Feindliche Übernahme

Amerikas Einbruch in Russlands südöstliche Flanke Georgien ist nur ein Beispiel für Einbußen und Rückschläge, die Moskau revidiert sehen möchte

Am 4. Januar 2004 wird in Georgien erneut gewählt. Das Votum wird nicht nur darüber Auskunft geben, wie und durch wen die Ära Schewardnadse endgültig abgeschlossen wird, sondern ob sich jene Kräfte um Interimspräsidentin Nino Burdschanadse durchsetzen können, die den USA mehr Einfluss verschaffen wollen. Für die wachsende militärische Präsenz der Amerikaner in Zentralasien, die Züge einer geopolitischen Revolution trägt, wird das nicht ohne Folgen bleiben.

Die knallharte Interessenpolitik der USA, wie sie sich mit dem Irak-Krieg zeigte, ließ den Kreml aus seinen Träumen von einer "strategischen Partnerschaft" mit Amerika aufschrecken. Derart sensibilisiert, hat sich Präsident Putin offenbar vorgenommen, Russlands Einfluss zumindest in Zentralasien und im Kaukasus zu erhalten, indem er dessen militärische Präsenz neu bewertet und die Beziehungen zur Volksrepublik China vertieft. Beides soll dazu beitragen, das US-Engagement in den früheren Sowjetrepubliken Usbekistan, Kirgistan, Kasachstan, Armenien, Aserbeidschan und Georgien einzudämmen. In dem Maße, in dem sich die Beziehungen zwischen Moskau und Washington verhärten, muss jedoch mit einer erneuten Destabilisierung der innenpolitischen Lage in diesen ohnehin Krisen geschüttelten Regionen gerechnet werden. Ohnehin trägt die US-Militärpräsenz in Zentralasien und im Kaukasus nicht zur Entspannung der Lage bei. Andrej Nikolajew, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Duma, spricht unumwunden von einem erneuten Versuch, die "Welt in Einflusssphären aufzuteilen".

Igor kommt, Sergej wartet

Erstmals seit Gründung der USA wagen sich deren Soldaten seit 2001 in Regionen vor, die seit mehr als 200 Jahren zum russischen Machtbereich gehören - sie kommen dabei nicht als Besatzer, sondern zumeist als willkommene Gäste, denn die zentralasiatischen Herrscher bieten in einem harten Standortwettbewerb den USA Basen geradezu an. Sie setzen nicht nur auf militärische Partnerschaft, sondern denken ebenso an die Stabilisierungseffekte für ihre autoritären Regimes. Das wissen die Amerikaner und stellen sich auf eine längere Präsenz auf dem ehemaligen Hinterhof Russlands ein. Im Gegenzug lässt der russische Verteidigungsminister Sergei Iwanow keinen Zweifel, dass sein Land "im Interesse der nationalen Sicherheit" gleichfalls seine Militärbasen in allen GUS-Ländern erhalten werde.

Jüngst häufen sich die Beispiele für einen Machtkampf zwischen den USA und der Russischen Föderation im postsowjetischen Raum: Es gab vermehrt antirussische Proteste in Moldawien und der Ukraine, gegen den litauischen Präsidenten Rolandas Paksas wurde ein Amtsenthebungsverfahren wegen angeblich zwielichtiger Kontakte mit Moskau begonnen, Eduard Schewardnadse musste in Georgien zurücktreten. Zwölf Jahre nach dem Zerfall der UdSSR wird deutlich, wie die russische Sicherheitspolitik unter Anpassungsdruck steht und die Entsendung von Truppen kaum mehr ein probates Mittel ist, unbotmäßige Nachbarn zur Räson zu bringen.

