Aufwind aus dem Westen

#SochiProblems Es gehört zum guten Ton unseres öffentlich-rechtlichen Fernsehens, die Olympischen Spiele zu kritisieren. Aber das Sotschi-Bashing nützt Putin
Ausgabe 07/2014

Wir, liebe Kampfgenossen der bunten und schönen Luxuswelt, leben in jenem Teil der Erde, in dem Political Correctness groß geschrieben wird. Schwule und Lesben? Wir solidarisieren uns! (Na gut, mit Ausnahme von Jens Lehmann). Wenn ein Fernsehmoderator Sahra Wagenknecht unterbricht, mobilisieren wir Netzpetitionen. Und wenn wir eingeladen werden, aber unsere Freunde vergessen haben, die Kloschüssel zu spülen, verzichten wir darauf, einen bebilderten Shitstorm im Netz auszulösen. Wir Westler sind eben gute Menschen.

Am neuen Hashtag #SochiProblems haben wir aber unsere helle Freude. 13.000 Medienvertreter sind in Sotschi, dazu Millionen Privat-Twitterer. Und die verbreiten schockierendes Bildmaterial: Fleckige Zimmerwände, orangefarbenes Waschbeckenwasser, streunende Hunde. „Schaut euch dieses schlimme Land an!“, kreischen die Bilder. Manche sind daheim geblieben und stellen einfach Fotos einer demolierten Straße in Wien als „Sotschi-Problem“ ins Netz – was etwa dazu führte, dass CNN schwer erschüttert über das arme Mütterchen Russland berichtete.

Ressentiments statt Respekt

Es gehört zum guten Ton unseres öffentlich-rechtlichen Fernsehens, dass das ZDF zur Eröffnung der Olympischen Spiele nicht in Feier-, sondern in Mäkellaune war: Geldverschwendung! Kitsch-Brimborium im Unterdrückungsstaat! Mehr Sendezeit als das Doppelrodeln bekommen nur die Barbesuche in Moskauer Schwulenkneipen. Wir wollen das Land von Tschaikowsky und Tschechov als Zarenreich Putins und als abgewirtschaftete Kommunismus-Ruine sehen und verwandeln Dostojewskis liebevolle Kritik an Wodka-Trinkern und der Unregierbarkeit des Giga-Landes gerade in billigsten Bashing-Boulevard. Wir pflegen Ressentiments statt Respekt. Das ist Besser-Wessi-rei vom Feinsten!

Leider ist das IOC als Korruptions-Molloch kein guter Absender – aber ich fand es eigentlich gut, was IOC-Präsident Thomas Bach zur Eröffnung sagte: Die Olympischen Spiele seien nicht zum Protestieren da, sondern ein Raum, in dem Menschen mit unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Hintergründen zusammenkämen. Mit dem kalten Bashing-Krieg im Netz disqualifizieren wir uns selbst. Die beiden Lesben, die das ZDF begleitet hat, erklärten, dass sie sich auf die Spiele freuten, und sagten: „Jetzt berichtet ihr über uns. Aber dann seid ihr weg.“ Der Medien-Tross wird nach Brasilien und Katar fahren – und Putin wird sich freuen. Er hat erreicht, was er wollte: Sein Land kennt nun die Überheblichkeit des Westens.

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Geschrieben von

Axel Brüggemann

Journalist und Autor in Wien und Bremen.

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