Heute Abend, bei Einbruch der Dunkelheit, ist endlich Schluss mit lustig. Das Musikkorps der Bundeswehr wird den politischen Selbstbedienungshahn zudrehen und die moralloseste, entwürdigendste und peinlichste Präsidentschaft der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mit Gottes Segen und großem Tschingderassabumm beenden.
Es ist gut, dass Christian Wulff auf den Großen Zapfenstreich bestanden hat und nicht – wie seinerzeit Gustav Heinemann seine Freunde für den Amtsabschied zu einer Bootstour auf den Rhein geladen hat. Derartige Divertissements, die sich frühere Präsidenten höchstens zum Amtsabschied geleistet haben, hat Wulff bereits in seiner Regierungszeit ausschweifend gepflegt. Nun lässt er sich demutsvoll den Marsch blasen.
Ende der
n.Ende der AusschweifungenIm 19. Jahrhundert streiften Offiziere (von einem Trommler begleitet) durch die Gaststuben, schlugen mit einem Stock auf den Zapfen der Fässer und erklärten das ausschweifende Leben der Leibknechte für beendet. „Der vollkommen teutsche Soldat“ sollte nüchtern und maßvoll in den Kampf ziehen. Friedrich Willhelm III. hat den großen Zapfenstreich später zum Ritual ausgeweitet. Heute ist er die größte Ehrerbietung der Bundeswehr für Zivilisten: für scheidende Kanzler, Verteidigungsminister und Präsidenten. Jetzt wird Christian Wulff also auf den Zapfen geschlagen – der Selbstbedienungshahn der Politik endlich zugedreht. Gut so!Das Ritual ist umstritten. Pazifisten und Atheisten protestieren regelmäßig gegen die Liturgie von Militär und Glauben, aber 1962 hat selbst die DDR den Zapfenstreich eingeführt – mit Schostakowitsch’ Lied „Für den Frieden der Welt“. Durch die freie Wahl von drei Liedern ist der Zapfenstreich in der Bundesrepublik auch zu einem Spiegel der eigenen Amtszeit der Geehrten geworden. So wie der Zapfenstreich klingt, will der Politiker in die Geschichte eingehen. Er bestimmt den Soundtrack seiner historischen Größe. Gerhard Schröder hat die Armee kurzerhand in Hannover antreten lassen und sich nicht Stefan Raabs „Buddel Bier“ sondern das selbstbewusste „My Way“ ausgewählt. Nach Hartz IV war der Basta-Kanzler einsam, und mit Tränen der Rührung in den Augen flüchtete er direkt zur Gazprom. Theodor zu Guttenberg inszenierte sich mit „Smoke on the Water“ als letzter Rock’n Roller, und Horst Köhler wünschte sich den „Marsch der Elisabether“ von Johann Strauß – aus der Zeit Friedrich des Großen. Dazu den nostalgischen „St. Louis Blues“. Burnout in alten Zeiten.Größer dank BeethovenÜber Wulffs Track-List wird im Internet seit Tagen gespottet: „Money Money“ von Abba vielleicht? „Money for Nothing“ von den Dire Straits? Oder Beethovens „Wuth über den verlorenen Groschen“? Nix da! Beethoven schon – aber, bitteschön, seine neunte Sinfonie. Und die, wenn’s geht, auch nur als Zugabe. Denn Wulff kennt auch beim Zapfenstreich kein Maß. Anders als seine Vorgänger wählte er einen Bonus-Track. Ausgerechnet das abgegriffenste Werk der Musikgeschichte. Beethovens Klassiker, mit dem sich Hitler, die DDR, die Bundesrepublik, Europa, die Fußball-WM und eigentlich jeder und alles schmücken, was größer sein will, als es ist.Wulffs Sonnenuntergang wird mit Andreas Leonhardts „Alexandermarsch“ eingeleitet. Der Österreichische Armeekapellmeister hat das Stück 1853 zu Ehren des russischen Kaisers komponiert, der damals noch Zarewitsch, also Kronprinz war. Wir finden: passend. Schließlich galt Alexander als friedlicher Herrscher, der besonders durch seinen Wankelmut und seine fehlende Tatkraft auffiel. Seine Feinde brauchten gleich zwei Bombenanschläge, um ihn aus der Welt zu holen.Dass Wulff selbst durch die Realpolitik nicht den Glauben an die Märchenwelt verloren hat, zeigt sich in seinem Wunsch nach „Somewhere over the Rainbow“. Judy Garlands Hit ist der Soundtrack zum „Wizzard of Oz“ – der liebe kleine Wulff sehnt sich noch immer nach dem Rotkäppchen.Als Katholik wünscht sich der Ex-Präsident dann noch ein großes Stückchen Moral. Mit ihr ist Wulff gegenüber anderen stets großzügiger umgegangen als gegenüber sich selbst. Der Vorteil des Katholizismus ist die Beichte und das Vergessen. Dem erkennenden Sünder wird verziehen. Doch statt Abbitte zu leisten, lässt Wulff das mitleidige Kirchenlied „Da berühren sich Himmel und Erde“ aufspielen: „Wo Menschen sich vergessen, die Wege verlassen und neu beginnen, ganz neu. Da berühren sich Himmel und Erde. Wo Menschen sich verschenken, die Liebe bedenken und neu beginnen, ganz neu, wo Menschen sich verbünden, den Hass überwinden, da berühren sich Himmel und Erde – dass Frieden werde unter uns“.Ein Tränensicherer Hit. Ein akustisch süß-saurer Zapfenstreich steht uns bevor, ein Soundtrack so blass und einfallslos wie die Amtszeit des Präsidenten. Aber alles egal! Es ist höchste Zeit, dass ein Offizier endlich mit seinem Stab auf den Zapfen schlägt. Durch das nächtliche Tschingderassabumm ist das höchste Amt dann endlich wieder entsündigt. Das allerdings wäre eher Wagners „Parsifal“ – der aber steht nicht auf der Wunschliste von Wulff.