Radioaktive Wolke über Berlin?

Atomunfall Im Experimentierreaktor Berlin-Wannsee kann es jederzeit zu einer Atomkatastrophe und somit zur Freisetzung relevanter Mengen an Radioaktivität kommen.

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http://www.ippnw.de/commonFiles/bilder/Atomenergie/BERII_aktion.jpgIm Experimentierreaktor Berlin-Wannsee (BER II) kann es – beispielsweise durch einen Flugzeugabsturz – jederzeit zu einer Atomkatastrophe und somit zur Freisetzung relevanter Mengen an Radioaktivität kommen. Der Reaktor liegt am Stadtrand Berlins in einem Wohngebiet. Je nach Wind und Wetter könnte die radioaktive Wolke quer über Berlin ziehen und große Teile des Stadtgebiets verstrahlen. Die gesundheitlichen Auswirkungen für die Bewohner, die ökologischen Folgen und die wirtschaftlichen Konsequenzen für die Stadt wären unabsehbar. Auch die brandenburgische Hauptstadt Potsdam und das weitere Umland wären akut gefährdet.

Die Ärzteorganisation IPPNW fordert bereits seit langem die Stilllegung des Experimentierreaktors. Die Gefahr, die von ihm ausgeht, ist nicht hinnehmbar.

Was macht der Berliner Atomreaktor?
Der Atomreaktor Wannsee liefert Neutronen für wissenschaftliche Untersuchungen, die nach Auskunft der Betreiber überwiegend für Materialforschung benötigt werden. Der erste Berliner Experimentierreaktor (BERI) war zwischen 1958 und 1972 in Betrieb. 1974 wurde er stillgelegt und in den so genannten „sicheren Einschluss“ überführt. Im Dezember 1973 wurde der Nachfolge-Reaktor BER II mit einer Leistung von 5 Megawatt (MW) in Betrieb genommen. 1991 wurde die Leistung auf 10 MW erhöht. Da der Experimentierreaktor bei Normaldruck arbeitet, besitzt er keinen Reaktordruckbehälter wie alle anderen, stromerzeugenden Atomkraftwerke. Es handelt sich vielmehr um einen so genannten „Schwimmbadreaktor“, bei dem der Kern des Reaktors in einem offenen Wasserbecken hängt. Der Reaktor befindet sich in einer einfachen Industriehalle, ohne besonderen Schutz gegen Einwirkungen von außen.

Wer betreibt und finanziert den Berliner Atomreaktor?
Der BER II wird vom Helmholtz-Zentrum Berlin betrieben, einer GmbH des Bundes und des Landes Berlin. Das Helmholtz-Zentrum ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft. In deren Führungsgremien sitzen u.a. Vertreter des Rüstungskonzerns EADS/Airbus, des Atomkonzerns EnBW, des Chemiekonzerns BASF, der IBM Deutschland und der Robert Bosch Industrietreuhand. Die Grundfinanzierung erfolgt zu 90 % vom Bund und zu 10 % vom Land Berlin und kostet die Steuerzahler über 35 Millionen Euro pro Jahr. Die Aufsicht führt die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz.

Wie sicher ist der Atomreaktor?
Der Reaktor ist seit 42 Jahren in Betrieb. Sein Schutzkonzept wurde von 1973 fortgeschrieben. Der Reaktor liegt mitten in einem Wohngebiet und gilt als sehr störanfällig. Allein von Mitte 1991 bis Ende 2014 gab es etwa 66 meldepflichtige Ereignisse, darunter mindestens 34 Reaktorschnellabschaltungen. Auch wenn der Betreiber einen schweren Reaktorunfall für nahezu unmöglich hält, haben Tschernobyl und Fukushima demonstriert, wie verwertbar solche optimistischen Annahmen in der Realität sind. Zudem hat die Reaktorsicherheitskommission unmissverständlich festgestellt, dass der Berliner Atomreaktor gegen einen Flugzeugabsturz nicht gesichert ist und eine Kernschmelze nicht ausgeschlossen werden kann. Auch andere Szenarien sind vorstellbar, bei denen es zu einem substanziellen Schaden im Reaktor kommen könnte – zum Beispiel Sabotage, ein Hacker- oder Terrorangriff.

Welche Folgen hat ein Atomunfall?
Unabhängig von der Ursache kommt es bei einer Kernschmelze im trocken gefallenen Reaktorbecken zur Freisetzung großer Mengen radioaktiven Materials, u.a. von Radioisotopen wie Jod-131, Cäsium-137 und Strontium-90. Diese Stoffe kön-nen über Luft, Wasser oder Nahrung vom Menschen aufgenommen und in Organen wie der Schilddrüse, den Knochen, den Muskeln oder der Lunge eingelagert werden. Dort können sie z.T. über lange Zeit das umliegende Gewebe verstrahlen und durch Zellschäden und Mutationen zu Krebs und anderen Krankheiten führen. Insgesamt gehen die Betreiber von einer Gesamtemissions-
menge über 50 Millionen GBq aus. Eine radioaktive Wolke würde, je nach Windrichtung und Wetterbedingungen, den Großraum Berlin mit seinen mehr als 3,5 Millionen Einwohnern durch radioaktiven Niederschlag bedrohen. Bei schwachem Wind aus Südwest (Windgeschwindigkeit ca. 20 km/h) könnte die radioaktive Wolke nach einer Stunde bereits das Zentrum Berlins erreichen. Das offizielle Katastrophenschutzkonzept sieht allerdings nur bis zu 4 km Entfernung Evakuierungen vor. In einem Umkreis von bis zu 8 km würde die Bevölkerung aufgefordert, im Haus zu bleiben, um den Kontakt mit radioaktivem Niederschlag zu vermeiden. Zur Verringerung des Schilddrüsenkrebsrisikos müssten in kürzester Zeit Jodtabletten an die Bevölkerung verteilt werden, wobei völlig unklar ist, auf welchem Wege dies im allgemeinen Chaos der Evakuierungen und der Panik geschehen könnte.

IPPNW-Ärzte und Ärztinnen proben am Tschernobyl-Jahrestag, 26. April 2015 von 11-13 Uhr im Berliner Mauerpark den Ernstfall und simulieren eine Atomkatastrophe.
Das Szenario: Am Morgen des 26. April 2015 ist es im Berliner Experimentierreaktor (BER II) im Berlin-Wannsee zu einer Kernschmelze gekommen. Die Ursache ist noch unklar. Es kam zu einer großen Explosion, der offen stehende Reaktor brennt. Schwarze Schwaden hängen in der Luft. Der Wind bläst schwach von Südwest und trägt den radioaktiven Niederschlag Richtung Stadtmitte. Der Mauerpark im Prenzlauer Berg liegt mitten im Durchzugsgebiet der radioaktiven Wolke. Die Menschen müssen aus dem betroffenen Gebiet evakuiert, vorher jedoch untersucht und dekontaminiert werden.

Die Ärzte werden ein Dekontaminsationszelt aufbauen, die Menschen über die Gesundheitsgefahren informieren, sie dekontaminieren und ihnen gegebenenfalls Jodtabletten verabreichen. Sie sind herzlich eingeladen, bei der Aktion mitzumachen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Wilmen

Angelika Wilmen, Friedensreferentin der IPPNW

Angelika Wilmen

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