Ein Freibeuter vor der Wahl

Backbord Ahoi Ein paar Gedanken zu der Diskussion zwischen Kipping und Schlömer

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Piraten im Bermudadreieck von CDUFDP, SPD und GRÜNEN. Oder, das rettende Ufer liegt Backbord.

Es wurde schon viel darüber geschrieben, jedoch soll hier auf einige inhaltliche Punkte eingegangen werden, die ich in Diskussionen bisher vermisst habe. Stichhaltige Kritik wurde an anderer Stelle schon geäussert.(1)

Vor allem aber halte ich es für wichtig, näher auf die neue politische Methode (2) der PIRATEN einzugehen. Besonders vor dem allgemein desolaten politischen Hintergrund zunehmend autokratischer Strukturen der Regierung Merkel und dem inzwischen schon dramatischen Mangel an irgendwie nennenswerter Opposition.

Frage, Augstein: "Haben wir eine neue politische Situation, einen gesellschaftlichen Umbruch?"

Kipping beantwortete diese Frage mit "Nein", wir hätten aber "neue technische Möglichkeiten". Schlömer ging darauf inhaltlich nicht wirklich ein, sondern erklärte die technischen Aspekte, die Methode der Liquid Democracy mittels Liquid Feedback Software.

Definitiv positiv war, dass Schlömer die politische Parteienlandschaft generell als reformierungsbedürftig erkannte. Dass ein Teil der gegenwärtigen Probleme eben auch strukturell und hausgemacht sind. Dass die Art der Politik, die Methode der PIRATEN, eben nicht mit den Mitteln der etablierten Parteien umzusetzen ist. Dass die gesamte rechts-links Verortung des politischen Spektrums unter Umständen neu zu definieren ist. Denn weltweit lässt sich seit ungefähr vier Jahren ein massiver, nachhaltiger gesellschaftlicher Umbruch beobachten. Nicht nur die neuen technischen Möglichkeiten haben zur Gründung der Piratenpartei geführt. Vor allem hat die Handlungsunfähigkeit der Regierungs- und Oppositionsparteien angesichts der Finanzkrise den Bürgern unmissverständlich gezeigt, dass Politik, so wie sie momentan praktiziert wird, die Bevölkerung mit ihren Problemen allein lässt. Zeitgleich dazu entwickelte sich das Web 2.0, Wikileaks entstand, und auch Plattformen wie Facebook oder Googleplus konnten sich zu weltweiten Informations-Vernetzungsplattformen etablierten.

Und während Vertreter der Bundesregierung mit allerlei Interessenkonflikten, Befangenheits- oder Korruptionsskandälchen nur allzu klar veranschaulichen, wie weit sie sich von ihrer Bevölkerung entfernt haben, zeigen zahlreiche fehlgeleitete Bankenrettungsaktionen die demokratiefeindliche, politische Einflussnahme seitens privater Interessen immer wieder überdeutlich auf.

Vor dem Hintergrund dieser destruktiven, zivilisationsfeindlichen Tendenzen konservativer Politik der Merkel-Regierung gelingt es nun seit einigen Jahren einer ganz neuen Partei, den PIRATEN, u.a. eben auch reihenweise wieder "Nichtmehr"-Wähler zu mobilisieren. Nicht zuletzt, weil angesichts alternder demokratischer Strukturen und jahrzehntelang etablierter politischer Seilschaften inzwischen der einzige Weg, den Lauf der Dinge noch positiv zu beeinflussen, die Handlungsfähigkeit jedes einzelnen Bürgers zu sein scheint. Grosse Teile der Bevölkerung scheinen dies verstanden zu haben.

Die zentrale Frage der Veranstaltung lautete: "Wie links sind die Piraten" ?

Katja Kipping und Jakob Augstein scheinen, im Gegensatz zu mir, – und den Piraten am Abend vor Ort – nicht sonderlich davon überrascht gewesen zu sein, dass Bernd Schlömer sich nicht ohne weiteres "links" verorten liess. Als Ziel seiner Politik sprach Schlömer von "freien Individuen, die selbstbestimmt handeln, entscheiden und sich entfalten können". Augstein stellte die Verteilungsfage zur Disposition. Katja Kipping betonte die Gemeinsamkeiten beider Parteien, beispielsweise bei der Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens. "Selbstbestimmung setzt ein Mindestmaß an finanzieller Absicherung voraus", so Kipping.

Schlömer, mit seinen Bekundungen die PIRATEN seien eine "liberale" Partei, die "keinen Frontmann will", "mein Amtsverständnis ist nicht von Entscheidungsmacht geprägt", kam am ende leider nicht wie "Bundesbernd" rüber, sondern eher wie der Mann ohne politische Eigenschaften. Bernd Schlömer, das politische Bermudadreieck der PIRATEN-Partei?

Bernd Schlömer war für meinen Geschmack etwas zu vorsichtig und diplomatisch. Jedoch, aufgrund eines einzelnen Piraten Rückschlüsse auf die zukünftige, politische Ausrichtung einer ganzen Partei zu ziehen, halte ich für reichlich viel Spekulation. Und es ist bei einer jungen Partei auch einfach zu früh.

Von Augstein kam später der Einwurf, dass “sich DIE PIRATEN "links" wähnen, damit aber wohl etwas anderes meinen”.

Genauso liesse sich aber fragen, wie links denn eigentlich die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens ist? Das BGE, eine im Wesen liberale Idee, die den privaten Menschen in den Mittelpunkt aller politischen Handlungen stellt.

Sowohl in Kippings, als auch in Bernd Schlömers politischem Denken, spielt das Individuum die zentrale Rolle. Das unterscheidet beide auch von politischen Vertretern der älteren Semester, die sich eher noch starren, systemischen Ideologien verpflichtet sehen.

Die Linkspartei – an sich genau die Partei mit dem Programm der Stunde – wusste lange mit dieser historischen Chance nichts anzufangen. Mehr noch, sie hat durch interne Spaltung auf sich aufmerksam gemacht, durch eine erschreckend destruktive und selbstreferentielle Problematik. Kipping kann ganz unpathetisch als die letzte Möglichkeit gesehen werden, DIE LINKE vor dem drohenden Nichts zu bewahren.

Vor diesem Hintergrund halte ich Gespräche mit den PIRATEN für äußerst erfreulich und würde mir mehr Neugier auf Seiten der Linken wünschen, um die kommenden Stürme besser zu durchkreuzen. Denn, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sind die potenziell konservativen Tendenzen der PIRATEN-Partei eine geringere Herausforderung, als es ist DIE LINKE langfristig handlungsfähig zu machen

1 "Bernd Schlömer: Ein Stückweit Politik", D. Erdmann in Carta http://carta.info/46753/bernd-schlomer-ein-stuckweit-politik/

(2) Liquid Democracy ist das Programm und Liquid Feedback die Software dazu http://www.piratenpartei.de/mitmachen/arbeitsweise-und-tools/liquid-feedback/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

silvio spottiswoode

»Ohne Griechenland kann man Europa umbenennen, etwa in Horst.« (Nils Minkmar)

silvio spottiswoode

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