Die Eltern kommen

Kehrseite III Der Staub scheint nachzuwachsen, je mehr ich putze. Er legt sich auf die Schränke, legt sich auf mein Gesicht, auf den Tag und meine Freude. ...

Der Staub scheint nachzuwachsen, je mehr ich putze. Er legt sich auf die Schränke, legt sich auf mein Gesicht, auf den Tag und meine Freude.

Sie klingeln. Viel zu früh, wie immer. "Kinder, zieht euch bloß schnell um!"

Sie sind schon oben. Küsschen auf Lippenstiftmund. Küsschen auf Staubmund. "Schön, dass ihr da seid!"

"Wo sind denn die Kinder?"

Das war das Stichwort - die Kinderzimmertür wird aufgerissen, die Klinke schlägt gegen die Wand, nicht zum ersten Mal, und eine geballte Kraft rennt gegen Oma und Opa an. Mein Sohn hat das T-Shirt ganz frech umgedreht, nun sind die Flecken von der Tomatensoße auf dem Rücken.

"Ach so schöne Blumen! Das wäre doch aber nicht nötig gewesen. Kaffee läuft schon. Kommt doch rein!" Ich habe einen Fertigtortenboden mit Früchten belegt.

"Hast du dir wieder soviel Arbeit gemacht", sagt Mutter.

"Hast du keine Sahne!" sagt Vater.

"Dürfen wir runter?" fragen die Kinder.

Schnell werden Überraschungseier verteilt.

Ich seufze, denn Mutter hatte die Flecken nicht bemerkt.

"Was macht die Arbeit?" fragt Vater.

"Zahlt er pünktlich?" fragt Mutter.

"Wollt ihr noch Kaffee?" frage ich.

Mutter möchte nicht mehr. Sie hat es neuerdings mit dem Magen. Und ist schon mit dem Geschirr in der Küche. "Wo hast du denn eine Schürze?" fragt sie, obwohl sie weiß, dass ich noch nie eine besaß. Ich schiebe sie in die Stube zurück.

Später, als sie auf der Toilette ist, drückt Vater mir einen Fünfziger in die Hand. "Kannst du doch sicher brauchen."

Ich aber begleite in Gedanken meine Mutter ins Bad, welches ich den halben Tag lang geschrubbt hatte - sie konnte unmöglich etwas finden.

Mutter kommt. "Kind, du solltest dir unbedingt dieses neue Mittel besorgen, ach wie hieß das das doch nur, das musst du doch aus der Werbung kennen, damit kannst du wunderbar diesen Stein aus der Toilette entfernen!"

Mein Gesicht nimmt die Farbe des Toilettensteines an.

Wir reden dann noch ein bisschen. Über Steine und Magenschmerzen, über Alimente und die intakte Familie meiner Schwester und wie sich deren Kinder so machen.

Ich beobachte Staubkörnchen. Wie sie fliegen und rötlich schimmern, wenn ein Sonnenstrahl sie trifft. Wie sie ihren Platz finden. Und wo ist meiner?

Vater wird unruhig. "Wir sollten langsam gehen." Es ist ihre Zeit.

"Schön, dass wir mal wieder zusammen waren", sagt Mutter.

"Schade, dass die Kinder unten sind", sagt Vater.

"Kommt gut nach Hause", sage ich.

Ich rufe die Kinder. Vom Fenster aus sehe ich, wie die vier sich voneinander verabschieden und fühle mich dabei wie ein Zuschauer im Theater.

Mir ist kalt. Ich möchte noch etwas sagen. Doch als ich die Worte gefunden habe, sind meine Eltern nur noch zwei winzige Punkte am Ende der Straße.

Astrid Reimann wurde 1961 geboren, sie ist Berlinerin und hat zwei Söhne. Ihre Texte sind in zahlreichen Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht.


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