Ist der Spiegel selber Teil der Lügenpresse, wenn er Umberto Eco – so wie Klaus Brinkbäumer im neuen Literatur Spiegel – als Lügenpresse-Demonstrant outet? Ja, hätte Eco sich seinen Medien-Roman Nullnummer (soeben auf Deutsch bei Hanser erschienen) gar sparen können und sich effektvoller in Mailand oder Dresden mit einem „Lügenpresse“-Schild auf den Marktplatz gestellt?
Nun, da es um Umberto Eco geht, den großen Semiologen, den Meister der Irritation und den Literatur-Magier des doppelten Bodens, liegen die Dinge natürlich etwas komplizierter und eignen sich nicht für das komprimierte Aussagenformat eines Protestplakats. Nullnummer ist eine Versuchsanordnung, die auf dem schmalen Grat von Verschwörungstheorie und Recherche, von Investigation und Sensationsjournalismus wandelt. Vordergründig geht es um die Frage, ob Mussolini tatsächlich gelyncht wurde – oder nur sein Doppelgänger. Beteiligt sind politische Kreise und der Vatikan.
Das typische Eco-Szenario besteht nun darin, dass diese Verschwörungs-These selber nur Recherche eines gigantischen Verschwörungs-Unternehmens ist, der Zeitung Domani (dt. „Morgen“), die gegründet wurde, um nie zu erscheinen. Ihre einzige Aufgabe ist es, dem sogenannten Commendatore (einem ziemlich platten Berlusconi-Double) Fakten gegen seine Widersacher in die Hand zu spielen und die eigene Biografie zu polieren. Die Recherche an der Mussolini-Theorie, die den Reporter das Leben kostet, ist letztlich selber nur Produkt einer politischen Verschwörungs-Einheit, die sich „Zeitung“ nennt.
Eco spiegelt also den Spiegel der Medienlandschaft und provoziert durch die doppelte Falschheit seiner Welt alle möglichen Verzerrungen. In der Domani-Redaktion segeln gescheiterte Journalisten ohne Eigenschaften als Freibeuter durch das Medienmeer. Dass die Mussolini-Story schließlich (wieso, erfahren wir nicht) bei der BBC landet und damit zur medialen Realität wächst, ist die recht schwache Wendung dieses Romans – nicht aber die Auflösung all seiner Ungereimtheiten.
Letztlich ist das Problem von Nullnummer nicht, dass Eco ein „Lügenpresse“-Schreihals wäre, dazu ist er viel zu klug und traut niemandem! Es ist bei ihm ja auch nur die „Als ob“-Presse, die lügt. Das eigentlich Unbefriedigende ist, dass Eco in der Vergangenheit stecken bleibt, in der noch mit Lire bestochen und die Zeitung von morgen als genauso gefährlich empfunden wurde wie ein vergiftetes Buch im Mittelalter.
Das Internet, der eigentliche Ort moderner Verschwörungstheorien, an dem Meinungen und Stimmungen zu pseudorealen Fakten aufkochen, Mythen und Zeichen geklittert werden, kommt bei ihm nicht vor. Allein deshalb kann man sich Eco nicht in Dresden vorstellen: Die Wahrheit der Menschen dort ist eben kein Produkt eines intellektuellen Prozesses, sondern das einer virtuellen Wahrnehmung, die zu einer eigenen Wahrheit wächst. Deshalb ist es falsch, Eco als „Lügenpresse“-Schreihals zu beschimpfen. Das würde sein gekonntes Spiel der Lüge in der Lüge ignorieren.
Nullnummer ist angeblich Umberto Ecos letzter Roman. Ein gut geschriebenes Buch, das uns vor 20 Jahren geschockt hätte. Heute liest es sich so gemütlich und fern wie Im Namen der Rose, es ist ein Thriller aus dem Medien-Mittelalter. Es wäre schade, wenn diese Satire von gestern Ecos letztes Wort über den Zustand unserer Gegenwart wäre.
