Es gibt sehr unsympathische Tiere. Dieser aufgeplusterte Hahn liegt ganz vorn in der Rangfolge. Wenn ich zu meinem Auto will, muss ich an ihm vorbei. Bei unserem Kräftemessen, wer muss wem ausweichen, hat er nachgegeben, und nun regt er sich von Weitem über mich auf und pöbelt herum. Angela Adaşanu, 48 Jahre alt und meine Vermieterin, hat das auch mit ihm ausgefochten. Der beißt den Leuten in die Beine, macht Angela pantomimisch vor, aber er beschützt die Hühner vor Füchsen und vor Raubvögeln. So wie ihre zwei Kettenhunde gut gegen Einbrecher sind und die Katzen Mäuse jagen. Sollten sie jedenfalls, aber eigentlich versuchen sie den ganzen Tag, ins Haus zu kommen, um auf den Betten ihre Flöhe zu verteilen.
Angela Adaşanu hat hier in Oneşti, im Nordwesten Moldawiens, ein riesiges Grundstück mit alten Bäumen, sehr ruhig und am Dorfrand gelegen, mit einem Gemüsegarten und zwei Häusern. Das größere bewohnt sie mit ihrem Mann, wenn er mal zu Hause ist. Das andere Haus liegt noch im Dornröschenschlaf.
Mamaliga, Essen für die Seele
Angela vermietet mir für einige Tage ihr Wohnzimmersofa. Abends bekomme ich einen typisch moldawischen Empfang mit selbst gebranntem Obstschnaps und Mamaliga. Dieser goldgelbe Hirsebrei ist das Essen für die Seele, vergleichbar dem deutschen Kartoffelbrei, der mit ganz viel Butter zubereitet wird. Wir sitzen am kleinen Küchentisch mit Blick auf den Weingarten der Nachbarin und genießen. Hinter uns steht ein riesiger Kachelofen, der mehrere Zimmer heizen kann und an der Rückseite ein großes, gemütliches Schlafpodest hat. Angelas Telefon macht in einem immer schnelleren Tempo „Pling“. Das ist ihr Kontakt zur Welt und ihre Methode gegen Einsamkeit, um mit ihrer Mutter, ihrem Sohn, ihrem Mann und drei Freundinnen Kontakt zu halten, die teilweise im Ausland leben.
Angelas Stimme klingt am Telefon oft besorgt. Später erzählt sie, dieser Eindruck sei richtig, das stimme. Ihr Mann war in Moldawien Schulbusfahrer, jetzt baut er in Frankreich Häuser, eigentlich gut bezahlt und eine sichere Sache, aber im Augenblick wird – eine Folge der Pandemie – das Baumaterial nicht geliefert, und wer nicht arbeitet, bekommt kein Geld.
Bis vor zwei Jahren lebten Angela Adaşanu und ihr Mann im Haus ihrer Schwiegereltern. Ihr Sohn kam dort zur Welt, wurde groß und zog aus. Angela arbeitet als Lehrerin. Sie sagt: „Heute verdiene ich 8.000 moldawische Leu (knapp 400 Euro – A.T.) im Monat, vor einigen Jahren waren es nur 5.000 (knapp 250 Euro), davon kann man kein Haus kaufen.“ Das wusste auch der Schulleiter, ließ sich überzeugen und gab ihr vier Monate frei.
Land dazwischen
West-Ostwärts Im Jahr 2014 endgültig ausgehandelt, ist mit dem 1. Juli 2016 ein Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Moldawien in Kraft getreten. Der postsowjetische Staat war bereits zuvor – wie etwa Georgien oder die Ukraine – Teil der „Östlichen Partnerschaft“, die nach dem Willen der momentanen liberal-konservativen Regierung unter Präsidentin Maia Sandu Vorstufe zu einem EU-Beitritt sein soll. Seit 2017 gibt es für Moldawien zugleich einen Beobachterstatus in der von Russland geführten Eurasischen Wirtschaftsunion. Bis auf Weiteres ist das Land zudem auf einen russischen Energietransfer (vor allem Erdgas) angewiesen. Das Lavieren zwischen Moskau und Brüssel wird zudem durch die moldawische Region Transnistrien beeinflusst, die sich 1992 nach dem Zerfall der Sowjetunion für unabhängig erklärt hat und seither unter dem Schutz Moskaus steht.
Das Ehepaar fuhr 2019 nach Deutschland und arbeitete in einer Geflügelschlachterei in Nordrhein-Westfalen. Diesen Job hatte ihnen ein Freund vermittelt. Bei Temperaturen von vier Grad verpackten sie Hühnerbrüste. Pro Schicht zehn bis zwölf Stunden, dazu einen Tag die Woche frei. „So ein schönes Land, so schön und sauber, wir hatten es gut“, wiederholt sie immer wieder, während sie von jener Zeit erzählt. „Die Kälte war sehr hart, aber das hat sich gelohnt.“ Pro Person gaben sie 500 Euro im Monat für ihr Zimmer und Essen aus. Den Rest des Monatslohns sparten sie. Zurück in Moldawien kauften sie sich im Nachbarort für umgerechnet 5.000 Euro ein Grundstück mit zwei stark renovierungsbedürftigen Häusern. Nach einem Jahr Arbeit – „Tag und Nacht“, meint Angela – war ein Haus wieder bewohnbar, und sie zogen bei den Eltern aus.
Angela hat – wie die meisten Moldawier – keine Lust, bemitleidet zu werden, trotzdem soll ich unbedingt die Kehrseite der Medaille und andere Moldawier kennenlernen. Am nächsten Morgen fragt sie, ob ich den deutschen Lohn in der Schlachterei angemessen finde. Nein, ich finde ihn zu niedrig, und nun stehe ich plötzlich auf der anderen Seite der unsichtbaren Grenze, da wo man es nicht nötig hat, bei vier Grad Hühnerbrüste zu verpacken.
