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Brüssel Wie sollten ausgerechnet Personen die Finanzkrise lösen, die sie selbst herbeigeführt haben? Plädoyer für eine europäische Öffentlichkeit

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EZB Baustelle, Frankfurt am Main
EZB Baustelle, Frankfurt am Main

Foto: DANIEL ROLAND/ AFP/ Getty Images

Die historischen Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank werden gerade heiß debattiert. Inwiefern sie wirksam die Kernschmelze des Bankenwesens aufzuhalten vermögen ist aber noch offen. Klar ist: Gewinne werden weiterhin privatisiert, Verluste hingegen verstaatlicht. Eine schleichende Umverteilung der Sparguthaben in einer Größenordnung von ca. 13 Milliarden Euro findet statt und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Zeche zahlen Steuerzahler, Sparer, das Gemeinwesen. Die Verursacher, die Krisengewinnler hingegen wehren sich nach wie vor erfolgreich gegen maßgebliche Beteiligung an den Schulden und eine dringend erforderliche, umfassende Finanzmarktregulierung.


Wo bleibt der Aufscherei der Bürger? Wie konnte es soweit kommen? Warum lassen wir das mit uns machen?

Seit Ausbruch der Finanzkrise hat mich ein widersprüchliches Phänomen immer wieder schrankenlos fasziniert; ja, ist für mich sogar emblematisch für den politischen Umgang mit der Finanzkrise geworden: Die Verursacher haben selbst dann noch ein Mitspracherecht, wenn es um die Entwicklung von Lösungen zu den eigens von ihnen verschuldeten Problemen geht. Wo sonst ist soetwas möglich? Im Fußball wäre das gesamte Team plus Trainer inzwischen einfach ausgetauscht worden.

01 // Böcke werden zu Gärtnern gemacht. Poachers in the woods. Systematisch und immer wieder. Wie ist das möglich? Warum tun wir das?

Gesetzentwürfe werden von Expertengremien entwickelt. Die Zusammensetzung dieser Expertengremien ist intransparent. Sie bestehen in der Regel aus einigen wenigen handpicked Experts, die vom EU-Kommissar persönlich eingesetzt werden.

02 // Dies funktioniert dann so. Ein Beispiel: Im Herbst 2008, kurz nach Ausbruch der Bankenkrise, berief der EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso eine als unabhängig gehandelte Expertenkommission aus hochrangigen Finanzexperten zur Aufsicht der Finanzmärkte ein. Ihre erklärte Aufgabe war die Entwicklung neuer Regularien, um einen Weg aus der Finanzkrise zu finden.

Die Namen klangen gut. Jacques de Larosière, Leszek Balcerowicz, Otmar Issing, Rainer Masera, Callum Mc Carthy, Lars Nyberg, José Pérez, Onno Ruding; allesamt ausgewiesene Profis ihres Fachs. Doch bei genauerer Betrachtung entpuppte sich diese Gruppe keineswegs als unabhängiges Expertengremium. Mit Jacques de Larosière wurde ausgerechnet ein leitendes Mitglied der Agence France Trésor, der größten französischen Finanzlobby, zum Vorsitzenden berufen. Zudem standen drei der unabhängigen Experten in direktem Kontakt mit Lehman Brothers und der Citigroup, also ausgerechnet den Banken, die die Finanzkrise maßgeblich mit ausgelöst hatten. Darüber hinaus wurde – ironischerweise – mit Ottmar Issing ein deutscher Finanzexperte berufen, der in Finanzkreisen als ausgewiesener Regulierungsgegner gehandelt wird.

Fazit: In der einseitigen Zusammensetzung dieser Gruppe fehlten komplett die Personen, die kritische Positionen vertraten. Mit dem Ergebnis, dass bis heute keinerlei systematische Aufarbeitung der Finanzkrise und ihrer politischen und unternehmerischen Verantwortlichkeiten stattgefunden hat. Wenig überraschend also, dass nichts wirklich passiert ist, die dringend notwendige Wende in der Finanzpolitik ausbleibt und alles genauso weiter läuft, wie bisher.

03 // Was hätte man anders machen können? Wie können Bürger verhindern, dass neoliberale Konzepte in Brüssel die Politik bestimmen?

Wichtig wäre vor allem mehr Transparenz. Die breite Öffentlichkeit weiß oft gar nicht, was entschieden wird. Bis es zu spät ist. Die Bürger werden vor vollendete Tatsachen gestellt. Selbst wenn wir Fakten kennen fehlen uns in der Regel die Hintergründe, um die Dinge auch richtig – unseren Interessen gemäß – einzuordnen.

i) Hier können zum einen die Medien helfen. Aber selbst ihnen fehlen oft entscheidende Informationen. Verbessern ließe sich dies durch mehr europaweiten Informationsaustausch. Deshalb sollten sich Journalisten und Blogger auch auf europäischer Ebene vernetzen. Die Möglichkeit mit Bloggern länderübergreifend zu recherchieren und Geschichten zu entwickeln beispielsweise wäre ein Weg, um hier dem Informationsdefizit entgegen zu wirken. Hin zu mehr Öffentlichkeit und Transparenz.

ii) Ebenso wie die Einrichtung einer übersichtlichen, einfach gestalteten EU-Webseite. Eine Webseite, die die Aktivitäten aller in Brüssel tätigen Organisationen und Verbände dokumentiert, alle Gesetzesentwürfe samt ihren Zielen und Hintergründen einzeln aufführt. Für alle Bürger der EU jederzeit einsehbar.

Ein großartiger Dokumentarfilm zum Thema The Brussels Business.

Ultich Müller Einseitige Expertengruppen zur Finanzkrise, Lobbycontrol. https://www.lobbycontrol.de/2009/02/einseitige-expertengruppen-zur-finanzkrise/

Olivier Hoedemans Corporate Europe Observatory (CEO) ist eine Non-profit Research & Campaign Gruppe, die Lobbystrukturen hinter EU-Gesetzgebung offenlegen will.

Poachers in the Woods http://corporateeurope.org/coverage/poachers-woods

Tolle Grafiken und Hintergründe :: FINANCE WATCH CAMPAIGN "CHANGE FINANCE! http://www.finance-watch.org/campaign-pages/pdf/Status%20quo%20lifecycle.pd

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Geschrieben von

silvio spottiswoode

»Ohne Griechenland kann man Europa umbenennen, etwa in Horst.« (Nils Minkmar)

silvio spottiswoode

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