Die Folgen der Sanktionen

Iran Am 28. November 2019 veranstalteten IPPNW und IALANA die Podiumsdiskussion „Die Gefahr eines Irankrieges und die Folgen der Sanktionen“.

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Die US-Sanktionen haben die Öleinnahmen des Iran einbrechen lassen. Die Rationierung von Benzin und Erhöhung der Benzinpreise führten zu Massenprotesten, die die Regierung blutig niederschlug. amnesty international berichtete Anfang der Woche von mindestens 200 Todesopfern. UN-Sprecher Rupert Colville erklärte: „Wir sind sehr besorgt über die berichteten Verstöße gegen internationale Normen und Standards hinsichtlich der Anwendung von Gewalt, eingeschlossen der Verwendung von scharfer Munition gegen Demonstranten.“ Einigen Anführern der Proteste droht laut Medienberichten die Todesstrafe.

Mittlerweile leidet der Großteil der iranischen Zivilbevölkerung unter den Sanktionen, die die USA nach ihren Ausstieg aus dem Iran-Atomabkommen verhängt hat. Laut Aussage von Dr. Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik erodiert die iranische Mittelschicht. Die Kosten für Gesundheit und medizinische Versorgung seien im Frühjahr 2019 gegenüber dem Vorjahr um fast 19 Prozent, die Wohnkosten um fast 20 Prozent gestiegen. Der Fleischpreis kletterte sogar um 57 Prozent, so dass Fleischprodukte für viele Haushalte mit niedrigem Einkommen unerschwinglich wurden. Obwohl das US-Finanzministerium grundsätzlich Ausnahmen für humanitäre Güter genehmigt habe, würden internationale Unternehmen keine medizinischen oder pharmazeutischen Produkte an den Iran zu verkaufen, aus Angst vor Folgen auf dem US-Markt. (In: One year after the re-imposition of sanctions, FES, November 2019)

Auf einer gemeinsamen Podiumsdiskussion von IPPNW und IALANA am 28. November 2019 in Berlin thematisierten die Referent*innen die Gefahr eines Krieges gegen den Iran, die völkerrechtliche Legitimation von unilateralen Sanktionen und ihre humanitäre Folgen sowie Chancen für den Frieden durch eine Zone frei von Massenvernichtungswaffen im Nahen und Mittleren Osten.

Gleich zu Beginn der Veranstaltung machte Dr. Azadeh Zamirirad deutlich, dass der Konflikt zwischen den USA und dem Iran sich nicht militärisch lösen lasse. Gleichzeitig sei die Gefahr einer militärischen Eskalation gefährlich hoch aufgrund des maximalen Drucks der USA. Obwohl die US-Sanktionen nicht die Ursache für wirtschaftliche, politische oder soziale Härten im Iran seien, hätten sie die die bestehenden Probleme wie z.B. Korruption verschärft.

Die iranische Politik, die auf der teilweisen Aussetzung nuklearer Verpflichtungen und der schrittweisen Eskalation im Persischen Golf basiere, habe sich bisher ausgezahlt. Teheran habe keine direkte militärische Reaktion der Vereinigten Staaten erhalten und auch die EU habe keine formellen Maßnahmen gegen den Iran ergriffen, weil das Land das Atomabkommen nicht mehr vollständig umgesetzt hat.

Der Iran habe in wenigen Monaten mehr politisches Gewicht zurückgewonnen als während eines ganzen Jahres, als die iranische Regierung eine Politik der „strategischen Geduld“ verfolgte und hoffte, dass Europa in der Lage sein würde, eine kompensierende wirtschaftliche Entlastung zu leisten. Die iranische Regierung sei sich bewusst, dass es zu Verhandlungen und einer Einigung mit den USA kommen müsse.

Gerhard Baisch von IALANA widersprach Dr. Zamirirad in dem Punkt, dass er die Hauptschuld an dem Konflikt bei den USA sehe. Nicht der Iran habe das Atomabkommen aufgekündigt, sondern die westlichen Partner. „Im April 2018 stieg die USA aus dem Abkommen aus und setzte per November 2018 die alten US-Sanktionen wieder in Kraft – unter Missachtung des vereinbarten Konfliktmechanismus und der alleinigen Kompetenz des Sicherheitsrates, ohne irgendeine Verletzung des Abkommens durch den Iran geltend zu machen“, so Baisch. Nach seiner Aussage „ein krasser Bruch des Völkerrechts“.

