Volle Dröhnung

Frankfurter Kessel Wie Innenminister Boris Rhein das Gesetz als Instrument zum (eigenen) Machterhalt missbraucht und unser Recht auf freie Meinungsäußerung mit Füßen getreten wird

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Wenn die Ordnung der Dinge aus den Fugen gerät und gewollte Unordnung zu Ungerechtigkeit wird, wenn sich die dröhnende, aufgeblasene Sicherheit hinter dem Theater bewaffnet und im Kampfanzug, im eigenen Strassenkessel, um sich schlagend geschlagen wird, dann ist es an der Zeit für unsere Grundrechte zu kämpfen.

Frankfurt Blockupy 1. Juni 2013: Ein Augenzeugenbericht.
Wer am Wochenende Beobachter der Vorgänge in Frankfurt wurde, hat sich am Ende nur noch gefragt: War das jetzt eine Probe für den Bürgerkrieg? Denn, was hier in einem Strassenkessel Realität wurde, hätte noch vor zwei Jahren keiner der Anwesenden auch nur im Entferntesten für möglich gehalten. Ohne Übertreibung lassen sich die Vorgänge im Zusammenhang mit der Demonstration gegen die Sparpolitik der Troika am 1. Juni 2013 als eine Zäsur in der deutschen Demokratiegeschichte verstehen.

Nach monatelanger Planung war es endlich so weit: Am Fuße des Frankfurter DGB-Hochhauses, nahe des Hauptbahnhofs, versammelten sich auf dem Baseler Platz ca. 10.000 Menschen. Sie waren aus ganz Europa angereist, um gegen den Mangel an Konzepten und die menschenverachtende Zivilisationsfeindlichkeit der europäischen Sparpolitik zu demonstrieren. Dies war als Höhepunkt der zweiten Blockupy Aktions- und Diskussions-Tage gedacht. Die Demonstration war eine, von der konservativen CDU/Grünen Regierungskoalition Hessens sowie der Stadt Frankfurt zwar angefochtene, jedoch auf mehreren Instanzen durch den Verwaltungsgerichtshof in Kassel und das Verwaltungsgericht in Frankfurt ausdrücklich genehmigte Veranstaltung. Die Route sollte durch die Frankfurter Innenstadt entlang der EZB führen.

Wie auch schon 2012 waren sowohl extensive Straßensperren als auch eine massive Präsenz überregionaler Polizeieinsatztruppen, hochgerüstet in Kampfanzügen, im Stadtbild allgegenwärtig während der Aktionstage. Man ging offensichtlich vom Super-GAU aus. Sogar das Gelände rund um die EZB wurde weitläufig, doppelt mit einer Wand aus scharfklingigem NATO-Draht sowie einem Dutzend Polizeihunden gesichert.

VRROOOAAAM VRROOOAAAM VRROOOAAAM VRROOOAAAM In diesem Jahr allerdings kam noch eine weitere Komponente hinzu: Hubschrauberlärm. So sorgte die Geräuschkulisse des vier Tage andauernden, 24-stündigen Hubschraubereinsatzes aus der Luft für beteubende Dauerdröhnung. Gespräche und Verständigung in den Strassen der Stadt wurden auf diese Weise nicht nur sehr erschwert, sie waren teilweise sogar unmöglich. Anwohner, die sich zuhauff über die Lärmbelästigung beschwerten, verwies man auf die "eklatante Gefahr, die wirksame Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung notwendig mache". Uns am Boden kam es nach drei Tagen vor, wie psychologische Kriegsführung, als wolle man die Bevölkerung mürbe und aggressiv machen. (1) VRROOOAAAM!

Bei den Kundgebungen im Vorfeld der Demonstration sorgte der Lärmpegel aus der Luft zwar für einige Verständigungsschwierigkeiten. Leider war auch Katja Kippings Ansprache aufgrund der dröhnenden Hubschrauber akustisch kaum zu verstehen. Im Großen und Ganzen jedoch war die Atmosphäre unter den Demonstrierenden außergewöhnlich gelassen und solidarisch. Kurz nachdem sich der bunte Demonstrationszug – bestehend aus engagierten Bürgern aller Altersgruppen; aus Familien mit Kindern, Studenten, Bündnissen Linker Gruppen, Attac und OCCUPY-Aktivisten – mit einiger Verspätung gegen Mittag in Bewegung gesetzt hatte, gab es eine polizeiliche Durchsage: "Gewaltsamen Ausschreitungen vermummter Demonstranten in unerlaubtem Waffenbesitz" sei ein Ende gemacht worden. Gleich ginge es weiter. In mancher Hinsicht könnte man die Demonstration ab diesem Punkt dann als erledigt betrachten. Die Ordnungshüter hatten ab da ihre eigene Agenda. Denn weiter ging es dann zwar schon, aber nicht nach Plan oder entlang der Demonstationsroute.

