Es gibt Reis, Baby.

Mutter hat immer Futter.

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https://lh5.googleusercontent.com/-bRe7n3xicts/VVDlqPQUGvI/AAAAAAAABO4/TIVv0Aok8R0/w662-h496-no/BurntRice.jpgFoto: Milchreis #1001 © Mutter

Alle reden vom richtigen Rezept, der Mischung, der Vereinbarkeit von Reis und Milch. Wie toll das klappt, mit welch Leichtigkeit sie 's hinbekommen. Gelunge Reisbiografien; Milchreismenüs, die das Leben erst komplett machen. Schaut-mich-an Milch- und Reis-Selfies, gepostet hier. Überquellende, aus den Fingern gesaugte, ichbinsotoll Milchreiserfahrungsberichte in Buch- und Blogform da. Kulinarischsemiotische De-reiskonstruktionen verfestigter Milchherrschaftsstrukturen, woimmer man hinschaut und klickt. Das perfekte Milchreisrezept ist allgegenwärtig.

Etwas wird ausgelassen: Milchreis ist kein gängiges Menü. Keine Normalität, sondern eine komplexe, interfamiliäre Zwangsstörung. Angeheizt durch Zimt, Zitronen, Östrogen, Testosteron, Kultur, Religion und den Familienwerteindustriekomplex ist der Milchreis nichts anderes als ein kochtopfsensibles Verfahren gegen ein Gourmetmainstreaming und die Sublimierung primordialer Ängste. Die archaische Metaphorik von Reis und Milch, Leben und Tod, entspricht einer symbolischen Ordnung der Reiszerkochung; verbrannt bei zu hoher Flamme, zerstört. zerkocht. Im Topf angebappt. Tief Schwarz, auf ewig verkohlt, so sieht sie aus, die Milchherrschaft der Reisunterdrückung.

Es wird schulmeisterhaft so getan, als sei Milchreis machbar. Als seien Reis und Milch jeweils für sich und vor allem zusammengerührt nur eine Frage der Organisation. Als sei das Menü schmackhaft, kontrollierbar, messbar. Planbar. Milchreis, eine einzige Genussorgie; das Ergebnis eleganter Aneinanderreihung präziser Berechnungen, die Summe genauester Kalkulationen. Jedes Detail des Produktionsprozesses, bis hin zum kleinsten Bruchteil eines Reiskorns, minutiös abgewogen. Bestimmbar, vorbereitet, präpariert und aufgeräumt.

Allein die Leidensgenossen, sie wissen: So ist es nicht. So war es nie. Wird niemals so sein. Weil Dinge so nicht funktionieren. Die Maßeinheiten geben es nicht her. So einfach ist das.

Warum erwähnt niemand wie unmenschlich anstrengend das Milchreiskochen sein kann? Denn es kommt nicht wie geplant, nicht nach Design. Die Wahrheit ist: Der Kochprozess lässt sich nicht steuern. Mehr noch, Milchreis ist absolut unberechenbar, passiert einfach, kocht hoch, wie und wann er will. In der Regel ist eine*r auch eher schlecht darauf vorbereitet, dass die Küche durch den Milchreis komplett auf den Kopf gestellt wird. Und, was keiner offen zugibt: Milchreis schmeckt schlecht. Etwas bitter und ranzig, wie eine flüssige Mischung aus Schimmelkäse und saurer Milch. Milchreis erzeugt Brechreiz und bleibt einem im Hals stecken. In der neuen Rolle der Milchreisreisköche erkennt man dann beim Verzehr weder sich noch sein Gegenüber wieder.

Beim Milchreiskochen verschwimmen der Tag und die Nacht. Bei der Vermischung von Reis und Milch ist man permanent am einschlafen und verliert so das Zeitgefühl, über Jahre. Man vergisst sich zu kämmen, die Klamotten zu wechseln. Früher oder später türmen sich Wäscheberge und man kommt aus der Küche einfach nicht mehr raus. Alles beginnt merkwürdig säuerlich zu riechen, vollgekotzt mit Milchreis. Buchstäblich jahrelanger Schlafentzug gibt einem dann den Rest. Keine paar Tage, keine paar Wochen, nein, buchstäblich Jahre im nicht enden wollenden, halbwachen Dämmerzustand. Zuhause, drinnen, eingeschlossen in sozialer Isolation mit chronischen Anbrennängsten, Milchreis ankochend. Eine Verantwortung, der – egal wie gut man vorbereitet ist, egal wie alt und erfahren, egal wann es einen erwischt –, der man sich niemals gewachsen fühlt.

In gouvernantenhafter Pflichtausübung unternimmt man die größten Anstrengungen einen zivilisierten, halbwegs normalen Kochprozess irgendwie rudimentär noch aufrecht zu erhalten. Das, und die Kosten der Milchreisproduktion, jedes Problem für sich genommen wäre schon zu viel. Aber, alles zusammen?

Irgendwann ist die Milch dann angebrannt. Genervt schüttet man alles weg, überwindet sich, beginnt von neuem und setzt den nächsten Topf auf den Herd. Allein, es ist nur eine Frage der Zeit bis einen die Kräfte verlassen, man aufgibt sich gegen die Milchreisströmung zu stemmen und die Wellen der Milchherrschaft einen in ihren Fluten mitreißen. In seiner klebrig verflüssigten De-reiskonstruktion verfestigter Milchherrschaftsstrukturen ist Milchreiskochen eine einzige überfordernde Reiszerkochung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

silvio spottiswoode

»Ohne Griechenland kann man Europa umbenennen, etwa in Horst.« (Nils Minkmar)

silvio spottiswoode

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