Protest als soziale Plastik

Blockupy 2014 Vor dem Hintergrund architekturgewordener Machtdemonstration, im Finanzabsolutismus sozusagen, spielen sich in Frankfurt bühnenreife Szenen ab

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Ebenso wie der EZB-Neubau – der Wolkenkratzer des Architekturbüros Coop-Himmelb(l)au – die alte Frankfurter Grossmarkthalle in zwei Teile schneidet, so durchbrechen heute Demonstranten die doppelte Linie hochgerüsteter Bereitschaftspolizei. Sie stürmen das Gelände des hermetisch abgesicherten, grauen Glas- und Stahl Gebäudes und leisten mit Transparenten, Umzugskartons und Farbbeuteln ihren ganz eigenen Beitrag zur Gestaltung. Die hierbei entstandenen Bilder von athletischen Zaunkletterern und bunten Fassaden zeugen von der atemberaubenden Schönheit zivilen Ungehorsams.

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Mit Kreativität gegen strukturelle Gewalt.

Nach heftiger Opposition der Hessischen CDU und noch größeren amtlichen Hürden, u. a. dem versuchten Verbot der Blockupy Veranstaltung seitens der Stadt Frankfurt; nach mehrmaligem Verschieben des EZB-Eröffnungstermins; vor allem, nachdem das Finanzamt-Frankfurt in letzter Minute – ausgerechnet während der heissen Phase der Blockupy-Vorbereitungen – Attac die steuerliche Gemeinnützigkeit und somit die finanzielle Grundlage entzieht, findet Blockupy auch 2014 wieder statt. Dieses Mal als breit aufgestelltes, buntes Festival unterschiedlicher linker Gruppen. Vertreten sind neben Attac auch die Linke, OCCUPY, sowie zahlreiche Gewerkschaftsgruppen aus dem europäischen Ausland. Scharfe Kritik an der EZB-Finanzpolitik und am Spardiktat der Regierung Merkel verbindet alle.

Die Polizei twittert erstmals von der Demonstation. Beispielsweise auch einige sehr anschauliche Fotos, siehe Foto »Blauer Klecks«, oben. Bemüht um ein positives Bild in der Öffentlichkeit hielt man im Vorfeld eine Presseveranstaltung ab und ein Fahrzeug der Polizeipressestelle begleitete den Demonstrantionszug. Im Großen und Ganzen wurde Gesprächsbereitschaft signalisiert. Während der Demonstration hielt man sich denn auch mit Personenkontrollen und Platzverweisen zurück. Gegen Ende allerdings wurden dann doch wieder Demonstranten der Gewaltbereitschaft beschuldigt.

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Gewalt sagen. Oder, warum Blockupy notwendig ist

»Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.«
(Berthold Brecht, Me-Ti. Buch der Wendungen)

Beim Betrachten der Farbkleckse auf der grauen Glasfassade der EZB kam mir plötzlich der Gedanke, die Demonstranten müssen alle Stéphane Hessels Empört Euch! oder Jakob Augsteins Buch Sabotage gelesen haben. Hessel spricht sich beispielsweise für Widerstand und grundlegende Menschenrechte aus, die er durch die Krise gefährdet sieht. In Sabotage hingegen aktualisiert Augstein die überfällige Diskussion zivilen Ungehorsams und fragt nach konkreten Ansätzen, um Veränderungen herbeizuführen.

Allgemein könnte man zusammenfassen, der Begriff institutionalisierter, struktureller Gewalt wird in dem Moment wichtig, in dem gesellschaftlich notwendige Reformen und Veränderungen von etablierten Institutionen blockiert werden. Wandel und eine gerechtere Verteilung der Mittel sind durch die herrschenden Zustände anhand innerer Reformen allein so nicht mehr zu erreichen. Wenn die strukturelle Gewalt den kritisierten Gesellschaftsformen, wesenshaft inhärent ist, so bedarf es eines Prozesses des Widerstands, um sie aufzubrechen, so auch der Philosoph und Soziologe Herbert Marcuse.

Strukturelle Gewalt ist unsichtbare, diffuse Gewalt, die nicht Resultat individueller Handlungen ist, sondern Gewalt, die auf gesellschaftlichen Strukturen basiert; auf kollektiven Werten und Normen, auf Macht­verhältnissen. Gewalt, die durch ganz alltägliche, menschliche Bedürfnisse entsteht und oft nicht einmal als solche wahr genommen wird. Gewalt, die Menschen zu Opfern macht, die sich oft nicht einmal als solche sehen. Gewalt in Form von Indoktrination, Manipulation und Ausbeutung. Gewalt, die inhärent ist in und Grundbedingung von gesellschaftlichen Systemen. Gewaltvolle Strukturen, die Träume zerstören, Zukunft rauben und Menschen daran hindern ihr ureigenes Potenzial auszuschöpfen. Gewalt die Zwänge schafft: durch Entfremdung, Einschüchterung und Sanktionen. Durch die ungerechte Umkehrung von Hol- und Bringschuld. Gewalt, die durch eine Vielzahl von Kontrollen ausgeübt wird, durch das Setzen von Fristen, Zwangsgeldern, Vollstreckungs- und Mahngebühren, Nachweisen, Säumniszuschlägen. Gängelung. Diskriminierung. Sichverselbstständigende Bürokratie. Gesetze. Ohnmacht und Regelverletzungen. Ungerechtigkeit. Unfreiheit.



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Zusammen neue Bilder schaffen

Zurück zu Blockupy. Während man 2012 vor Polizeiaufgebot und Absperrungen kaum die Demonstration erreichten konnte und 2013 der Demonstrationszug von der Polizei blockiert und durch gewaltsames einkesselen – Frankfurter Kessel – beendet wurde, verlief in diesem Jahr alles ungewöhnlich ruhig. Die Süddeutsche Zeitung fragt denn auch: »Was bringen solche Proteste noch?« Und erklärt prompt Occupy und Blockupy, zusammen mit der gesamten deutschen Protestkultur, für gescheitert.

Die Realität sieht glücklicherweise anders aus. Denn, ganz im Gegenteil, das was sich in Frankfurt gezeigt hat, ist ein beeindruckendes Bild solidarischer Zusammenarbeit. Der Höhepunkt am Abschluß der Demonstration – als spontan 80-100 Demonstranten über den Zaun der EZB kletterten – bot sogar irgendwie Bilder epischen Ausmaßes. Storming the Barricades.

Dieser Beitrag erscheint in einer Reihe über die Frankfurter Blockupy Proteste als Teil II :: Protest als Soziale Plastik

hier geht es zum Teil I »Wir packem mit an«

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

silvio spottiswoode

»Ohne Griechenland kann man Europa umbenennen, etwa in Horst.« (Nils Minkmar)

silvio spottiswoode

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