Zu diesem Bescheid hat sich die Nationale Wahlbehörde zumindest schon durchgerungen: Der linke Präsidentenbewerber Pedro Castillo liegt mit 44.000 Stimmen oder 50,13 Prozent vor Gegenkandidatin Keiko Fujimori, die auf 49,87 Prozent kam. Allerdings ist das Ergebnis auch mehr als zwei Wochen nach der Abstimmung nicht offiziell bestätigt. Fujimori weigert sich, ihre Niederlage anzuerkennen, und will satte 200.000 Stimmen mit einer Klage beim Wahlgericht für ungültig erklären lassen. In über 800 Wahllokalen, die in den Hochburgen ihres Kontrahenten liegen, sei es zu irregulären Vorgängen gekommen. Wie das ausgeht, ist offen. Der konservative Anwalt Javier Villa Stein fordert den Obersten Gerichtshof gar auf, die Wahl komplett zu annullieren, während pensionierte Offiziere zum Einschreiten des Militärs aufrufen.
Je länger über das Wahlergebnis gestritten wird, desto klarer wird, dass der Betrugsvorwurf auf Sand gebaut ist. Zahlreiche Wahlhelfer, die laut Fujimori-Lager Unterschriften gefälscht haben sollen, konnten die Vorwürfe entkräften und widerlegen. Zudem erklären die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und internationale Wahlbeobachter, es gebe an diesem Votum nichts zu beanstanden. Auch Alfredo Torres, Vorstand des peruanischen Meinungsforschungsinstituts IPSOS, sieht keine Anzeichen für systematischen Betrug. Er gehe davon aus, dass vom Wahlgericht womöglich eine geringe Zahl an Stimmen annulliert werde, doch nicht in dem Maße, dass sich am Ergebnis etwas ändere. Um „Zweifel zu streuen über diese äußerst knappe und polarisierte Wahl“, reiche eine solche Entscheidung indes allemal.
Fujimori drohen 30 Jahre Haft
Keiko Fujimoris Ziel besteht eindeutig darin, dem Votum, vor allem aber einer Präsidentschaft Castillos die Legitimation zu bestreiten. Es zeigt sich nun, wie heuchlerisch der Wahlkampf war, in dem auch liberale Schwergewichte wie Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa zu ihrer Wahl aufriefen, da sie die einzige Option „zur Rettung der Demokratie“ sei. Tatsächlich würde das höchste Staatsamt vor allem Fujimori retten, die im März bereits von der Staatsanwaltschaft wegen Korruption, Geldwäsche und Drogenhandels angeklagt wurde. Ihr drohen bis zu 30 Jahre Haft, falls ihr die Präsidentschaft nicht zunächst Immunität verschafft.
In dieser Situation kann Pedro Castillo, ein Grundschullehrer aus einem Andendorf (der Freitag 20/2021), auf die Unterstützung seiner Anhänger zählen. Tausende verteidigen bei Demonstrationen die Wahl ihres Favoriten. Da auch Fujimori in ähnlicher Weise mobilisiert, sorgt das für eine aggressive Stimmung. Einmal mehr zeigt sich, wie polarisiert das Land momentan ist. Was die Spannungen nicht eben mindert, sind die Kräfteverhältnisse im Kongress. Castillos Partei Perú Libre verfügt in der Kammer über lediglich 37 von 130 Sitzen, während der Mitte-rechts-Block auf über 80 Mandate kommt, stärkste Fraktion ist hier Fujimoris Fuerza Popular. Insofern spricht vieles dafür, dass die lähmenden Machtkämpfe zwischen Kongress und Regierung, die seit 2017 andauern, nicht abreißen werden. Sollte es je so weit kommen, dass Castillo eine Regierung bildet, werden ihn seine Gegner vermutlich ständig als Wahlfälscher schmähen.
Castillo verachtet die Eliten
Als wenig hilfreich könnte sich erweisen, dass Castillos Partei ebenfalls eine Klage beim Wahlgericht eingereicht hat, um Stimmen annullieren zu lassen. Mittelfristig bliebe für Perus Linke nur der Weg, durch eine neue Verfassung, die von breiten Teilen der Bevölkerung unterstützt wird, die oppositionelle Übermacht im Kongress in Schach zu halten. Entweder lassen sich dank einer neuen Konstitution die Kompetenzen der Legislative beschneiden oder deren Neuwahl veranlassen. In jedem Falle sind die Risiken erheblich.
Kurzfristig wird Castillos Verhältnis zum Führungspersonal in Politik und Wirtschaft entscheidend sein. Steven Levitsky, Lateinamerika-Forscher an der Harvard University, meint, dass der Linkskandidat „die Elite in Lima in Angst und Schrecken versetzt“ habe. Tatsächlich macht Castillo aus seiner Verachtung für das städtische Lebens besonders der weißen Eliten keinen Hehl. Er kam als Gewerkschafter in die Politik, hatte nie ein politisches Amt und verzichtete auf direkte Kontakte zum Establishment in Ökonomie und Staat. Doch müssen die Gräben nicht unüberwindbar sein: Perus Wirtschaftselite ist Pragmatismus nicht fremd, werden ihre Geschäftsinteressen respektiert. Dazu kann für Castillo ein Faktor von Vorteil sein: Die internationalen Rohstoffpreise, von denen die exportorientierte Wirtschaft maßgeblich abhängt, steigen seit Monaten stark an. Ein Rohstoffboom würde finanziellen Spielraum für die versprochene Sozial- und Gesundheitspolitik gewähren. Nur belastet die Ausbeutung dieser Ressourcen Mensch und Umwelt in den Abbaugebieten erheblich. Dem zu entgehen, wäre das Gebot der Zeit.
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