Wer darf in der Stadt wohnen?

Rote Flora Wer entscheidet wer wo wohnen darf? Warum dulden wir die wiederholte, gezielte Aushebelung des Versammlungsrechts? Konsequenzen einer verantwortunglosen Politik.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

http://farm4.staticflickr.com/3822/11514962545_b600f1804b.jpg

Das unkritische, regierungskonforme ZDF berichtet von den »schlimmsten Krawallen der jüngeren Geschichte« Hamburgs.

Die Zeit titelt »Angefangen haben immer die anderen«. Warum schreibt keiner von den Provokationen seitens der Polizei? Warum erwähnt niemand die brutale Gewalt der Politik – finanziell, seelisch, körperlich – gegen die eigene Bevölkerung?

Schon Tage vor der geplanten Demonstration gegen die Räumung des Hamburger Kulturzentrums »Rote Flora« wurde in den Nachrichten von »Gewalt« gesprochen. In Berichten und Interviews mit Polizeieinsatzkräften war wiederholt von »zu erwartenden Ausschreitungen« die Rede. Die gesamte Hamburger Innenstadt wurde zur Gefahrenzone erklärt. Da war noch gar nichts passiert.

http://farm4.staticflickr.com/3675/11514589134_48899dfff5.jpg

Nichts außer, dass Bewohner aus ihren maroden Wohnungen in den Esso-Häusern im Hamburger Schanzenviertel zwangsevakuiert werden mussten, »Zu ihrer eigenen Sicherheit«, wegen Einsturzgefahr. Bei der Zwangsevakuierung durfte nur das Allernötigste mitgenommen werden. Die Bewohner mussten fast alles zurücklassen: Ihr Hab und Gut; ihre Möbel, ihre warme Kleidung.

Dass der Eigentümer – eine der größten Immobiliengesellschaften Deutschlands – die Bausubstanz aber ganz bewusst verrotten lies, um das Grundstück neu zu bebauen, das war für die Politik jahrelang kein Grund einzuschreiten. Auch das öffentlichrechtliche, durch Steuern und Rundfunkbeiträge finanzierte ZDF interessiert diese Tatsache offensichtlich nicht.

Warum auch? Menschen, die um ihre Würde kämpfen, um ihr Bleiberecht, um ein Dach über dem Kopf sind einfach nicht sexy genug für mediale Berichterstattung in Deutschland. Man spricht lieber von »Randale« und »Krawallen«. Moderatoren und Redakteure bedauerern die steuerfinanzierten Einsatzkräfte der Polizei, die in voller Kampfmontur, gepanzert, behelmt und mit Schlagstöcken bewaffnet auf die eigene unbewaffnete Bevölkerung eindreschen.

Kann man so machen, die Berichterstattung. Ist nur komplett daneben, weil falsch und ungerecht. Und interessiert dann irgendwann hoffentlich auch keinen mehr.

Wo bleiben die Sanktionen gegen eine sozialunverträgliche Eigentumspraxis in Deutschland?

Wo ist die Kritik an einer Politik, die es Eigentümern ermöglicht Bausubstanz über Jahrzehnte derart verkommen zu lassen, dass mit den Leben der Mieter gespielt wird? Wo sind die Sanktionen gegen eine sozialunverträgliche Eigentumspraxis in Deutschland?

Wenn die Umverteilung-von-unten-nach-oben zu offensichtlich wird, wenn dem Neoliberalismus die Antworten auf die sozialen Verwerfungen – die er hervorbringt – ausgehen, dann richtet sich der Staat gegen die eigenen Bürger. Gegen sich selbst. Geht gegen die eigene Bevölkerung vor, die mutig auf diese Missstände aufmerksam macht.

Wie schon im Sommer in Frankfurt wurden auch hier in Hamburg friedliche Demonstranten gezielt von polizeilichen Greiftrupps aus der Gruppe getrennt und eingekesselt. Ohne Vorwarnung wurden in Hamburg – bei Eiseskälte – Wasserwerfer gegen Demonstranten eingesetzt. Friedliche Bürger, die für ihr Recht auf freie Meinungsäusserung auf die Strasse gingen wurden mit Pfefferspray besprüht und nieder geknüppelt. Mehr als 500 Demonstranten wurden verletzt, 20 davon schwer. Das Schulterblatt im Schanzenviertel wurde komplett abgeriegelt, nicht einmal Anwohner konnten ohne Personenkontrolle ihr Viertel verlassen.

Die Sache hat System

Die Sache hat System. Ähnlich dem Berliner »Tacheles« oder dem Frankfurter »IVI« haben auch in Hamburg die politischen Entscheidungsträger die Verantwortung durch Privatisierung öffentlichen Eigentums einfach abgegeben.

Bei der Demonstration für den Erhalt der »Roten Flora« kommen viele Dinge zusammen: Von steigenden Mieten, der Aushebelung von Milieuschutz bis hin zu Kritik an der hardliner Politik des Hamburger SPD-Senats in Sachen Asylfragen.

Wie im Sommer in Frankfurt wurde auch hier eine genehmigte Demonstration von Anfang an durch die Polizei behindert, nur um dann nach wenigen Minuten – unter fadenscheinigem Vorwand – komplett gestoppt zu werden. Demonstranten wurde

(i) grundlos Gewalt angedroht,

(ii) Medienvertreter und Journalisten wurden an der Berichterstattung gehindert und

(iii) Rechtsanwälte nicht zu ihren Klienten vorgelassen.

All das ist ganz ähnlich so auch schon bei den Blockupy Protesten passiert.

Fazit

Warum werden Investoren nicht sanktioniert, wenn sie Häuser ihrer Mieter verkommen lassen? Warum werden Eigentümer nicht enteignet, wenn sie Wohnungen und Immobilien in Ballungsräumen leer stehen lassen? Warum wird es von Seiten der Politik geduldet, dass beispielsweise in der Frankfurter Innenstadt allein 70.000 qm Fläche zum Teil seit Jahrzehnten leer stehen? Warum wird Milieuschutz nicht eingehalten? Warum werden Genossenschaftswohnungen zu tausenden an Privatinvestoren verkauft? Warum wird seit Jahrzehnten nicht in Sozialen Wohnungsbau investiert? Warum werden Mieter nicht besser geschützt?

Wer entscheidet wer in der Stadt wohnen darf? Das Geld? Weil es die Politik kauft?

____________________________________________


In Gedanken bei den durch Cops verletzten und verhafteten / in Gewahrsam genommenen Helden des Alltags. Solltet ihr Post von den Cops bekommen, beim Ermittlungsausschuss Hamburg 040-4327 8778 melden, (entweder Montags zwischen 19-21 Uhr oder auf AB sprechen). Und, für alle Fälle: Rote Hilfe.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

silvio spottiswoode

»Ohne Griechenland kann man Europa umbenennen, etwa in Horst.« (Nils Minkmar)

silvio spottiswoode

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden