Bittere Tränen für die Sonntagszeitung

FAS zu Blockupy Die Zeitungen bersten vor Berichten über die Frankfurter Blockupy Demonstration am 18. März; Blockupy/#18M 2015.

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https://lh3.googleusercontent.com/-c81eCIbr8so/VQ9LD5p2C4I/AAAAAAAABBg/ykaug518Bro/w890-h501-no/cf3661fa-3e6c-4c1e-a3ac-0a79a3900e43 Foto: Mir wird schlecht beim Frühstück, Selbst.

Nur wenig von all dem Geschriebenen entspricht den tatsächlichen Ereignissen. Es gibt zum Teil einseitige Berichterstattung, siehe FAZ und die BILD, in anderen Artikeln fehlen wichtige Details. Und dann gibt es populistische und schlecht recherchierte Artikel – mehr oder weniger pure Fiktion –, wie der von Helmut Schwan heute im Lokalteil der Sonntagszeitung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAS).

Die Fakten hätte man wissen können, hätte man Pressemeldungen der Beteiligten gelesen. Oder sich, wenn auch nur in Auszügen, über eine möglichst breite Spanne von Presseorganen zu informieren gewusst. Warum wird Fiktion dennoch gedruckt? Wem nützen offensichtliche Falschmeldungen?
Diese Fragen drängten sich mir in den letzten Tagen verstärkt auf. Es ging wahrscheinlich den meisten so, die bei Blockupy mit demonstriert hatten.

Die FAS greife ich jetzt exemplarisch heraus, da diese einerseits direkt vor Ort ist, und so, mit wenig Aufwand leicht in der Lage wäre, den Tatsachen gemäße Berichterstattung abzuliefern. Desweiteren, weil es in der Sonntagszeitung vom 22. März 2015 gleich zwei wirklich ernüchternde Artikel gibt: Den Aufmacherartikel von Helmut Schwan »Vom Protest zum Exzess« im Lokalteil, ebenso wie auf Seite 48, unter der Rubrik »Leben«, das Protokoll eines Frankfurter Polizeibeamten vom Einsatz vor Ort, »Man hält seinen Kopf für dieses System hin«, aufgezeichnet von Julia Schaaf.

Beide Artikel zusammen halte ich inhaltlich ebenso wie formal für einen absoluten Tiefpunkt journalistischer Berichterstattung. Beispiele eines nachlässigen Umgangs mit Informationen, die – eventuell sogar wissentlich – falsch sind. Hier werden Grenzen überschritten und wir betreten zuvor ungeahnte Gefilde. Hier geht mangende journalistische Sorgfaltspflicht regelrecht schon über in absichtlichen Missbrauch. Denn, wie in Helmut Schwans Artikel werden dem Leser fiktive Szenarien als Realität vorgegaukelt, während die Falschmeldungen mit emotional suggestiven Worten und Metaphern populistisch maximal wirksam aufgeladen werden. Schlimmste Propaganda also, besonders gemessen an den eigentlichen Maßstäben einer Freien Presse. Um so gravierender, dies bei einer der renomierteren, ernstzunehmenderen Zeitungen wie der FAZ zu finden.

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Zum Aufmacherartikel von Helmut Schwan »Vom Protest zum Exzess« im Lokalteil der Sonntagszeitung ( R1, 22. März 2015). Schon im Vorspann des Artikels wird klar wohin die Reise geht: Gewalt. »Von der Bewegung Occupy, die eine gerechtere Welt herbeidiskutieren wollte, zum Sammelbecken für Gewalttäter ...«. Es werden emotional aufgeladene Begriffe eingestreut, »Kapitalismushasser«; es wird von »Polizeiwagen am Wegesrand«, die »wie ein Geschenk erschienen« gesprochen. Von »kalkulierter, ferngesteuerter Gewalt gegen Symbole, die schon bald umschlägt in blinde, rücksichtslose Zerstörungswut«; vom »Gewaltrausch der Vermummten«, der »selbst vor Feuerwehrleuten nicht halt machte«.

Der Artikel gipfelt dann süffisant in einer eindeutigen Falschaussage:

»Und sogar eine Einrichtung des Kolpinghauses, wo traumatisierte Flüchtlingskinder leben, wird angegriffen, eine Betreuerin bedroht. Mal so en passant, weil das gerade auf der Route der Randale lag. Sorry sagten sie später, das haben wir nicht so gewollt.«

Schon in der Blockupy Presseerklärung vom 21.3. wurde öffentlich erklärt, dass kein Angriff stattgefunden habe und die Flüchtlingsunterkunft nicht beschädigt wurde. Man hätte es also wissen können.