Der Iran sei zudem – lange vor der Bundesregierung – dem Atomwaffen-Nichtverbreitungsvertrag (NPT) beigetreten und habe auch in jüngster Zeit betont, diesen Vertrag nicht verlassen zu wollen. Die jetzigen Maßnahmen einer teilweise erweiterten Anreicherung blieben völlig im Rahmen dessen, was unter dem NPT erlaubt sei. Der Iran habe sich im Atomabkommen für 15 Jahre schärfsten Einschränkungen in der zivilen Nutzung der Atomenergie unterworfen – die kein anderer Vertragsstaat des NPT kenne. Dies habe das Land getan, um den Verzicht auf ein militärisches Atomprogramm zu unterstreichen und die harten Sanktionen des UN-Sicherheitsrates und der EU-Staaten loszuwerden. Die teilweise Aussetzung der Verpflichtungen aus dem Atomvertrag bedeute keine Einschränkung der Verpflichtungen des Iran aus dem NPT. Die jetzigen leichten Erhöhungen z.B. des Anreicherungsgrades würden unter den Augen und der Kontrolle der IAEA und im Einklang mit dem NPT geschehen. Solange dieses enge Kontrollregime weiter aktiv ist, besteht aus seiner Sicht keine Gefahr, dass der Iran hoch angereichertes spaltbares Material für den Bau von Atomwaffen beiseite schaffe.

„Hauptmotiv für den Iran zum Abschluss des Atomabkommens 2015 war die Beendigung der damaligen extraterritorialen Sanktionen der USA“, erklärte Gerhard Baisch. Solche Sanktionen würden sich an ausländische Unternehmen richten und verfolgten den Zweck, den US-Maßnahmen globale Wirkung zu verschaffen, u.a. ein sanktioniertes Land weltweit zu isolieren. Besonders wirksam sei die Ausdehnung solcher Sanktionen auf den Bankensektor, weil damit alle Zahlungsvorgänge mit dem betroffenen Land blockiert würden. So seien aufgrund der Angst der europäischen Banken vor hohen Strafzahlungen oder gar dem Ausschluss aus dem US-Markt Finanztransaktionen mit dem Iran seit November 2018 fast undurchführbar geworden.

Es gehe den USA laut Baisch aber nicht um eine Verbesserung des Atomabkommens, sondern um die Ablösung des gegenwärtigen Regierungssystems und die vollständige Entmachtung des Iran. Das zeigten die zusätzliche Verschärfung der Sanktionen, verbunden mit Kriegsvorbereitungen. Der Aufmarsch der US-Streitkräfte im Persischen Golf sei als solcher bereits eine Drohung mit einem Angriff und daher völkerrechtswidrig.

Wenn Deutschland sich nicht an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der USA gegen den Iran beteiligen wolle, müsse es verhindern, dass deutscher Boden und Luftraum für diesen Krieg von anderen Staaten benutzt werden.

Der iranische Journalist Omid Rezaee machte anschließend darauf aufmerksam, dass der fehlende Kontakt mit der Außenwelt der iranischen Regierung die gewaltsame Niederschlagung der Proteste überhaupt ermöglicht oder zumindest erleichtert habe. Er glaubt, dass der Internet-Shutdown ohne amerikanische Sanktionen nicht möglich gewesen wäre – nicht mit der Reichweite und nicht für so eine lange Zeit.

So habe das Ministerium für Informations- und Kommunikationstechnologie inzwischen ein nationales Netzwerk aufgebaut, wodurch die Verbindung zwischen den Banken und anderen wichtigen Wirtschaftsinstitutionen aufrecht erhalten wurde. Auch private Firmen und Start-ups konnten während des Shutdowns durchgehend weiter arbeiten. Seit Jahren habe das Ministerium versucht, die Technikkonzerne und Start-ups zu überzeugen, ihre zentralen Server im Land zu installieren. Das habe aber erst geklappt, als die USA den internationalen Anbietern verboten haben, mit den Iranern zusammen zu arbeiten. Bei der Protestwelle Ende 2017 habe die Internetunterbrechung nur einige Stunden gedauert, weil sonst die Schäden der Wirtschaft zu groß gewesen wären.

Rezaee machte zudem darauf aufmerksam, dass fast alle großen Korruptionsfälle im Iran nicht nur in der Zeit der schweren Sanktionen gegen den Iran zustande gekommen seien, sondern auch direkt oder indirekt mit diesen Sanktionen zu tun hätten. Die bekanntesten Menschen, die wegen Korruptionsverdacht im Gefängnis säßen, seien am illegalen Öl-Export beteiligt. Sanktionen seien der beste Vorwand gegen Transparenz.

Einen positiven Ausblick lieferte anschließend die israelische Abrüstungsexpertin und und Direktorin des METO Projekts Sharon Dolev. Sie berichtete von ihrer Teilnahme an der UN-Konferenz für eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten vom 19.-22. November 2019 in New York, an der sich 23 Staaten beteiligt hatten. Zwar hätten die USA und Israel die Konferenz boykottiert, aber die teilnehmenden Länder der Region hätten sich mit großer Aufrichtigkeit zu der Ausarbeitung eines rechtsverbindlichen Vertrags zur Errichtung einer massenvernichtungswaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten verpflichtet. Sie forderten alle Staaten auf, keine Maßnahmen zu ergreifen, die der Verwirklichung der Ziele der Errichtung einer solchen Zone entgegenstehen. Die Teilnehmer*innen hätten die Hoffnung geäußert, dass die Ausarbeitung eines solchen rechtsverbindlichen Vertrages langfristig dazu beitragen könnte, regionales und internationales Vertrauen aufzubauen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Wilmen

Angelika Wilmen, Friedensreferentin der IPPNW

Angelika Wilmen

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