Stadt der träumenden Bücher

Das Buch Frankfurt im Ausnahmezustand: "While you were sleeping – He moemoēa he ohorere" ist das Motto Neuseelands, des diesjährigen Gastlandes der 64. Frankfurter Buchmesse

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Mit ca. 300.000 Besuchern und 7.500 Ausstellern stand bei dem international grössten Treffen der Buchbranche auf der Frankfurter Buchmesse auch 2012 wieder der digitale Umbruch des Mediums im Vordergrund. In einer Flut von Vorträgen, Gesprächen, Seminaren und Lesungen wurde versucht den Stand der Dinge zu definieren.

Nach inspirierenden Reden von Joy Cowley und Bill Manhire hielt Guido Westerwelle am Eröffnungsabend ein flammendes Pädoyer für die Verschärfung des Copyright. Er beschrieb das Thema als „Schicksalsfrage“, Ideen seien Bodenschätze und das geistige Eigentum dürfe „nicht auf die schiefe Bahn geraten.“ Intensiver als in den Vorjahren war unter der geschäftigen Oberfläche dieses Jahr denn auch eine gewisse Anspannung spürbar: Umsatzzahlen stagnieren, kleine Buchhandlungen spüren die Krise und Absatzzahlen für E-Books und Hörbücher gleichen die Verluste im Printbereich nicht aus. Neue Ideen sind gefragter denn je.


Auch in diesem Jahr habe ich mich also in die Eingeweide des Buchmarktes gestürzt, um Seminare vom Copyright Clearance Center (CCC) über "Global Rights Brokerage" und "Royalties and Secondary Licensing"- Modellen in der Brandung meines finanziell ruinösen Idealismus zerschellen zu lassen. Sonst geht es für mich um die schöngeistigen Dinge, aber hier – einmal im Jahr – gibt es schrankenlose Headspin- Tuchfühlung mit den Rendite-über-alles schätzenden, gutgelaunten, angelsächsischen Pragmatikern.

Das zentrale Thema auch hier bei den Lizensierungs-Modellen: Die strategische Verschmelzung von Print und Digital. Also, nichts weniger als full on "Content Control and Global Rights Brokerage of Royalties and Secondary Licensing combined with the Expansion of Sales Channels, you-name-it-we-sell-it license models, royalies for all eternity."

Die Kreativität mit der hier spannende, möglicherweise profitable neue Lizenz-Modelle erfunden werden verschlägt mir immer wieder die Sprache. Durch Digitalisierung (z.B. E-Books, Apps & GPS) ergeben sich atemberaubend schöne – und auch schreckliche – neue Copyright-Kontroll-Varianten: Muss der Leser extra zahlen, wenn er/sie "sein/ihr" Buch nicht in den eigenen 4-Wänden liest, wenn beispielsweise das GPS-Signal "unlizensierte"-Bewegungen meldet, etc.? Dies sind ernsthaft Fragen über die sich Leute Gedanken machen. Der Bereich der Rechtevermarktung auf der Frankfurter Buchmesse ist in den verangenen Jahren stark gewachsen und auch sehr viel öffentlicher geworden: Irgendwie erinnert mich die hysterisch aufgeladene Betriebsamkeit an ein Parkett voller Leerverkäufe zockender Hedgefonds-Manager. Hier entsteht etwas ganz Neues.


Im Vergleich zu den Buchmessen der letzten Jahre gibt es einige interessante Veränderungen: Zum einen in der Form und Präsentation der Inhalte, als auch in der Sparte Buch ganz allgemein. Gefallen hat mir vor allem, dass in diesem Jahr nicht so sehr Individuen mit ihren Veröffentlichungen im Vordergrund standen, sondern stattdessen der Prozess, die mediale Veränderung des Lesens – das Medium Buch – an sich.

In meiner dualen Rolle als Graphik-Designer und Kleinst-Verleger 1 war es für mich besonders spannend zu sehen, wie sehr das Thema der Digitalisierung nicht nur im Bereich des Editorial Design dominiert, sondern eben auch im Buchmarkt – mit allen damit verbundenen Aspekten. Die mediale Form des Buches ändert sich: Weg von der ausschließlich linearen Art des haptischen Erlebnisses eines Buches – mit all seinen Gerüchen, den sinnlichen Papiervariationen – hin zu einem zusätzlichen Aspekt des zeitlich begrenzten digitalen Erlebnisses im virtuellen Raum. Diese Verschränkung von Digital- und Analog-Bereichen ist es, das Tempo, die innovative Herangehensweise, aus der sich schon jetzt eine Flut wunderbarer, neuer Möglichkeiten ergibt. Wir stehen am Anfang einer Revolution des Lesens. Graphik-Designer stehen mitten drin und können den Prozess gestalten.

1 Als Graphik-Designer, mit Schwerpunkt Print und Editorial Design, habe in den letzten zwei Jahren verschiedene Publikationen als E-Books und Apps konzipiert sowie an der Umsetzung der i-Pad Ausgabe einer Wochenzeitung mitgearbeitet. Und als Kleinst-Verleger von Künstlermonographien und Kunsteditionen mit Bildenden Künstlern Kataloge über ihre künstlerischen Arbeiten publiziert.

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Geschrieben von

silvio spottiswoode

»Ohne Griechenland kann man Europa umbenennen, etwa in Horst.« (Nils Minkmar)

silvio spottiswoode

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