Zuletzt war es besonders Georgien, das der russischen Führung ihre schwindende Autorität vor Augen hielt. Die georgische Opposition hatte den Betrug bei der Parlamentswahl vom 2. November 2003 nicht akzeptiert. Nachdem am 22. November Demonstranten das Parlament besetzt hielten, trübte eine Nachricht ihre Freude: der russische Präsident habe seinen Außenminister Igor Iwanow nach Tiflis entsandt. Surab Schwania, der Vorsitzende der Vereinigten Demokraten, beruhigte die Menge: Es sei ein gutes Zeichen, "dass Putin Igor und nicht Verteidigungsminister Sergej Iwanow" schicke. Bereits eine Woche zuvor hatte die Regierung in Moskau Eduard Schewardnadse Hilfe zugesagt. "Ich glaube nicht, dass er an Militärhilfe dachte", meint der georgische Außenminister Iraklij Menagarischwili im Gespräch mit dem Freitag. Dazu bemühe sich der Kreml derzeit zu sehr darum, auf internationalem Parkett als "Friedenstifter" zu glänzen.

Nach den Wahlen war Schewardnadse damit gescheitert, die Fälschungen herunterzuspielen: Nicht ohne Grund bezeichnete das US-Außenministerium am 20. November die vermeintlichen "Unregelmäßigkeiten" in einer Regierungserklärung als "massiven Wahlbetrug": Das Ergebnis des Votums entspreche "nicht dem Willen des georgischen Volkes". Ein ungewöhnlicher Schritt, denn seit Ende 1991 finden in allen Nachfolgestaaten der UdSSR Wahlen statt, bei denen die Machthaber nicht nur in Zentralasien versuchen, ihr autoritäres Patriarchat durch fragwürdige Praktiken zu legitimieren. Zustimmungsraten von 95 Prozent sind üblich. Bisher jedoch unterblieb in der Regel Kritik aus den USA. Zuletzt tolerierte Washington das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Aserbeidschan am 15. Oktober: Dort sprach die Oppositionspartei Mussafat unter Issa Gambar von "Wahlbetrug", doch konnten anschließende Proteste von der Polizei brutal niedergehalten werden, ohne dass die US-Regierung reagiert hätte. Schließlich haben US-Ölmultis Interessen in Baku.

Tragik eines Auslaufmodells

Von daher stellt sich schon die Frage: Gab die ungewöhnlich scharfe Erklärung aus Washington am 20. November der Opposition in Tiflis grünes Licht, Schewardnadse anzugreifen? Beklagte deshalb Russlands Außenminister am 25. November, auf Georgien sei Druck von außen ausgeübt worden? Moskau zeigte sich im Nachhinein brüskiert von dieser "Einmischung in die inneren Angelegenheiten" der Kaukasusrepublik, verzichtete aber zunächst darauf, die USA namentlich zu erwähnen. Erst mit einiger Verzögerung sprach Außenminister Iwanow davon, die Amerikanern hätten sich für den Abgang Schewardnadses eingesetzt. Deren Botschaft in Tiflis sei an der Vorbereitung der "Rosen-Revolution" beteiligt gewesen.

Auch Schewardnadse gab sich später überzeugt, die Amerikaner hätten die Proteste lanciert. Namentlich nannte er nicht nur den Milliardär George Soros, sondern beschuldigte die US-Regierung direkt. So habe der frühere Außenminister James Baker im Auftrag von Präsident Bush Georgien besucht, um "dem georgischen Präsidenten Anweisungen zu erteilen". Ihn erboste besonders, dass ausgerechnet die Amerikaner seine Innenpolitik torpedierten, da er doch Georgien auf einen pro-amerikanischen Kurs geführt und gegen den ausdrücklichen Willen Moskaus Ende 2000 seine Bereitschaft erklärt habe, der NATO beizutreten. Schließlich habe er im März 2002 auch US-Truppen eingeladen. "Die Amerikaner sind unsere Freunde", verkündet Schewardnadse damals stolz, nachdem er jahrelang vergeblich für den endgültigen Abzug aller in Georgien verbliebenen russischen Kontingente gekämpft hatte.

