Kredithaitheater

Griechenland Wie sich europäische Institutionen und ihre Akteure zu Zombies machten und warum Politiker Kredithaie spielen. Eine Tragödie in 5 Akten.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

https://c1.staticflickr.com/1/411/19323547846_28dbe03d51.jpg

Gesundschrumpfen, die Null Nummer, 1. Juli 2015



ZUSAMMENFASSUNG. Das Wichtigste zuerst. Die linke Regierung um Alexis Tsipras und den heute zurückgetretenen Finanzminister Yanis Varoufakis hat die Krise nicht herbeigeführt. Im Gegenteil, bei der aktuellen Schuld/en-Diskussion wird Hol- und Bringschuld verdreht, der Schuldner wird hier für eine fehlende Finanzarchitektur europäischer Politik verantwortlich gemacht. So wird aus einem gesamteuropäischen ein nationales Problem.

Divide and conquer / Teile und herrsche. Warum passiert das? Griechenlands Gläubiger sind keine nervösen, privaten Kreditinstitute, die panisch – so schnell wie möglich, koste es was es wolle – ihre Renditen rauspressen müssen. Griechenlands Gläubiger haben viel Zeit. Denn bei ihnen handelt es sich inzwischen überwiegend um öffentliche Institutionen; vor allem die EZB ebenso wie Staaten, beispielsweise Deutschland, ohne dramatische finanzielle Probleme. Das Rätsel ist: Warum verhalten sich diese öffentlichen Institutionen als seien sie private Kredithaie?

i) Um das eigene Prestige zu retten.

ii) Eine aus fehlender gemeinsamer Finanzgesetzgebung und politischem Gestaltungsvakuum entstandene Krise wurde von den EU-Regierungschefs einfach in ein moralisches Schauspiel über »Pleitegriechen« umetikettiert.

iii) Das Kredithai Theater ist eine Fiktion - ein Schauspiel der Eliten - mit dem einzigen Zweck, die Verantwortung für die Krise an die Opfer ihrer Politik weiterzureichen. Denn die Regierungschefs hatten wiederholt die Wahl: Entweder eigene Fehler – die vor nationalen Grenzen nicht halt machen – einzugestehen, oder einen Sündenbock zu finden

iv) Die eigentliche Frage sollte lauten: Was für eine Finanzpolitik wollen wir? In was für einer Welt wollen wir leben?

Die perverse Umkehrung des moralischen Verantwortungsbegriffs wird deutlich, sobald man sie historisch betrachtet: Die Verantwortung für Schulden liegt nicht bei den Schuldnern sondern bei den Gläubigern. Die Gläubiger haben zu entscheiden ob- und wenn ja wie hoch das kalkulierbare Risiko der Kreditvergabe ist. Das war – zumindest bis zur Eurokrise – das Geschäftsmodell. Dafür wurden Zinsaufschläge und Gewinne kalkuliert. Moralische Verantwortung auf Seiten der Gläubiger, um Finanzierungen korrupter Aktivitäten zu verhindern; Unternehmungen und Geschäfte, die keine Wertschöpfung darstellen. Um genau das zu verhindern, was mit der Eurokrise eingetreten ist.

Es gibt eine Wahl zwischen zwei moralischen Positionen:

1) Machen wir die Schuldner für ihre Schulden verantwortlich?
2) Oder, die Gläubiger ?

Wählen wir die erste Position, führt dies in eine Welt der faulen Kredite, verschwendeten Ressourcen, Schuldner; Menschen, gefangen in Schulden; -buchstäblich und metaphorisch. Wählen wir hingegen die zweite, dann führt es in eine Welt, in der dumme Kredite gar nicht erst vergeben werden.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

GELIEBTES EUROPA. EINE TRAGÖDIE

– Wenn Zwerge durch Spaltung, Demütigung und moralisierende Disziplinierungsmaßnahmen regieren.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Erster Akt :: GRIECHENLAND. Disziplinieren und Strafen

Der Ökonom und Finanzminister Griechenlands Yanis Varoufakis ist heute Morgen zurückgetreten. Während der schwierigen Schuldenverhandlungen in Brüssel wurde von EU-Verhandlungspartnern signalisiert, er stünde einer Lösung im Weg.

