Das Bayern-Prinzip

Fußball Der FC Bayern München ist die CSU auf dem Rasen – Klinsmanns Rauswurf zeigt den Frust der Führung. Und macht Hoffnung für die nächste Bundestagswahl

Eigentlich bin ich ja Werder-Fan. Aber in dieser Saison liegt die Sache ein bisschen anders. Viele Vereine spielen so gut, dass man sie einfach lieben muss. Also bin ich inzwischen auch Hertha-, Hoffenheim-, und Wolfsburg-Fan. Das alles lässt sich mit dem einfachen Satz zusammenfassen: „Hauptsache nicht die Bayern!“
Um es gleich klar zu stellen: Ich bin nicht für diese Vereine, weil sie oben stehen, sondern ich juble darüber, wie sie oben stehen – mit Witz, Spielfreude, Teamgeist und Taktik!

Meine multiple Fanpsychologie war schon als Kind angelegt. Ich habe in Werder-Bettwäsche geschlafen und mich mit einem Bayern-Handtuch abgetrocknet. Im Bremer Freibad habe ich gespürt, dass die Organisation meiner Fanartikel etwas problematisch war. So musste ich Sepp Maier und Paul Breitner nach jedem Badegang verteidigen. Habe das aber mit gutem Gewissen getan, weil sie Charaktere waren!

Inzwischen ist meine Leidenschaft für den FC Bayern abgestorben: Der Verein kauft zu viele gute Spieler für sein vieles Geld und hat doch kein Team. Was früher Charakter war, ist heute Diventum. Meine Sympathie hat spätestens mit Uli Hoeneß aufgehört.

Basta-Kanzler Klinsmann

Heute hat er Jürgen Klinsmann gefeuert. Mir wäre es lieber gewesen, er wäre selbst gegangen. So erinnert mich der FC an die CSU. Auch die hat sich zu lange selbstherrlich auf ihrer Basis ausgeruht – und wurde dafür bestraft. Ihr politisches Hoffenheim waren die Freien Wähler und die eigenen Machtapparate. Der politische Liga-Star hat so falsch reagiert wie die Bayern heute: Er hat seinen gewählten Trainer Beckstein entlassen, obwohl der von den Fans gewählt wurde.
Klinsmans Rauswurf bei den Bayern zeigt: Mit der Bayern-Moral ist es nicht weit her. Klar, seine rationalen Taktik-Interviews und seine optimistischen Dauerversprechen („Im nächsten Spiel werden wir siegen – die anderen werden einen Fehler machen“) haben sich am Ende angehört wie Angela Merkels Beschwörungen im Angesicht der Weltwirtschaftskrise.

Der FC-Bayern hat Klinsmann als Basta-Kanzler gekauft. Nun wird er als lahme Ente entlassen. Die Bayern wird diese Illoyalität eher tiefer in die Krise reißen als sie retten.

Letztlich gleicht Bayerns Abstieg dem Ende des Neoliberalismus: Viel Geld und teure Stars reichen nicht, wenn Leidenschaft, Wir-Gefühl und das Herz fehlen! Wenn Treue und Vertrauen nichts mehr bedeuten.

Selbstbewusstsein ist bei den Bayern höchstens noch die große Klappe. Luca Tonis Auftritt bei der Pressekonferenz („Kuranyi macht kein Tor. Wir gewinnen.“) erinnert eher an Horst Seehofer als an die geniale Flasche-Leer-Rede von Giovanni Trapattoni.

Der Geist von Hertha und Wolfsburg

Dass Politik nur eine Variante des Fußballs ist, müssten Deutschlands Politiker eigentlich wissen. Schließlich hat Angela Merkel bei der WM so herzzerreißend gejubelt, und Frank-Walter Steinmeier kennt die Kicker-Regeln noch aus dem Dorfverein. Wenn Guido Westerwelle diesen Wahlsommer ernsthaft mit 16 Prozent rechnet und die Linke glaubt, mehr Stimmen zu bekommen als die SPD, dann haben diese Parteien den Geist von Wolfsburg und Hertha begriffen.

Die Bundesliga steht Kopf. Und das macht Spaß. Felix Magaths taktische Medizinball-Strenge (FDP), Hoffenheims Spielspaß (LINKE), Herthas letzter Minute-Wille (GRÜNE), aber auch Stuttgarts Endspurt und die Taktik des HSV sollten politische Vorbilder sein.

Aber Obacht: Wer dem Tabellenvorletzten allein mit Abseitsfallen begegnet, so wie die Wolfsburger gestern den frech stürmenden Spielern von Energie Cottbus, wer den Druck der Herbstmeisterschaft nicht aushält, wie Hoffenheim, oder wer in letzter Sekunde den Flattermann bekommt wie der HSV, darf sich nicht zu früh freuen. Ein Spiel dauert 90 Minuten, ein Wahlkampf bis zum Wahltag um 18 Uhr.

Dann lieber das Werder-Mittelmaß: Wer seinen Trainer so lange hält wie die Bremer, setzt auf langfristige Siege – und gewinnt im DFB- und im UEFA-Pokal die Herzen. Aber auch hier sei der SV Werder gewarnt: ein Diego allein macht noch keinen Meister!

Die Bundesliga lehrt die Politik: wenn Wolfsbug, Hoffenheim und Co. die Nerven verlieren, geht die Wahl im schlimmsten Fall doch wieder aus wie die meisten Bundesliga-Saisons. Dann sorgen die kleinen Vereine zwar für Spannung, aber am Ende triumphiert der FC Bayern. Aber die CDU wird nicht so dumm sein, ihre Trainerin im Endspurt auszutauschen.

Ich habe mein Bayern-Handtuch auf jeden Fall endgültig entsorgt! Und wenn Wolfsburg Meister wird und Werder den DFB-Pokal holt, kann ich es auch verkraften, dass Franz Beckenbauer Deutschlands ewiger Präsident, äh, Kaiser bleibt.

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Geschrieben von

Axel Brüggemann

Journalist und Autor in Wien und Bremen.

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