einigen Frauen, was zu verurteilen sei, sei Schlimmes widerfahren. Und schon macht sich ein Hass auf bestimmte Gruppen in Deutschland breit. In der Nazizeit sei das alles viele Nummern größer geschehen.

Auf die Frage, was David Dushman von dem zunehmenden Rechtsruck in Europa und auch in Deutschland – die AfD liege ja inzwischen bei Umfragen um die 10 Prozent – äußerte sich der Referent vorsichtig. Er selbst habe solche Wahrnehmungen nicht gemacht. So etwas dürfe allerdings nicht geduldet werden, beschied David Dushman. Russen, Amerikaner, Deutsche, Schwarze oder gelbe Menschen – das spiele keine Rolle: „Alle sind Menschen.“ Niemandem dürfe erlaubt sein, dem anderen Böses anzutun.

Das sei eine politische Frage, ergänzte der Dolmetscher. Aber mache man so weiter, fürchte er, erreiche die AfD vielleicht bald 20 Prozent.

Großer Antisemitismus auch in der Sowjetunion

Ein weiterer Zuhörer wollte wissen wie es sich mit dem Antisemitismus in der Sowjetunion verhalten habe. Ja, den habe es gegeben. „Es war ein großer Antisemitismus.“ Und er brachte ein Beispiel dafür: Von 200 Abiturienten an der Universitätsakademie hätten nur fünf Juden sein dürfen. „Nicht mehr.“ - „Warum? Sind sie keine Menschen?“

David Dushman kennt keine Angst. Nur Schlangen kann er nicht einmal im Fernsehen ertragen

Er sei immer ein sehr starker Menschen gewesen. „Und die Leute hatten Angst vor mir.“ Wenn es sein musste, habe er zugeschlagen. Seine Kraft und sein starkes Selbstbewusstsein habe ihm immer geholfen im Leben. In seiner Schulklasse habe es einen jüdischen Knabe gegeben. Noch dazu sehr schmal und schwächlich von körperlicher Verfassung. Auf die Schwachen schlage man stets ein. Er als Starker habe den Schwachen geschützt, der sich immer an ihn gehalten habe.

Angst kenne er nicht, so bekannte David Dushman. Niemals. Eine Ausnahme: Nur Schlangen lernten ihm das Fürchten. Nicht mal im Fernsehen kann er sie ertragen. Warum auch immer. Nie hat ihn eine gebissen. Einmal sei ihm am Schwarzen Meer in Bulgarien eines dieser Reptilien begegnet: „Ich war nie wieder in Bulgarien.“

An die Jugend: Krieg darf niemals sein

An die jungen Leute gerichtet sagte er noch einmal eindringlich: „Krieg darf niemals sein. Dafür müssen Sie sorgen!“ Deshalb informiere er immer wieder über seine Geschichte und den Krieg.

„Besser Bier trinken, lieben, heiraten und Kinder bekommen.“

Aber Dushman hatte nebenbei auch Kritik an manchen jungen Leuten in Russland wie in Deutschland anzubringen. Geld spiele heute eine zu große Rolle im Leben. Er habe früher nie einen Rubel auf der Bank gehabt. „Ich wusste nicht was eine Bank ist. Ich ging mit schönen Frauen ins Restaurant. Gab alles aus.“

Es gibt keine Männer mehr

Auf ein Auto musste man Jahre warten. Schöne Kleidung war nicht zu kaufen. Ins Ausland fahren konnte man nicht. Wer heute Geld habe, könne alles kaufen. In Russland gebe es alles. Mehr als in Deutschland. Allein in Moskau könne man inzwischen mehr Mercedes-Autos oder Ferraris auf den Straßen sehen wie in München.

Wenn Dushman heute in Russland junge Frauen, achtzehn seiner Schülerinnen etwa, treffe, seien bis auf zwei unverheiratet. Warum? Es gebe keine Männer mehr. Ins Theater gingen sie nicht. Kein Interesse. „Drogen oder Alkohol.“ Auch in München, wie Dushman meinte: Keine Männer. „Keine Kinder haben die Frauen.“

Rat an die Jugendlichen: Unbedingt ein Konzentrationslager besuchen!

Und was war Davids unvergesslichstes Erlebnis? Das sei die Rehabilitation seines Vaters gewesen. Den jungen Dortmunderinnen und Dortmundern gab er auf den Weg, sie mögen unbedingt einmal ein Konzentrationslager – etwas das in Buchenwald bei Weimar – besuchen. „Wer das gesehen hat, der macht so etwa nicht.“ Allein in Auschwitz sind vielleicht mehr als eine Million Menschen ermordet worden.

Ein Späßchen zum Schluss

Zum Schluss gönnte sich der rüstige und geistig fitte David Dushman noch ein Späßchen: Er forderte ein paar junge Leute zum Zweikampf in puncto Reaktion heraus. Etwa beim Schnappen nach einen Geldschein. Bis auf einmal ging der 92-Jährige als Sieger hervor. Damit schloss der Ehrengast des Nachmittags in der Dortmunder Steinwache seinen Vortrag. Und wurde in seinem schwer ordenbehangenen Jackett noch einmal das begehrte Objekt von Fotografen sowie des Sat1-TV-Teams. Und die jungen Damen genossen offensichtlich das ihnen gegenüber galante Auftreten des russischen Kriegsveterans und eines der Befreier des KZ Auschwitz.

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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