Eine öffentliche Antwort an Robert Habeck und die Grünen

Pazifismus Pazifismus sei im Moment ein ferner Traum, hat Robert Habeck gesagt und „dass Zuschauen die größere Schuld ist“, wobei er auf die Kritik der Friedensbewegung an deutschen Waffenlieferungen zielte.

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Pazifismus ist jedoch mehr als die Ablehnung von Gewalt und militärischen Mitteln. Pazifismus, eine zivile Sicherheitspolitik und ziviler Widerstand erfordern Kreativität und Mut, neue Wege zu gehen und Kraft, Rückgrat und Standhaftigkeit, sich dem Sog von Militarismus, Heldenmythos und Feindbildaufbau zu entziehen. Das haben mutige Frauen und Männer wie Mahatma Gandhi, Martin Luther King oder Bertha von Suttner gezeigt. Es ist leichter, dem Ruf und öffentlichen Druck nach Waffenlieferungen, Aufrüstung und Sanktionen zu folgen als gegen den Strom zu schwimmen.

Deshalb habe ich großen Respekt vor allen Politiker*innen, die andere Lösungswege suchen, auf Waffenstillstandsverhandlungen und Diplomatie drängen – und das schwierige Gespräch mit Russlands Präsidenten nicht scheuen. So wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der regelmäßig mit Putin telefoniert oder der österreichische Kanzler Karl Nehammer, der sich trotz internationaler Kritik mit ihm getroffen hat. Auch, dass Bundeskanzler Olaf Scholz sich bei der Lieferung von Panzern und anderen schweren Waffen an die Ukraine bis vor kurzem zurückgehalten hat, finde ich richtig. Die irische Europaabgeordnete Clare Daly hat im EU-Parlament gefordert, statt immer mehr Waffen in die Ukraine zu pumpen, die den Krieg und das Leid der Menschen dort nur verlängerten, müssten sich die EU-Politiker*innen endlich an einen Tisch mit Russland setzen und eine Lösung finden.

Es gibt keine einfachen Antworten auf den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg von Russlands Präsident. Der Ruf nach Waffen ist jedoch eine reflexhafte Reaktion auf Gewalt und Aggression. Gewalt führt zu Gegengewalt und zu einer Eskalationsspirale, die in einer großflächigen Zerstörung der Infrastruktur der Ukraine mit Zehntausenden Toten und Millionen Geflüchteten und letztlich im Atomkrieg enden könnte. Wladimir Putin hat mit Atomwaffen gedroht. Ihr Einsatz ist laut russischer Nukleardoktrin möglich, wenn die Existenz der Russischen Föderation auf dem Spiel stehe. Vor diesem Hintergrund können Waffenlieferungen zu einer extrem gefährlichen Eskalation führen.

Gemäß Artikel 51 der UN-Charta ist es völkerrechtlich zulässig, einem angegriffenen Land im Rahmen kollektiver Verteidigung zu Hilfe zu kommen. Jedes Land kann aber entscheiden, ob es den angegriffenen Staat mit Waffen beliefern und damit selbst zur Kriegspartei werden will oder ob es neutral bleiben möchte. Deutschland hat auf Grund seiner als zurückhaltend wahrgenommenen Außenpolitik in vergangenen Jahren die Rolle eines Vermittlers in Kolumbien, Libyen und auch der Ostukraine eingenommen. Nach der Lieferung von Waffen an die Ukraine wie Panzerabwehrwaffen, Boden-Luft-Raketen sowie Flugabwehrraketen ist der Status eines neutralen Vermittlers nicht mehr möglich. Wer Kriegspartei ist, der kann nicht länger glaubwürdiger Gastgeber von Friedensverhandlungen sein. Vierertreffen im Normandie-Format sind kaum noch vorstellbar.

Dass ausgerechnet eine grüne Bundesaußenministerin Annalena Baerbock die Lieferung von schwerem Gerät fordert, hätte ich mir nicht träumen lassen. Der ehemalige militärpolitische Berater von Angela Merkel, Ex-Brigadegeneral Erich Vad sagte: „Wir müssen den laufenden Krieg zwischen Russland und der Ukraine vom Ende her denken. Wenn wir den Dritten Weltkrieg nicht wollen, müssen wir früher oder später aus dieser militärischen Eskalationslogik raus und Verhandlungen aufnehmen". Auch nach Einschätzung des Militärexperten Carlo Masala könnte Präsident Wladimir Putin seine Entschlossenheit auch mit Hilfe einer taktischen Atomwaffe demonstrieren. CIA-Chef Bill Burns warnte ebenfalls, einen möglichen russischen Einsatz taktischer Atombomben angesichts der militärischen Rückschläge für Russland in der Ukraine nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Eine verkehrte Welt: Die Partei von Petra Kelly will die Ukraine mit schweren Waffen aufrüsten – Militärs warnen.

Mehr Waffen und mehr Militär lösen keine Konflikte. Vielmehr verschärfen sie die Lage und verlängern den Krieg. Das zeigen die Kriege in Afghanistan, im Irak, in Syrien, in Libyen und im Jemen auf drastische Weise. Sie hinterlassen Hunderttausende von Opfern, zerstörte Städte und ein Machtvakuum, in dem weder staatliche noch traditionelle Institutionen den Menschen Sicherheit gewährleisten. Waffenlieferungen führen dazu, dass sich die Wahrscheinlichkeit eines Konfliktausbruchs, die Konfliktdauer und die Konfliktintensität erhöhen. Das belegt eine Studie der Ludwig-Maximilian-Universität München aus dem Jahr 2018, die Rüstungsexporte großer, konventioneller Waffen von 1973 bis 2013 in 137 Staaten analysierte. Danach steigern Rüstungsexporte die Wahrscheinlichkeit, dass in Ländern mit großen politischen Spannungen innere Konflikte eskalieren um bis zu 21 Prozent. Ein Grund: mit erhöhter militärischer Kapazität wächst die Bereitschaft der Regierungen, gewaltsame Strategien einzusetzen.