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Dass das Rücken von Medienkritik(ern) in die Nähe von Nazis immer weitere Kreise zieht, war nach der erfolgreichen Kampagne gegen die Friedensbewegung 2014 nur der zu befürchtende folgerichtige Schritt. Bereits im Winter – unmittelbar nach dem Anschlag auf die Charlie-Hebdo-Redaktion – hatte Helmut Heinen, Präsident des Bundesverbands der deutschen Zeitungsverleger, die Gunst der Stunde beim Schopf ergriffen und Medienkritiker geistiger Nähe zu den Nazi-Vorläufern der Zwanziger geziehen. Nun hat tagende McCarthy-Ausschuss der deutschen Leitmedien im Spiegel den renommierten Science-Autor und Literaturnobelpreisträger Umberto Eco aufs Korn genommen und ihn in einer Rezension ebenfalls in die völkische Rechtsaußen-Ecke gestellt.
Was hat Eco getan? Hat er Kontakt zu Kommunisten? Oder – für die Radikal-Transatlantiker in der Spiegel-Redaktion vermutlich dasselbe – zu Leuten von Pegida? Wurde er – noch schlimmer – auf einer einschlägigen Demonstration gefilmt? In flagranti gar, »Lügenpresse« gröhlend, beim Abfackeln einer Flüchtlingsunterkunft? Falsch. Anlass, die Nazi-Keule aus der Schublade zu holen, ist ein Buch. Genauer: ein fiktiver Roman, der sich – in allgemeiner Form zwar, aber kritisch – mit der Macht von Medien auseinandersetzt.
Fazit: Eine ungenehme Positionierung etwa im Ukraine-Konflikt oder einem anderen kontroversen Thema ist nicht mehr vonnöten, um von den großen deutschen Leitmedien in Nazi-Nähe gestellt zu werden. Kritik am Big-Brother-Kartell – selbst wenn sie in belletristisch-allgemeiner, literarischer Form daherkommt – reicht vollkommen aus. Selbstredend ist dabei nicht zu kritisieren, dass ein Spiegel-Rezensent Ecos Buch kritisch sieht und die Mängelliste aus seiner Sicht entsprechend publiziert. Das ist sein gutes Recht – auch dann, wenn es die politische Sicht des Autoren mit einbezieht. Die Strategie allerdings, jede und jeden, der oder die auch nur die leiseste Kritik am transatlantischen Mainstream artikuliert, in die Nazi-Ecke zu rücken, ist demokratiebeschädigend und in ihrem Zielanspruch totalitär. So auch die Buch-Sammelkritik des Spiegel, die zwar vorgibt, sich an literarischer Qualität zu orientieren, in Wirklichkeit jedoch – gefühlte oder auch wirkliche – Abweichler vom westlichen Mainstream aburteilt.
Ist bei den großen deutschen Medien noch eine Exit-Strategie möglich, eine Rückentwicklung in Richtung auf eine plural-bürgerliche Medienlandschaft – mit Dissens, Maß, kultureller Vielfalt und allem, was dazugehört? Ich persönlich befürchte, der Rubikon hin zu einem neoliberal-postdemokratischen (und entsprechend gleichgeschalteten) Kampfpresse-Kartell ist irreversibel überschritten. Letzten Endes bleibt so nur eine Gewissheit: Die besten Tage dieser Medien sind vorbei. Ein Grund ist sicherlich, dass die Leute keine Lust mehr haben, sich von Spiegel, Zeit, Focus & Co. mit neoliberaler Systempropaganda vollpumpen zu lassen. Ich denke, langfristig gesehen sind Spiegel, Zeit & Co. erledigt, kaputt, empty, der Konkurs nur eine Frage der Zeit.
Und das ist auch gut so.
"Das eigentlich Unbefriedigende ist, dass Eco in der Vergangenheit stecken bleibt, in der noch mit Lire bestochen und die Zeitung von morgen als genauso gefährlich empfunden wurde wie ein vergiftetes Buch im Mittelalter.[...]
Nullnummer ist angeblich Umberto Ecos letzter Roman. Ein gut geschriebenes Buch, das uns vor 20 Jahren geschockt hätte. Heute liest es sich so gemütlich und fern wie Im Namen der Rose, es ist ein Thriller aus dem Medien-Mittelalter."