In Griechenland fand gestern das historische Blitz-Referendum statt. Die griechische Bevölkerung entschied sich mit "OXI/Nein" klar gegen ein Weiterso der Brüsseler Austeritätspolitik. Bei der Abstimmung zeichnete sich auch ein Generationenkonflikt ab: Ältere Bürger stimmten in der Mehrheit mit »Ja«, die Jüngeren mit »Nein«. Die Abstimmung könnte nun für die junge linke Regierung eine Schicksalsfrage werden.

Europa am Scheideweg. Mein Europa, das ich liebe, das mich prägte, in dem ich aufwuchs; mein Europa, meine Zukunft, liegt am Boden. Der gesamte europäische Süden – Griechenland, Spanien, Portugal, Italien – kämpft mit historisch nie dagewesenen Umverteilungsmaßnahmen und Privatisierungen durch Sparprogramme, während die Jugendarbeitslosigkeit seit bald einer Dekade über 50 % beträgt. Von einer verlorenen Generation ist die Rede. Eine Völkerwanderung gen Norden findet statt. Auf der Suche nach Zukunftsperspektiven verlassen Hunderttausende ihre Heimat.


Hintergrund. Was ist passiert? Bei Verhandlungen um Schuldenschnitt, Griechenlandfinanzhilfen und Bedingungen zur Schuldenrefinanzierung kochen die Emotionen hoch, Ereignisse überschlagen sich und Alexis Tsipras, Primierminister der jungen, linken Syriza-Partei, kündigt urplötzlich eine Volksabstimmung an. Die etablierten Troika-Institutionen aus IWF(IMF), EZB und EU-Parlament frieren daraufhin sämtliche Verhandlungen mit der linken Regierung bis nach dem Referendum ein. Mit der Folge, dass vor einer Woche in Griechenland alle Banken geschlossen bleiben und das Land seitdem offiziell als zahlungsunfähig geführt wird. Nach und nach dringen immer mehr Einzelheiten der Verhandlungen an die Öffentlichkeit. Das von Presse- und EU-Vertretern – Jean-Claude Juncker, Martin Schulz etc. – als großzügig dargestellte Angebot, ist offensichtlich alles andere als das. Inzwischen liegt die Vermutung nahe, die griechischen Teilnehmer verliessen nicht ohne Grund den Verhandlungstisch.

Das Rettungspaket. Entgegen allgemeiner Darstellung zeigt sich, das »großzügigste aller Hilfspakete« für Giechenland ist nicht ganz so großzügig wie behauptet. Dass das »Rettungspaket« – auf dessen Ablehnung EU-Präsident Martin Schulz ( bei den ARD Tagesthemen und im ZDF heute Journal); ebenso wie Rolf-Dieter Krause (ARD Brüssel-Korrespondent) und die ARD Börsenkorrespondentin Anja Kohl (bei Jauch) mit lautstarken, medienwirksamen Bekundungen von »Schock« bis »Ratlosigkeit« reagieren –, dass das Hilfspaket beispielsweise keinerlei Investitionshilfen beinhaltet. Lediglich anteilige, an Eigenmittel gebundene Co-Finanzierungen sind Teil der Verhandlungen. Co-Finanzierungen, die jedem EU-Mitgliedsland auch regulär zustehen; Finanzhilfen also, die überhaupt nur abgerufen werden können, wenn nennenswertes Eigenkapital tatsächlich auch vorhanden ist. Und das, wie alle inzwischen wissen – wie ja wohl auch von den griechischen Verhandlungspartnern mehrfach betont – ist eben nicht der Fall. Griechenland hat kein Eigenkapital, um diese Co-Finanzierungsmittel abzurufen.

IWF Bericht. Dann, mitte letzter Woche fand noch ein brisanter, interner IWF-Bericht zum Schuldenstand Griechenlands seinen Weg an die Öffentlichkeit. Lanciert wurde der Report mit Protest und Widerstand und gegen den ausdrücklichen Willen der Troika-Institutionen.