Während des Wahlkampfes 2003 allerdings schien dieser Präsident die Zeichen der Zeit nicht recht verstanden zu haben und setzte auf eine Koalition, die für Washingtoner Ohren zu laut über "eine Verbesserung" der Beziehungen mit Moskau sprach. Einer aus dieser Allianz, der Präsident der Autonomen Republik Adscharien, Aslan Abaschidse, bekannt als Moskau ergebener Politiker, hätte 2005 gar Nachfolger von Schewardnadse werden und in der Konsequenz die US-Militärpräsenz in der Kaukasusrepublik beenden können. Damit gab sich der "Weiße Fuchs" von Tiflis aus Sicht der Amerikaner als Auslaufmodell zu erkennen. Folglich duldete Washington den Wahlbetrug diesmal nicht, sondern nahm ihn zum Anlass, eine höchst unerwünschte Entwicklung zu verhindern.

Powell attackiert den Kreml

Danach wurde die russisch-amerikanische Kontroverse über Georgien auf internationaler Ebene fortgesetzt. Während der OSZE-Konferenz der Außenminister am 2. Dezember in Maastricht kam es zu einem diplomatischen Schlagabtausch. Außenminister Colin Powell forderte Russland auf, seine Versprechungen, die es auf dem OSZE-Gipfel in Istanbul (1999) gegeben hatte, zu halten und seine Truppen aus Moldawien und Georgien abzuziehen. Sonst würden die USA und ihre Alliierten einen neuen Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa nicht ratifizieren. Nur mit einem Veto konnte die russische Delegation eine entsprechende Schlusserklärung der Tagung verhindern. Am Thema Georgien litt drei Tage später auch der NATO-Russland-Rat in Brüssel.

Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum, dass die neue provisorische Regierung in Tiflis unmittelbar nach ihrem Antritt einen Abzug aller russischen Truppen verlangte, die noch auf den Militärbasen in Batumi und Achalkalaki stationiert sind. Zwar hatten im Jahr 2000 erste Truppenteile Georgien verlassen, seitdem jedoch stockt der Abzug. Die Kosten dafür hatte Washington übernommen und Russland zehn Millionen Dollar überwiesen. Um auf Dauer nicht allein zahlen zu müssen, holten die Amerikaner schließlich die OSZE mit ins Boot, die daraufhin eigens eine Stiftung gründete, an der sich - auf Bitten der USA - auch Deutschland beteiligt.

Die Unterstützung, die Washington der neuen georgischen Regierung zukommen ließ, rief harsche Reaktionen in Moskau hervor. Präsident Putin erklärte, derjenige, "der eine solche Aktion (gemeint ist Schwardnadses Sturz - d. Red.) organisiert und ermutigt", übernehme gleichzeitig eine "große Verantwortung gegenüber dem Land". Während die Krise in Tiflis ihrem Höhepunkt zustrebte, hatte der Kreml nicht zufällig mit den Führern Abchasiens und Südossetiens konferiert, die beide vor zehn Jahren einseitig ihre Unabhängigkeit von Georgien erklärten. Nach Moskau kam auch Aslan Abaschidse, der vor seinem Abflug in die russische Kapitale mitteilen ließ, die Region Adscharien werde an der vorgezogenen Präsidentschaftswahl am 4. Januar 2004 nicht teilnehmen. Damit ist klar, die neuen Schlachten in der Kaukasusrepublik werden die alten sein: ausgelöst von den Konflikten mit Abchasien, Südossetien und Adscharien. Um ihr Unabhängigkeit gegenüber Tiflis zu halten, werden die noch mehr als bislang auf russische Hilfe drängen. Moskau dürfte so einen ungewohnten Part übernehmen - den eines Verteidigers nationaler Minderheiten -, und sich mehr denn je mit den Interessen der USA an seiner südöstlichen Flanke konfrontiert sehen.

Aschot Manutscharjan lebt als Russland- wie Zentralasien-Spezialist und Publizist in Berlin.



Zentralasien und der Anti-Terror-Bonus

Usbekistan

Das Land gilt inzwischen als wichtigster zentralasiatischer Verbündeter der USA im sogenannten Anti-Terror-Krieg, der Stützpunkt "Hanabad", auf dem US-Soldaten stationiert sind, wurde dabei zu einem logistischen Zentrum des Nachschubs für Afghanistan. Präsident Islam Karimow, der ein autoritäres Regime mit marginalen Rechten für alle Oppositionsparteien aufrechterhält, begründet seine pro-amerikanische Position mit den islamistischen Gefahren, die der weitgehend säkularisierten Gesellschaft Usbekistans drohen. Er ging zuletzt mit seiner Irak-Politik demonstrativ auf Distanz zu Moskau und unterstützte die US-Intervention. Schon 1992 hatte seine Regierung den Vertrag über Kollektive Sicherheit (VKS/Partner: Russland, Belarus, Armenien, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan) gekündigt.