Kriege lassen sich nur beenden, wenn die Beteiligten ernsthaft zu Verhandlungen bereit sind. „Militärisch betrachtet ist das erst der Fall, wenn beide Seiten kriegsmüde sind. Aber wenn eine Seite das Gefühl hat zu gewinnen, dann verhandelt sie nicht. Und im Krieg hat eine Seite immer das Gefühl, dass sie gerade am Gewinnen ist. Daher führt eine Gewinn- oder Verlustsituation nur selten zu Friedensverhandlungen. Die Idee, der Krieg ließe sich mit Waffenlieferungen schnell beenden, entbehrt jeglicher empirischen Grundlage“, so Jan van Aken, Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung gesagt. Waffenlieferungen seien Politikersatz. Sie sind das, was Deutschland nicht wehtut, so Jan van Aken.

Deutschland ist unter den fünf größten Waffenexporteuren der Welt, knapp 9 Mrd. US-Dollar Umsatz erzielten die deutschen Rüstungsfirmen 2020. Die parlamentarische Kontrolle von Rüstungsexporten wurde lange als intransparent und inkohärent kritisiert. Die Vorgängerregierungen lieferten – entgegen der deutschen Rechtslage – nicht nur in Krisengebiete, sondern sogar an kriegsführende Staaten wie Saudi-Arabien. Die Grünen haben sich in der neuen Bundesregierung zum Ziel gesetzt, „eine restriktive Rüstungsexportpolitik“ zu verfolgen und „grundsätzlich keine Waffen in Spannungs- und Krisengebiete“ zu liefern. Die Lieferungen von Waffen an die Ukraine bedeuten das Gegenteil und schaffen einen gefährlichen Präzedenzfall.

Mir persönlich imponiert das Konzept der Sozialen Verteidigung, das die Friedensforschung bereits in den Fünfzigerjahren entwickelt hat. Es bietet die Chance zum Erhalt der Städte und Infrastruktur bei weitaus weniger Toten und Verletzten. Es gibt zahlreiche historische Beispiele für den Erfolg dieser gewaltfreien Strategie, zu der zahlreiche Möglichkeiten der Nichtkooperation mit dem Aggressor zählen wie Verweigerung, ziviler Ungehorsam oder Generalstreiks. Auch Menschen in der Ukraine gehen diesen mutigen Weg. Darauf hat Christine Schweitzer vom Bund für soziale Verteidigung hingewiesen. Es gebe etliche Berichte von Bürgermeistern, die sich weigerten, die Anweisungen des russischen Militärs zu befolgen. Im Moment des Angriffs hätten sich unbewaffnete Menschen Panzern entgegengestellt, und die Panzer seien teilweise wirklich abgedreht. Christine Schweitzer macht darauf aufmerksam, dass die Ukraine schon zweimal Erfahrungen mit zivilem Widerstand gemacht hat in den letzten 20 Jahren - 2004 in der Orangenen Revolution und 2014 auf dem Maidan. Zugegebenermaßen hat das Konzept aber Grenzen, wenn der Aggressor bereit ist, die Bevölkerung anzugreifen. Eine Alternative für die Städte wäre, sich zu „unverteidigten Städten“ gemäß dem I. Zusatzprotokoll des Genfer Abkommen von 1949 zu erklären. Durch dieses Konzept konnten im Zweiten Weltkrieg die Zerstörung zahlreicher Städte verhindert werden. Darauf weist der Völkerrechtler Prof. Norman Paech hin.

Die Vorstellung, dass die Menschen in der Ukraine die Verteidigung „unserer Werte“ mit ihrem Leben und der Zerstörung ihrer Städte bezahlen, finde ich unerträglich. Wir müssen das furchtbare Leiden der Menschen in der Ukraine so schnell wie möglich beenden. Dafür brauchen wir einen Waffenstillstand oder zu mindestens lokale Waffenstillstände und Fluchtkorridore. Das ist nur über Verhandlungen möglich. Welche neuen Wege der Diplomatie hat die grüne Außenministerin bisher ausprobiert? Hat die Bundesregierung Mediator*innen ins Spiel gebracht oder diplomatische Initiativen von Regierungen neutraler und bündnisfreier Staaten angeregt? Hat sie sich gegenüber der USA und den NATO-Staaten für Gespräche mit China und Indien stark gemacht, um diese dazu zu bewegen, Russland unter Druck zu setzen? Oder finden diese Initiativen hinter verschlossenen Türen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt?

Der in Kiew lebende ukrainische Pazifist Jurii Sheliazhenko, Vorstandsmitglied von „World Beyond War“, fordert: „Was wir brauchen ist keine Eskalation des Konflikts mit mehr Waffen, mehr Sanktionen, mehr Hass auf Russland und China, sondern stattdessen umfassende Friedensgespräche.“

Wer zulässt, dass die Welt erneut in feindliche Blöcke zerfällt, ohne dem mit aller Macht entgegenzutreten, hat einen schweren Stand im Kampf gegen die Klimakatastrophe, gegen Pandemien und für die Millenniumsziele. Daher ist das Engagement der Friedensbewegung für Frieden, Abrüstung, Völkerverständigung und Feindbildabbau heute wichtiger denn je. Dafür brauchen wir Verbündete – auch in der grünen Partei.

Angelika Wilmen ist Geschäftsstellenleiterin und Friedensreferentin bei der IPPNW.

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Geschrieben von

Angelika Wilmen

Angelika Wilmen, Friedensreferentin der IPPNW

Angelika Wilmen

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