Hier beispielsweise Christian Jakob in der taz dazu:

»Doch gegen diese Gebäude flog am Mittwoch kein Stein, alle Scheiben blieben ganz. […] „Die Unterkunft ist nicht beschädigt worden“, sagte auch ein Mitarbeiter der Wohneinrichtung am Samstag der taz. Dass die Flüchtlinge am Mittwochvormittag im Haus bleiben sollten, habe daran gelegen, dass die Polizei Wasserwerfer postiert hatte. Andere Beschäftigte, die nicht zitiert werden wollten, nannten die Vorwürfe gegen Blockupy „völliger Quatsch“. Die Forderung nach einer Entschuldigng habe der Bundesverband in Köln aufgestellt. Der reagierte am Samstag nicht auf Anfrage.« (taz, 21.3.2015)

Weiter schreibt Helmut Schwan in seinem Artikel

»Sie melden mehr als 100 verletzte Polizisten. 80 von ihnen sind Opfer einer Attacke mit einer ätzenden Substanz, von der man bis heute nicht weiß, wie gefährlich sie ist.«

Auch dies ist falsch. Man weiß es. Es handelt sich bei der Substanz um Tränengas aus HK69 Granatwerfern, die nicht zur Notwehr eingesetzt wurden, wie beispielsweise dieses, nur eines der vielen im Internet verfügbaren Videos belegt; ab 2:46''min.


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Im zweiten Text »Man hält seinen Kopf für dieses System hin«, dem Protokoll eines Polizisten aufgezeichnet von Julia Schaaf, nimmt der Leser Anteil an den Sorgen und Nöten eines sich im Einsatz bei Blockupy befindenden, jungen Familienvaters.

»Meine Frau ist schwanger. Natürlich ist man in so einer Situation emotional. Ich versuche immer, das abzuschotten. Aber man spürt schon so eine Mischung aus Wut, Angst, Entsetzen und Fassungslosigkeit. Weil man sieht, wie brachial gegen Menschen vorgegangen wird.« […] »Wenn die Chaoten nur ein, zwei Minütchen eher am Revier gewesen wären, hätte vielleicht noch einer unserer Kollegen die Brennflüssigkeit abbekommen.«

Der Leser erfährt »Wir haben Schulungen gemacht und gelernt, wie man eine Polizeikette bildet ...«, oder auch von den ganz alltäglichen Ängsten eines Polizeibeamten beim Einsatz von Blockupy

»Ich habe mir den ganzen Tag über nichts anderes gewünscht, als meine Frau und mein Baby noch mal zu sehen. […] Wenn man dann merkt, da ist eine Wand der Gewalt, gegen die kommen wir kaum an – das ist schon surreal.«

Surreal. Absolut. Einfach zu gut um wahr zu sein. Was für ein traumhafter, journalistischer Coup. Jedenfalls ist es doch schön, es mit einem derart wortgewandten Polizisten zu tun zu haben.



Zusammenfassend. Wenn ich diese Berichte lese, dann wird deutlich, es hat in den Jahren seit der Finanzkrise medial eine Zäsur stattgefunden: Wir haben uns still und leise von der liberalen, kritischen Bürgergesellschaft verabschiedet. Wir sind auf dem Weg in eine angepasste, freiwillig regulierte Medienlandschaft, der Vorbote totalitärer Systeme. In dem Medien sich zu Durchlauferhitzern einseitiger Presseberichterstattung wandeln. Als Erweiterung etablierter Kräfte Tatsachen verzerrend, Berichte so lange parteiisch, emotional und einseitig präsentierend, bis sie politisch opportun sind. Die FAS verabschiedet sich mit dieser Art der Berichterstattung von ihrer gesellschaftlichen, aufklärerischen Aufgabe.

In einer Situation, in der es einen begründeten Vertrauensverlust in Instutionen und Politik seitens der Bevölkerung gibt, ist dies ein herber Verlust. Denn gerade den Zeitungen käme jetzt die Aufgabe zu, über die Geschehnisse ungefärbt, unvoreingenommen, ohne Filter im Kopf zu berichten.

Eine Chance vertan.

Und doch, auch eine Chance für uns Blogger.

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Geschrieben von

silvio spottiswoode

»Ohne Griechenland kann man Europa umbenennen, etwa in Horst.« (Nils Minkmar)

silvio spottiswoode

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