Es handelt sich um einen internen Schuldenreport des IWF, der die Schulden Griechenlands noch im Jahr 2030 mit 118% des BIP beziffert, wenn jetzige Sparmaßnahmen tatsächlich unverändert umgesetzt würden. Selbst der IWF hält also die aktuellen Brüsseler Reformpläne nicht für durchführbar. Gleichwohl wird von seiten der konservativen deutschen Regierungskoalition der CDU/CSU und SPD – von Merkel, Wolfgang Schäuble, dem CDU Finanzminister, ebenso wie SPD-Chef Sigmar Gabriel – auf die Einhaltung dieser vollkommen irren, unrealistischen Ziele bestanden.

Habermas. In seinem Artikel zur Finanzkrise »Warum Angela Merkels Griechenland Politik falsch ist« nannte der Philosoph Jürgen Habermas die EU-Rettungspolitik pure Fiktion. Er beschrieb die Politiker als Schausteller, Zombies des Finanzwesens, die nur so tun als ob sie Politik machten während sie in Wahrheit niemals einen politischen Gestaltungswillen gehabt hätten.


Zweiter Akt :: Dr. Seltsam, oder wie ich lernte das Hilfspaket zu lieben

Was wird verhandelt? Warum wird von Hilfen gesprochen, die gar nicht möglich sind?

Dazu hier Gregor Gysi, den europäischen Crash verhindern:




Geschichte. Nach zwei Weltkriegen, die Europa in Schutt und Asche legten, träumten die Väter der europäischen Idee von einer starken, geeinten Gemeinschaft, der Europäischen Union.

Dass Griechenland nicht unbedingt der effizienteste, best organisierteste Partner sein würde nahm man bei Griechenlands EU-Beitritt allerdings nicht nur billigend in Kauf. Sondern die verantwortlichen Regierungschefs befürworteten den EU-Beitritt wohlwissend, dass unzählige Vorgängerregierungen den griechischen Staat zu ihrer Beute gemacht hatten, dass die Verschuldung eigentlich zu hoch war. Was die Zahlen nicht her gaben wurde von den verantwortlichen Akteuren in Brüssel mittels Goldman-Sachs Zahlenakrobatik zurechtgebogen. So war das, auch wenn man dann zehn Jahre später vorgab von beschönigenden Zahlen nichts gewusst zu haben.

Die frisierten Haushaltszahlen wurden 2002 also nicht nur gebilligt, man spekulierte sogar mit ihnen, man rechnete damit. In den Folgejahren nach Griechenlands EU-Beitritt wurden so satte Gewinne erzielt, denn die Renditen waren aufgrund des erhöhten Risikos vergleichsweise hoch.

Ohne Übertreibung lässt sich heute zusammenfassend sagen: Über eine Dekade lang war die gesamte Finanzarchitektur der EU eine einzige risikofreie Geldmaschine, aufgebaut auf den hohen Renditen schwächerer EU-Länder wie Griechenland, Spanien, Portugal und Italien. Mit der Zinsdifferenz wurde in den Folgejahren sehr, sehr viel Geld verdient, da die EZB faktisch alle Risiken schwächerer Mitgliedsstaaten abfederte. Die Gläubiger wussten jedoch sehr wohl, dass dies nicht ewig so weitergehen würde, dass mit diesen Anlagestrategien längeristig auch Risiken verbunden waren.


Dritter Akt :: Das Kartenhaus


Dann, als das Kartenhaus zusammen brach auch da hatte man wieder die Wahl:

i) Man hätte die Fehler und falschen Anreize benennen und beheben können, die übermäßige Verschuldung und Korruption erst ermöglicht hatten;

ii) man hätte die strukturellen Probleme angehen, hätte Regulierungen einführen und eine gemeinsame Finanzpolitik auf den Weg bringen können.

Die verantwortlichen Akteure der EU-Institutionen hatten die Wahl zwischen dem Erhalt der europäischen Gemeinschaft oder dem Erhalt ihres eigenen Reichtums, Status und Presitige. Sie waren sich selbst die Nähsten und entschieden sich für sich und ihre Freunde.

Die formalen Institutionen der EU existieren zwar noch, jedoch sind sie dabei unter einer Last verantwortungsloser Fehlentscheidungen zu kollabieren.

Verantwortung – Schuld. Wie sehr gerade Regierungschefs und Eliten Verrat an der europäischen Idee begangen haben, lässt sich nur schwer in Worte fassen.