Weggehen? – „Nein, wieso?“
Angela aktiviert ihr moldawisches Netzwerk und hilft mir, einen Landwirt zu finden, den ich interviewen kann. Catalin Berliba ist 22 Jahre alt und studiert seit drei Jahren Veterinärmedizin. Er will in Oneşti bleiben, einen Betrieb aufbauen, investieren und Geld verdienen. Ausland? „Nein, wieso?“ Er steht mit seiner Mutter Viorica Berliba in einem Tal am Dorfrand und wartet auf seine neun Kühe, die größte Herde am Ort. Diese Stunde am Abend ist der Treffpunkt der Viehzüchter, und sie warten mit erstaunlichem Gleichmut. Einige unterhalten sich, machen Scherze, andere stehen schweigend in kleinen Gruppen. Hier in Oneşti gibt es noch 60 Rinder, die jeden Morgen von zwei Hirten und Hütehunden auf die Gemeindeweide getrieben werden. Nach einer halbe Stunde des Wartens tauchen einzelne Milchkühe auf. Die Besitzer gehen auf ihre Tiere zu. Einige Kühe laufen zügig, andere haben keine Lust auf die Routine und werden mit einem gezielten Schlag auf das Hinterteil in die richtige Spur gebracht. Die Herde dünnt sich immer mehr aus und zum Schluss kommen die zwei Hirten. Ihre Augen sind müde, und sie gehen mit langen, langsamen Schritten. Jetzt haben nur noch die Hunde ein lockeres Tempo.
Mutter und Sohn hindern ihre Kühe daran, gleichzeitig in den Stall zu drängeln. Es folgt die übliche Melkroutine: Anbinden, Euter säubern, Vormelken, Melken. Besonders ist nur, dass einige Kühe mit der Hand gemolken werden. Warum? „Die schlagen um sich, wenn wir mit dem Melkgeschirr kommen, das haben wir erst vor zwei Jahren angeschafft“, sagt Colin und melkt gelassen und gleichmäßig, im ähnlichen Tempo wie die automatische Melkanlage, die Viorica Berliba im Einsatz hat. Da ist echter Stolz, als Catalin die schäumende Milch in den blauen Sammelbehälter füllt und für ein Foto noch etwas stillhält.
Später nehmen sich Mutter und Sohn Zeit für ein Interview. Viorica Berliba ist 42 Jahre alt und gelernte Zootechnikerin. Sie ist wie ihr Sohn jeden Tag im Stall und hat eine zurückhaltend-liebevolle Art, ihn in den Vordergrund zu holen. Was war der Grund für den Stallbau vor drei Jahren? „Wir sind in Moldawien“, sagt der mit Nachdruck, „da muss man selbst etwas tun.“ Und Milch wird hier gebraucht! Vor gut zehn Jahren gründete im Nachbardorf ein russisches Unternehmerpaar mit viel Engagement und guten Ideen eine Molkerei. Sie entwickelten eine eigene Käsesorte, gewannen Preise und hatten Abnehmer für ihre Produkte. Die Firma ist heute nicht mehr da, sie hatten einfach nicht genug Milch.
Der Landwirt Catalin Berliba fing mit zwei Kühen an, er kaufte nach und nach weitere dazu. Die älteste Kuh auf dem Hof ist neun Jahre alt. Damit arbeitet er gegen den Trend, die Kühe abzuschaffen, weil der Milchpreis zu niedrig ist. Reichen die Einnahmen? „Natürlich nicht“, ist seine Antwort. Er wird möglichst schnell eine zehnte Kuh anschaffen und erfüllt damit die Bedingung, Milch selbst bei der Molkerei anzuliefern. Die stellt dann einen fahrbaren Milchtank zur Verfügung und zahlt einen höheren Preis.
Und, wie sieht es mit der staatlichen Unterstützung dafür aus? „Zero, nichts“, ist die Antwort. Aus dem Versprechen der Regierung, den Kauf von Kühen mit 7.000 MDL, umgerechnet gut 350 Euro pro Tier zu subventionieren, wurde nichts. Die offizielle Liste der Unterstützungsmöglichkeiten für moldawische Landwirte ist umfangreich. Programme für Junglandwirte, Frauenförderung, Anschaffung neuer Technik. Doch in Catalins Betrieb kam bisher nichts an, jede Investition wurde selbst finanziert. Wie? „Wir hatten das Geld“, ist die Antwort. Catalin Berliba schließt sein Studium demnächst ab, dann kann er richtig loslegen. Wo sieht er sich in fünf Jahren? „Dann habe ich an einem anderen Standort einen neuen Stall gebaut und mehr Kühe“, sagt er, lächelt siegessicher und schickt noch ein „Und ich werde es genießen!“ hinterher.
An meinem letzten Tag in Oneşti ist die Luft kühl, es regnet und Sturm zerzaust die alten Bäume um Angelas Haus. Meine Vermieterin hat gute Laune. Sie wird am nächsten Tag mit ihrem Neffen in seinem Auto nach Frankreich fahren, zusammen mit ihrer Freundin, die auch aus diesem Dorf stammt, und ihren Mann besuchen. Und außerdem nach Paris. „Paris!“, sagt sie mit Ausrufezeichen und freut sich. Draußen liegt der alte Pflaumenbaum am Boden, ein großer Ast ist auf das zweite Haus gestürzt, hat das Dach beschädigt und die Dachrinne abgerissen. Die Maispflanzen, die für das Hühnerfutter sorgen sollen, haben Schlagseite und liegen fast auf der schwarzen Erde. Der Mann in Frankreich bekommt Fotos.
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