Bremen: Die Wahl, die niemand gewinnen will – und Rot-Rot-Grün wohl verlieren wird

Hansestadt Ein Wahlkampf, entkoffeiniert wie eine Tasse Kaffee Hag: Bremen schleppt sich der Bürgerschaftswahl entgegen. Die Kritik an den Grünen, der Kampf der Linken und die sich abzeichnende Koalition erinnern an den Urnengang zuletzt in Berlin
Dieses Plakat am Bremer Roland vor dem Rathaus („Ist ja Wahl“) soll die Beteiligung erhöhen, 2019 lag sie bei 64 Prozent
Dieses Plakat am Bremer Roland vor dem Rathaus („Ist ja Wahl“) soll die Beteiligung erhöhen, 2019 lag sie bei 64 Prozent

Foto: Imago/Eckard Stengel

Dieser Wahlkampf ist so spannend wie ein Mikado-Turnier. Keiner der Bremer Spitzenkandidatinnen oder Spitzenkandidaten scheint ein ernsthaftes Interesse daran zu haben, dass sich nach dem Wahltag am 14. Mai irgendetwas in Bremen bewegt. Dabei hätte das kleinste Bundesland Bewegung bitter nötig: Bremen ist Schlusslicht bei den PISA-Studien, 28 Prozent der Bevölkerung sind von Armut betroffen (Bundesschnitt: 16,6 Prozent), die Arbeitslosenquote liegt bei 10,5 Prozent (Bundesdurchschnitt: 5,7 Prozent), Bremen verzeichnet die meisten Straftaten und die höchste Pro-Kopf-Verschuldung aller Bundesländer sowie ein gigantisches Einkommens-Gefälle; und viele große Firmen haben dem Stadtstaat bereits den Rücken gekehrt: Coca-Cola, Kellogg, die Pilotenschule der Lufthansa oder der Schokoladenfabrikant Hachez.

All das wären beste Voraussetzungen für die CDU, um ein Ende der Rot-Rot-Grünen Landesregierung einzuläuten. Aber ändern würde sich – auch mit einer Koalition aus SPD und CDU – an der Bremer Politik wohl wenig. Die Wahlkampfauftritte der Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten sind alles andere als flammende, demokratische Streit-Veranstaltungen. Sie erinnern eher an einen von Talk-Arena zu Talk-Arena ziehenden Politiker-Zirkus, in dem sich alle in ihren Positionen eingerichtet haben: der strahlende SPD-Direktor mit der Gitarre, die Pierrot-Träumerin der Grünen, die Finanz-Seiltänzerin von den Linken, der Moin-Moin-Mann am Kassenhäuschen von der CDU und der Clown von der FDP.

Frank Imhoff, der CDU-Chihuahua

Dass der Bremer Wahlkampf entkoffeiniert wie eine Tasse Kaffee Hag wirkt, liegt vor allen am zahnlosen Auftreten der CDU-Opposition. Seit Jahren schafft sie es einfach nicht, Bremens Misere für sich zu nutzen. Wohl auch, weil sie es gar nicht will: Es scheint viel gemütlicher, in der Oppositions-Ecke zu schmollen oder – wenn es denn sein muss – am Katzentisch der Regierung Platz zu nehmen. Immer wieder hat die Partei ihre Spitzenkandidaten verheizt, im letzten Wahlkampf den Unternehmer Carsten Meyer-Heder, der – obwohl wenig charismatisch – die Wahl gewann, dann aber keine Regierungskoalition zusammenbekommen hat. Zuweilen scheint es, als wolle die Bremer CDU-Spitze um ihr Mastermind, ihren Strippenzieher, den Anwalt und Notar Thomas Röwekamp, die Macht gar nicht. Röwekamp selber lehnte es ab, als Bürgermeister-Kandidat ins Rennen zu gehen und ließ sich bei der letzten Bundestagswahl lieber auf Listenplatz eins nach Berlin schicken, wo er heute ebenfalls – eher unsichtbar – auf der Oppositionsbank sitzt.

Dieses Mal musste also der Präsident der Bremischen Bürgerschaft ran, der ehemalige Landwirt Frank Imhoff (54). Auf Podiumsdiskussionen wirkt er ein bisschen wie ein CDU-Chihuahua, der Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) zwar gern ankläfft, aber keine Gefahr für die sozialdemokratischen Waden darstellt. Imhoff erweckt nicht den Eindruck, als hätte er ernsthaft Ambitionen, das Amt des Grüß-Gott-August gegen die harte Arbeit am Kabinettstisch einzutauschen. Es spricht auch nicht von Selbstbewusstsein, dass er im „Tandem“ gemeinsam mit der 27-jährigen Juristin Wiebke Winter antritt. Und die in grelles Orange gepackte Kampagne der CDU wirkt eher wie eine Einladung zum politischen Suizid: Mit dem Gender-Wortspiel „Für BreMEN und BreWOMEN“ verprellt die Partei ihre alten Gender-Gegner-Stammwähler und macht sich gleichzeitig bei einer jungen Klientel lächerlich. All das wirkt so kindisch wie das Aufblasen der „Brötchentaste“ in Parkhäusern zum Wahlkampfthema – es handelt sich um einen Automaten-Knopf, der kurzes Parken kostenlos macht, und den die Grünen abgeschafft haben. Glaubt man den Umfragen, kann die CDU ihr Wahlergebnis von 2019 immerhin um einen knappen Prozentpunkt auf 27 Prozent verbessern.