Kirgistan

Die US-Air-Force konnte sich seit 2001 mit einer eigenen Basis auf dem internationalen Flughafen "Manas" einrichten, auch wurde der kirgisische Luftraum für Überflüge der amerikanischen Luftwaffe geöffnet. Der Anti-Terror-Bonus für die Regierung des Präsidenten Askar Akajew, die sich 1999/2000 einem verstärkten Einsickern muslimischer Rebellen aus dem benachbarten Tadschikistan ausgesetzt sah, bestand vor allem in einer verstärkten Wirtschaftshilfe der USA. Auch verstummte nahezu jede Kritik aus Washington an den autoritären Herrschaftspraktiken des Regimes in Bischkek. Der russische Verteidigungsminister Iwanow hatte Mitte 2003 angekündigt, sein Land werde sich in Kirgistan gleichfalls militärisch engagieren und denke an eine Präsenz von Luftwaffeneinheiten auf dem Flughafen "Kant".

Turkmenistan

Das von Präsident Saparmurat Nijasow diktatorisch regierte Land ist ein Sonderfall, bis 2001 bestanden freundschaftliche Beziehungen zu den regierenden Taleban in Kabul. Zugleich blieb Turkmenistan abgeschottet und widersetzte sich Werbungen Moskaus, dem Vertrag über Kollektive Sicherheit (VKS/s. oben) beizutreten. Im Juni 2003 hatte Nijasow den russisch-turkmenischen Doppelbürgern eine Frist gesetzt, sich zwischen der einen oder anderen Staatsbürgerschaft zu entscheiden und mit der Ausweisung russisch stämmiger Turkmenen gedroht - ein klarer Bruch mit Russland ausgehandelter Verträge. Kremlnahe Duma-Abgeordnete lancierten daraufhin das Gerücht, Nijasow sei weiterhin Waffenspediteur der Taleban und profitiere von deren Drogengeschäften.

Armenien

Ein vorsichtiger Paradigmenwechsel wurde deutlich, als Präsident Robert Kotscharjan nach dem Irak-Krieg zu erkennen gab, dass er sich trotz der Bindungen an Moskau eine Annäherung an die NATO vorstellen könne. Daraufhin wurde Mitte 2003 erstmals armenisches Territorium für NATO-Manöver zur Verfügung gestellt, an denen auch türkische Verbände teilnahmen, was bis dahin aufgrund des historisch belasteten Verhältnisses zwischen Ankara und Jerewan (Genozid an der armenischen Minderheit 1915-1918 in der Türkei) als undenkbar galt. "Wir haben nie gesagt, dass wir in die NATO wollen, wir haben aber auch nie behauptet, dass es für uns undenkbar wäre", ließ Kotscharjan erklären. Im Konflikt mit Aserbeidschan um die Enklave Nagorny Karabach war Armenien bisher von Russland unterstützt worden.

Aserbeidschan

Allein aufgrund der in Baku etablierten internationalen Öl-Konsortien befand sich das Land schon vor dem Afghanistan-Krieg 2001 auf pro-westlichem Kurs und unterstützte später ähnlich wie Usbekistan die US-Intervention im Irak. Nach dem Tod von Präsident Gaidar Alijew dürfte sich daran auch unter der Regentschaft seines Sohnes Ilham nichts ändern. Baku und Washington sind an einem schnellen Abschluss des Baus der Erdöltrasse vom Kaspischen Meer zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan interessiert, mit der Russland als Transitland ausgeschaltet werden soll. Aserbeidschan ist weder Mitglied der Vertrages über Kollektive Sicherheit (VKS) noch der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), zu der sich 2001 Russland, China, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan zusammenschlossen.

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