Es stelle sich heraus: Die polizeilich erwähnten Vermummten waren Demonstranten mit Baseballkappe oder Sonnenbrille, die sich ein Banner umgehängt oder Regenschirme aufgespannt hatten und die unerlaubte Waffe der Holzstab einer Protesttafel. Als passive Bewaffnung wurden u.a. beschlagnahmt: Fünf hölzerne Fahnenstöcke und zehn mit Farbe gefüllte Glasflaschen. (2)


Frankfurter Kessel. Wie schon 2012 bei der M31 Demo und den Blockupy Tagen griffen Polizisten in Kampfmontur wieder einzelne, unbewaffnete Demonstranten wahllos aus dem Demonstrationszug heraus, um Personalien festzustellen und Platzverweise auszusprechen. Nur dann, rein zufällig an einem der engsten Punkte der Demonstrationsroute – einer Strasse hinter dem Schauspiel – kesselte die Polizei ungefähr 1000 Demonstranten von beiden Seiten plötzlich grundlos, ganz eng ein. Zusammengepfercht wurden sie für bis zu neun Stunden dort festgehalten. Schauspieler aus dem Theater ließen nach einigen Stunden Eimer mit Wasserflaschen hinunter, um die Demonstranten notdürftig zu versorgen. Während die Polizei im Frankfurter Kessel damit beschäftigt war völlig willkürlich Schlagstöcke und Pfefferspray einzusetzen. Anwälten und Sanitätern wurde der Zugang verwehrt. Auch auf Minderjährige nahm die Polizei keine Rücksicht. Aufgrund dieser unverhältnismässigen Machtdemonstrationen scheint die Vermutung irgendwie naheliegend, dass die Provokationen gewollt und von langer Hand von der Polizei geplant waren.

Zu keiner Zeit ging je von den Demonstrierenden eine Gefahr aus. Die Polizeitruppen in Robocop-Montur hingegen waren ausgesprochen aggressiv. Polizisten bedrohten Demonstranten verbal, schlugen mit Schlagstöcken auf wehrlose Bürger ein, sprühten großzügig Pfefferspray bis die Luft voll davon war, griffen trickreich und schmerzhaft in die Augenhöhlen derer die sie isolierten und verdrehten Arme, Finger und Gelenke so extrem, dass Verletzungen auftraten.

Die gezielte Brutalität mit der hier vorgegangen wurde, ist zweifellos auch auf die Führungsebene der Regierung zurückzuführen. Denn für das CDU Sicherheits-Dreamteam – die aufstrebenden Politgewächse, der Frankfurter Ordnungs- und Sicherheitsdezernent Markus Frank, der hinter vorgehaltener Hand von Demonstranten als Chaoten spricht, sowie Hessens Innenminister Boris Rhein, hätte es jedenfalls kein größeres Geschenk geben können. Diese Ausschreitungen kommen beiden wie gelegen zur Profilierung der Positionen in den anstehenden Landtagswahlen im Herbst. Vor allem erscheint von dieser Perspektive aus alles plötzlich in ganz anderem Licht.

Unverhältnismäßige Maßnahmen, Provokationen und willkürliche Polizeigewalt gegen die Bevölkerung werden so zu einem Instrument des Machterhalts. Demokratie und Grundrechte – das Hinwegsetzen über Gerichtsbeschlüsse – werden dem Kalkül herrschender Unordnung (Barbarei) leichtfertig geopfert.

"Meine Zukunft ist so problematisch, dass sie mich zu interessieren anfängt",

hat Georg Büchner einmal gesagt. In diesem Sinne sollten wir alle langsam beginnen uns für die Zukunft unserer Demokratischen Gesellschaftsordnung zu interessieren. Sehr viel Zeit bleibt uns nicht mehr.

Nachspiel. Neben der Frage, was diese ungeheuerlich brutale Vorgehensweise gegen friedliche Bürger für die deutsche Demokratie und das Recht auf freie Meinungsäußerung ganz genau bedeutet, müssen auf jeden Fall auch personelle Konsequenzen gefordert werden.

Markus Frank und Boris Rhein haben ihren Auftrag für die Bevölkerung aufs gröbste verletzt. Beide sollten mit sofortiger Wirkung ihrer Ämter enthoben werden. Volksvertreter mit derart bornierten Herrschaftsallüren sind eine Gefahr für jede Demokratie.

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Erste Bilanz laut Ermittlungsausschuss: Hunderte von Verletzten, mehrere Personen im Krankenhaus, mehrere Personen bewusstlos aus dem Kessel gezogen; Freiheitsentziehung über mehrere Stunden bei über 1000 Personen, darunter Minderjährige, Journalisten, Anwälte und Parlamentarier; Sanitätern wurde der Zugang zu Verletzten verweigert; Anwälte durften ihre Mandate nicht ausüben; Festnahmevorwürfe vielfältig, wie Tragen einer Kappe, Tragen von Skibrille, in der Nähe des Kessels stehend, etc. …; es wurden hauptsächlich vor Ort Personalien festgestellt, die Personen abgefilmt und durchsucht massenweise Aufenthaltsverbote und Platzverweise ausgesprochen. Daher kaum Personen in der Gefangenensammelstelle – unseres Erachtens klare Taktik; viele Personen im Kessel, auch Minderjährige.



Aufmacherfoto: Martin Kliehm/ Flickr (CC)

1 Lärm wirkt direkt auf unser Nervenzentrum und spielte in der psychologischen Kriegsführung schon immer eine wichtige Rolle.

Lärm als Waffe – Über die Psychologie der Kriegsführung. Michael Ringelsiep WDR

http://www.wdr.de/tv/quarks/sendungsbeitraege/2013/0305/004_laerm_laerm_als_waffe.jsp

2 Siehe Artikel in der FR, 2.6.13 von Hanning Voigts

http://www.fr-online.de/blockupy-frankfurt/blockupy-frankfurt-ende-einer-demonstration,15402798,23093936.html

Ermittlungsausschuss Frankfurt http://ea-frankfurt.org/

Blockupy Pressemitteilungen https://blockupy-frankfurt.org/category/presse/

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Geschrieben von

silvio spottiswoode

»Ohne Griechenland kann man Europa umbenennen, etwa in Horst.« (Nils Minkmar)

silvio spottiswoode

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