Maike Schäfer, die grüne Ankündigerin

Zielscheibe der Bremer CDU sind in erster Linie die Grünen. Denen droht in ihrer einstigen Hochburg eine krachende Niederlage. In aktuellen Umfragen verliert die Partei mindestens vier Prozent und liegt derzeit bei 13 Prozent. Damit ist ihre Rolle als Koalitionspartner unsicher geworden. Das Gesicht dieses massiven Abwärtstrends ist Maike Schäfer (51). Sie hat sich als Senatorin für Umwelt, Mobilität und Bau viele Feinde gemacht – nicht nur in der Bremer Wirtschaft. Selbst eingefleischte Grüne belächeln ihre Verkehrspolitik, wenn sie die Hauptstraßen in Bremen mit experimentellen Holzverschlägen temporär verkehrsberuhigt. Insbesondere aber bleibt Schäfer eine Ankündigungs-Politikerin: versprochene Fahrradbrücken über die Weser entstehen einfach nicht, der Öffentliche Nahverkehr ist schlecht ausgebaut, und vieles bei den Grünen erinnert an eine innenstadtnahe Klientelpolitik, die in den Speckgürteln der Stadt nicht ankommt.

Die Partei wird zudem unglaubwürdig, wenn sie die Innenstadt für Menschen an den Rändern unattraktiv macht und gleichzeitig das große Naturschutzgebiet der Wesermarsch als Industriefläche auszeichnet und eines der wichtigsten Natur- und Naherholungsgebiete den Baggern freigibt. Schäfers großes Ziel ist es, Bremen bis 2050 klimaneutral zu machen – doch es könnte sein, dass sie darüber schon nächste Woche nicht mehr mitentscheiden könnte.

Kristina Vogt, die linke Wirtschaftssenatorin

Das liegt auch daran, dass die derzeit noch an der Regierung beteiligte Linke ebenfalls Verluste einfahren wird: In den Prognosen fällt die Partei von 11,3 auf neun Prozent. Das liegt allerdings weniger an Spitzenkandidatin Kristina Vogt (57), die sich als Wirtschaftssenatorin während der Pandemie einen durchaus guten Ruf bei Unternehmen erarbeitet hat. Vogt ist die Einzige, die derzeit ernsthaften Wahlkampf zu machen scheint und um eine weitere Amtszeit kämpft. Aber sie leidet unter den bundespolitischen Querelen der Partei, und ihr gelingt es nicht, auch im Westen eine Bodo-Ramelow-Mehrheit zu gewinnen.

Bleibt der amtierende Bürgermeister Andreas Bovenschulte (57). Der hatte 2019, obwohl seine SPD nur zweitstärkste Partei hinter der CDU wurde und Bürgermeister Carsten Sieling zurücktrat, mit der Rot-Rot-Grünen Koalition die Tradition gerettet, dass die SPD seit 1945 ununterbrochen in Bremen regiert. Er wird – wohl neben der CDU – der einzige Wahlgewinner werden: Prognosen sehen voraus, dass die SPD von 24,9 auf 30 Prozent zulegen wird.

Wie Olaf Scholz mit Gitarre

Bovenschulte ist eine Art Gitarre spielender Olaf Scholz, ein politischer Mikado-Großmeister. Einer, der abwartet, beobachtet, sich nicht bewegt, aber beim ersten Fehler der Konkurrenz erbarmungslos zuschnappt. Unter seiner Regierung haben sich die Eckdaten des Bundeslandes, besonders was Armut und Bildung betrifft, nicht sonderlich verbessert. Aber der Bürgermeister kann so gut lächeln und jovial reden, dass das niemanden wirklich auffällt. Er spricht nicht gern von dem, was er versäumt hat, sondern von dem, was er noch anpacken will – irgendwann. Nur über seine Koalitions-Vorlieben schweigt er sich aus. Dabei dürfte klar sein, dass er es nicht darauf anlegt, unbedingt erneut mit den erwartbaren Wahlverlierern, den Grünen und der Linken, zu regieren. Einiges deutet darauf hin, dass Bovenschulte dem CDU-Chihuahua Frank Imhoff das Bremer Halsband der Verantwortung anlegen wird, denn in einer rot-schwarzen Koalition könnte er noch bequemer regieren als jetzt.

Das ahnt wohl auch der mit Abstand blasseste Spitzenkandidat der Landtagswahl, Thore Schäck von der FDP. Nachdem Lencke Wischhusen die Partei bei der letzten Wahl auf knapp sechs Prozent gebracht hatte und dann zurück in die Wirtschaft gegangen war, stagniert die Partei nun knapp über der Fünf-Prozent-Hürde. Wohl auch, weil in Bremen niemand die FDP zum Mitregieren braucht. Eine Ampel scheint in der Hansestadt ebenso ausgeschlossen wie Jamaika. Nach Umfragen des ZDF-Politbarometers hätten eine Große Koalition unter Führung der CDU mit 38 Prozent die größte Zustimmung in der Bevölkerung, gefolgt von einer GroKo unter SPD-Führung (37 Prozent). Eine Regierung von SPD und Grünen kämen lediglich auf 33 Prozent Zustimmung, eine Fortsetzung von Rot-Rot-Grün nur auf 28 Prozent. Und so wird in Bremen nach dieser Wahl vielleicht tatsächlich alles ganz anders werden, um am Ende genau so zu bleiben, wie es immer war.

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Geschrieben von

Axel Brüggemann

Journalist und Autor in Wien und Bremen.

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