Ich weiß nicht. mich überzeugt diese Kritik nicht. Muss man sich denn als alter Herr, der ein zeitgemäßes Thema bearbeitet der gleichen Metaphern und der Sprache bedienen von der doch jeder weiß wie flüchtig sie ist? Um etwas auszudrücken, das zeitlos ist? Der Mann beschäftigt sich sein ganzes Leben mit Verschwörung, mit realen gesellschaftlichen Hintergründen, realen Verschwörungen, Verschwörungstheorien und das ganze Spiel das mit ihnen getrieben wird beschäftigt. Der Name der Rose spielt im späten Mittelalter statt, hundert Jahre, bevor es nach Martin Luther keine katholische Kirche in dem Sinne mehr gab, wie sie die Grundlage dieses Buches darstellt. Heute kann man sich nicht vorstellen, dass der Welt die Narrative die das Internet, als "eigentliche[n] Ort moderner Verschwörungstheorien, an dem Meinungen und Stimmungen zu pseudorealen Fakten aufkochen, Mythen und Zeichen geklittert werden" irgendwann einmal genau so antiquiert mittelalterlich vorkommen könnten, wie uns heute die katholische Kirche aus "Der Name der Rose" erscheint. Was ist denn, wenn Eco das schon heute so empfindet und dieser Wahrnehmung durch den Roman einen authentischen Ausdruck gibt? Ich halte diese Kritik eher für die Sicht eines technik- und fortschrittsgläubigen Intellektuellen, der trotz all seiner Zweifel mit der Nase viel zu sehr dran steht an dieser Erscheinung, um sie so erfassen zu können, wie Meister Eco das ja vielleicht in seiner literarischen Vision zustande bringt. Was soll der denn tun? Soll er sich vielleicht von Sascha Lobo briefen lassen und eine Vorabversion seines Romans in Wired veröffentlichen? Nur um sich damit an die Narrative um den großen Hype anzupassen, den er mit seiner Vision ja vielleicht in seiner zeitgeschichtlichen Bedeutung viel genauer trifft als all die Apologeten, Journalisten und unserer neoliberal vernetzen New Economy? Die ihm bei diesem Versuch mit Sicherheit jede noch so kleine Ungenauigkeit im Verständnis unserer ungeheuren zivilisatorischen Errungenschaften, dieses Ortes der virtuellen Realitäten ankreiden würden. Letztlich um abzulenken, weil sich sich von dieser literarischen Analyse, in ihrem eigenen "spätmittelalterlichen" Habitus getroffen und gekränkt fühlen. Dann doch lieber die alte, authentische Umberto Eco-nomy.
Danke für die Richtigstellung.
Ist bei den großen deutschen Medien noch eine Exit-Strategie möglich, eine Rückentwicklung in Richtung auf eine plural-bürgerliche Medienlandschaft – mit Dissens, Maß, kultureller Vielfalt und allem, was dazugehört?
Mit dem gegenwärtig hantierenden Personal und unter den gegenwärtigen Bedingungen wohl kaum. Aber alles kann sich ändern.
Letzten Endes bleibt so nur eine Gewissheit: Die besten Tage dieser Medien sind vorbei. Ein Grund ist sicherlich, dass die Leute keine Lust mehr haben, sich von Spiegel, Zeit, Focus & Co. mit neoliberaler Systempropaganda vollpumpen zu lassen. Ich denke, langfristig gesehen sind Spiegel, Zeit & Co. erledigt, kaputt, empty, der Konkurs nur eine Frage der Zeit.
Inhaltlich haben sie den Konkurs bereits hinter sich und wickeln nur noch ab. Froh bin ich darüber aber nicht.
... und Literaturnobelpreisträger Umberto Eco
ist mir etwas entgangen?
Ups – Wunsch Vater des Gedankens gewesen? Noch dazu bei einem, der jetzt nicht unbedingt der Eco-Fan ist? Sorry – muß natürlich »Literaturpreisträger« heißen.
Bei Eco gilt es den Kontext im Auge zu behalten, seine Nullnummer-Schriften bewegen sich "im Krebsgang voran" und nähern sich den Ereignisssen (Heiße Kriege und medialer Populismus) eher von der Seite ...
der spiegel ist nicht teil der lügenpresse, er ist nur einer teuflischen spiegelung aufgesessen,wie auch unser rezensent: das besprochene buch ist von einem doppelgänger ecos geschrieben worden,der sich seinen namen anmaßt,ohne sein genie zu besitzen.das ist eine felsenfeste fan-überzeugung.
p.s. "ein plattes berlusconi-double" ist das schlechterdings möglich? zweifel sind hier angesagt, nicht aber an der existenz des demnächst erscheinenden periodischen specials von charlie hebdo: domina domani.