Manchmal möchte ich so sein wie er. Damit wir uns nicht missverstehen: Ich mag Guido Westerwelle nicht. Eigentlich nichts an ihm: weder seinen zickigen Charakter, noch seine aufgesetzte Gestik – und schon gar nicht seine politischen Vorschläge. Aber wenn ich ihn so sehe, denke ich manchmal: Der ist wie ein Osterhase. Oder mehr noch: wie ein Heiland. Er ist einer, der sich schon auf Erden unendliche Male wiedergeboren hat. Aus dem Guidomobil-Guido wurde der Freiheitsstatue-Guido und dann Guido der Staatsmann – auch wenn ihm das nicht alle abnehmen wollten. Aber allein in den letzten Wochen war er der Dafür- und der Dagegen-Guido. Atomkraft, Libyen, mit und ohne Parteivorsitz. Heute so. Und morgen ganz anders.
Ja, manchmal werden wir gewöhnlichen Fernsehzuschauer neidisch, wie schnell Politiker sich neu erfinden können. Wenn ich mir vorstelle, dass ich am Frühstückstisch sitze und meiner Tochter erkläre: „Kind, ab heute ist gelb grün“, lacht sie und denkt, wir machen das „Umgedrehtspiel“. Das Spiel, in dem wir sagen „Du bist doof“ und meinen: „Ich hab Dich lieb.“ Meine Tochter liebt dieses Spiel. Vielleicht wird sie irgendwann Politikerin.
Die Wiedergeburt ist normal
Der Unterschied zwischen mir und Guido Westerwelle ist, dass ihm die Farbe Gelb gehört – und mir nicht. Auf jeden Fall glaubt er das. Klar, ich kann zu Hause sagen: „Bis heute habe ich den Müll rausgebracht, ab morgen macht ihr das.“ Aber meine Familie ist so demokratisch, dass das nicht ohne lange Debatte funktionieren würde. Meine Tochter würde sagen, dass sie mitbestimme, was gelb ist und was nicht. Schließlich gehöre ihr die Farbe ebenso. Am Ende würde ich weiter den Müll rausbringen.
Wahrscheinlich ist die Politik die einzige Sphäre in diesem wenig religiösen Land, in der man noch fest an die Auferstehung glaubt. In der Politik ist das Umdefinieren – und die Wiedergeburt als jemand ganz anderes vollkommen normal. So macht es die Kanzlerin, so macht es der Außenminister, so hat es Oskar Lafontaine gemacht und so machen es derzeit die Grünen als neue Konservative. Nur wir Normalsterblichen müssen immer dieselben bleiben.
Für uns ist es ungleich schwerer, sich über Nacht als jemand anderes neu zu erfinden. Es ist uns unmöglich, nach einem Seitensprung einfach zu sagen: „Ach Schatz, Schwamm drüber, war ein Ausrutscher.“ Und selbst der privat-politische Kurswechsel ist für uns unvorstellbar. Wie wäre es nur, wenn ich jahrzehntelang Atomkraft-Nein-Danke-Sticker an der Tür hatte, mein Freundeskreis mich als Anti-AKW-Aktivisten kennt und ich – vielleicht weil ich eine Eingebung hatte – irgendwann aufstehe und sage: „Leute, ab heute bin ich in der FDP.“ Meine Freunde würden mich für verrückt erklären. Wenn ich überhaupt noch welche hätte. Denn wer will schon einen Prinzipien-Verräter als Kumpel.
Der zentrale Unterschied ist, dass Politiker eben nicht nur sich neu erfinden, sondern ihre gesamte Anhängerschaft gleich mit. Nehmen wir noch mal Guido Westerwelle. Der ist nun als Parteichef zurückgetreten. Man kann mir erzählen, was man will: aber das tut ihm weh. Das sagt er allerdings nicht. Im Gegenteil: Jetzt könne er sich auf das Amt des Außenministers konzentrieren, und überhaupt: In der FDP gebe es so viele junge Kräfte, und man müsse die auch mal machen lassen. Ich habe ernste Zweifel daran, ob die Leute von der FDP Philipp Rösler wirklich so nett und toll finden, wie die FDP das behauptet. Aber was bleibt den Parteimitgliedern anderes übrig, als ihn als Hoffnungsträger für die Wiedergeburt ihrer Partei zu akzeptieren. In der Politik ist es schließlich so: Wenn nicht alle mitziehen, wenn nicht alle am gleichen Tag ihren Kurs wechseln, wenn sich nicht alle Mitglieder per Anordnung ihres Messias neu erfinden, scheitert die Wiedergeburt.
Bei uns zu Hause wäre an so etwas nicht zu denken. Meine Tochter, meine Frau – die würden mir was erzählen, wenn ich von heute auf morgen neue Regeln einführen würde. Und selbst wenn ich erkläre: „Der Name Brüggemann ist in Gefahr, wir müssen als ganze Familie umdenken. Also: Es gilt, was ich sage.“ Nein, mit meiner Familie ist keine Partei zu machen. Und das ist – ehrlich gesagt – auch gut so.
Es fehlt das Korrektiv
Ich glaube, die Sache mit der Wiedergeburt auf Erden hat auch etwas mit dem Kosmos der Politik zu tun. Der hat etwas Göttliches. Es fehlt ihm das Korrektiv des Menschenverstandes. Der wird angeblich durch die Medien übernommen, die ja so eine Art Volk darstellen sollen. Doch diese merkwürdige Macht bleibt anonym. Möglicherweise macht es Westerwelle sogar Spaß, seinen Kurs vor hunderten Mikrofonen einfach so zu ändern. „Ätschmann-Bätschmann“ denkt er sich dann. Und sollte jemand ihn fragen, wie das sein könne, fängt er an, zu erklären, dass die Welt sich eben geändert habe – wer sich nicht mir ihr ändere, sei ein ewig Gestriger. Ob er das seinem Freund, seiner Mutter oder sonst wem auch so sagen würde?
Auf jeden Fall bewundere ich Westerwelle – und viele andere Politiker. Sie haben, qua Amt, die Möglichkeit, sich neu zu erfinden. Das Recht auf ewige Wiedergeburt innerhalb ihres Daseins auf Erden ist ihrer schier messianischen Rolle geschuldet. Wahrscheinlich verstehen sie sich wirklich als Nachfolger Jesu – und es gehört zu einem ihrer Rituale, sich vor der Jüngernschaft ewig neu zu erfinden.
Nur ein Leben
Wir Normalos dagegen haben nur ein Leben. Und da müssen wir genau sehen, was wir fordern. Wir können nur sein, was wir sind. Wir entwickeln langfristige Lebenspläne, unsere politischen Vorstellungen können sich ändern – aber nur über Jahre und Jahrzehnte. Wir sind unseren Mitmenschen gegenüber verpflichtet. Und die ertragen es nicht, jeden Tag einen anderen Vater am Küchentisch sitzen zu haben.
Aber es gibt noch einen letzten, entscheidenden Unterschied zwischen Guido Westerwelle und mir: Ich bin glücklich mit meinem einem Leben.
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