Das oberste Gebot, das größte Versprechen die Probleme nicht mehr national zu lösen, sondern zusammen – als Einheit in der Vielfalt stark zu sein – all das wurde kleingeistig als erstes verraten.

Regulierungsfehler und ein politisches Gestaltungsvakuum führten zu schlechten Finanzentscheidungen. Exorbitante Kredite spanischer und deutscher Banken wurden jahrelang problemlos in einen aufgeblasenen Immobilienmarkt gepumpt während gleichzeitig Unternehmen der Realwirtschaft keine Gelder für Produktions- und Infrastrukturinvestitionen bekamen. Dies waren hausgemachte europäische Probleme, keine nationalen. Europäische Probleme, die unter der schönen, representativen, uns-geht's-gut Oberfläche eines EU-männischen Staatgebarens langsam vor sich hin zu faulen begannen.

Als dann die Dämme brachen, statt Fehler als Gemeinschaft zu benennen wiesen Europas Eliten – Finanzexperten, Beamte und Politiker – die Fehler so weit von sich, wie irgend möglich. Auf diese Weise machten sie aus einem systemischen Problem der Finanzarchitektur einen Streit der Nationen untereinander. Und brachten damit eben jene Geister zurück, die ihre Vorgänger ein halbes Jahrhundert lang hatten zu beseitigen versucht. Schlimm. Schlimm. Schlimm.

Vierter Akt :: »moralische Verantwortung/moral hazard«


Der Begriff der »moralischen Verantwortung/moral hazard« taucht jetzt wieder vermehrt auf.

Man dürfe »nicht zu nachgiebig mit Griechenland sein«, »man solle die Schulden nicht einfach streichen«. »Was für ein Vorbild wäre das für die anderen Staaten – Portugal, Spanien, Irland –, die sich an die Sparauflagen gehalten haben«? »Sie alle könnten einen Schuldenschnitt auf Kosten der starken EU-Länder wie Deutschland fordern.«

Als ermorde eniner seine Eltern und plädiere dann auf mindernde Umstände, da er ein Waise sei. Wie dreist diese Argumentation in Wahrheit ist, zeigt sich sobald man die andere Seite der Medaille betrachtet.

Mit dieser moralischen Argumentationsschiene machen die Verantwortlichen, wie Wolfgang Schäuble, im grundegenommen nichts anderes, als die Gläubiger reinzuwaschen. Während man die Gesamtschuld auf die Schuldner überträgt. Mit anderen Worten, es können so viele faule Kredite vergeben werden, wie die Banken wollen, schuld sind immer die Schuldner. Zur Not zahlt dann der Steuerzahler. Und der Gläubiger bekommt immer sein Geld, null Risiko. Was für ein unverschämt dreistes, ungerechtes Geschäftsmodell. Der Untergang.

Fünfter Akt :: Das Endspiel


Aber was ist mit dem vielen Geld, das die Griechen von uns wollen? Darum geht es doch, oder?

Nein. Griechenland will seine bestehenden Schulden refinanzieren. Und in den letzten Monaten versuchten Tsipras und Varoufakis eine Einigung zu erzielen.

Nicht der griechische Staat sondern die griechische Bevölkerung benötigt Geld, Kredite, für Unternehmen, für Wirtschaft und Infrastrukturprojekte. Aber daraus wird nichts, solange die EZB kein Geld für die Banken zur Verfügung stellt.

Griechische Bürger wollen auch nichts anderes, als deutsche oder französische. Aber die propagandistische Wiederbelebung ethnographischer Vorurteile – Pleitegriechen etc. – macht es leicht ihnen dies zu verweigern.

Mit welchem Recht aber, hält man ein ganzes Land – bis hin zur humanitären Katastrophe – als Geisel für Gläubigerinteressen? Weil sie eine schlechte Regierung gewält hatten? Na gut, dann könnten wir alle für unsere inkompetenten Regierungen hingerichtet werden. Ich verdiene es, für Deutschlands Afghanistaneinsatz bestraft zu werden. Nein, tue ich nicht!

Worum geht es in der Griechenlandkrise? Wohin führt uns diese Politik? Wollen wir das wirklich, wollen wir das es dazu kommt?







Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

silvio spottiswoode

»Ohne Griechenland kann man Europa umbenennen, etwa in Horst.« (Nils Minkmar)

silvio spottiswoode

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden