„Ich liebe Dich. Dein Apparat“

Internet Ein neues Google-Programm soll unsere Mails automatisch beantworten. Das könnte lustig werden
Ausgabe 46/2015

Google-Entwickler Bálint Miklós will die Welt ein bisschen leichter machen. Also: leichter zu bewältigen. Seine neueste Erfindung ist für Leute wie mich gedacht, für erfolgreiche, globetrottende und gefragte Genies, denen das Beantworten von E-Mails einfach unwürdig erscheint. Da soll Googles Smart Reply System helfen: Es durchkämmt Mails mit einem Algorithmus, erkennt, wer mir schreibt – und beantwortet, ohne dass ich mich darum kümmern muss, meinen Posteingang.

Das geht dann ungefähr so: „Herr Brüggemann, könnten Sie bei uns an der Uni einen Vortrag halten? Leider haben wir kein Geld, würden uns aber über Ihre Zusage freuen, da es sich um eine gute Sache handelt.“ Miklós’ neue Erfindung würde die Worte „leider kein Geld“ erkennen und umgehend in meinem Sinne antworten: „Danke für Ihre Anfrage, leider bin ich an diesem Tag unheimlich beschäftigt – vielleicht ein anderes Mal.“ Der Absender wird gespeichert und jede weitere Anfrage mit einem höflich ablehnenden Blabla quittiert.

Denkbar wäre auch diese Situation: „Hallo, Herr Brüggemann, haben Sie Lust, für den Freitag eine kleine Glosse über Googles neues Smart Reply System zu schreiben?“ Allein der klangvolle Name Freitag würde schon dafür sorgen, dass Google positiv antwortet, direkt auf meinen Kalender zugreift, alle bestehenden Termine absagt – und mir eine Erinnerung schickt, dass ich sofort mit dem Glossieren loslegen soll.

Man kann das Ganze natürlich noch in ganz andere Dimensionen weiterspinnen. Irgendwann werden mein Computer und mein Google-Algorithmus vollkommen losgelöst von mir mit den Computern und Algorithmen anderer korrespondieren – ohne dass wir, die Besitzer, das mitbekommen. Eine automatisierte Antwort wird von einer anderen automatisierten Antwort beantwortet, die wiederum ... Wäre das nicht eine unglaublich schöne neue Digitalwelt?

Und wenn wir trotz unserer Geschäftigkeit einmal Langeweile hätten, könnten wir einfach nachschauen, was unser Mail-Account gerade so treibt. Dank eines Programmierfehlers dürfte die Sache vorerst spannend bleiben, wie Branchenkenner nach mehreren (Selbst-)Tests berichten. Denn jener Programmierfehler führt dazu, dass viele Mails nach dem Zufallsprinzip mit einem standardisierten „Ich liebe Dich“ beantwortet werden. Mit etwas Glück können wir also ungestört arbeiten, leben, reisen und hätten, ohne es zu ahnen, das nächste Mal, wenn wir den Computer einschalten, schon wieder eine neue Affäre am Laufen. „Ich liebe Dich.“ – „Ich liebe Dich auch.“ – „Ich Dich noch mehr.“ – „Ich Dich aber auch, und noch viel mehr!“ Gegen solch explizite Effizienz sind die Briefe, die sich Heidegger und Hannah Arendt, Hemingway und Marlene Dietrich, Napoleon und Joséphine schrieben, einfach nur wortverschwenderische Zeittotschlägerei.

Ich kann es kaum erwarten, dieses wunderbare Antwortsystem zu installieren. Ich stelle mir vor, wie es auch auf all die Nachrichten antwortet, die ich aus Burma, den USA oder sonst woher bekomme: Regelmäßig schreiben mir irgendwelche Rechtsanwälte und bitten um meine Kontodaten und PIN-Codes, damit ich das Erbe ferner Verwandter, die ich gar nicht kenne, antreten, damit man mir endlich die 21 Millionen US-Dollar überweisen könne, die mir zustünden. Google kennt ja all meine Daten und kann sie ohne großes Suchen problemlos weiterleiten. So kann ich demnächst Millionär werden, ganz nebenbei. Das nenne ich Fortschritt.

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Geschrieben von

Axel Brüggemann

Journalist und Autor in Wien und Bremen.

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