In der Jungsteinzeit war es der Wein

Drogen Der Bundestagsabgeordnete Michael Hartmann soll Crystal Meth konsumiert haben. Deutlich schlimmer als dieser Vorwurf sind aber die Reaktionen der Medien
Ausgabe 28/2014

Ein Politiker soll in einer Kleingartenkolonie die euphorisierende Droge Crystal Meth gekauft haben. Wieviel, wissen wir noch nicht genau. Aber es ist und bleibt ein amüsantes Szenario: In der germanischsten aller Idyllen, zwischen Gartenzwergen, „Schland“-Fahnen, Grill-Seligkeit und Maschendrahtzaun vertickt eine 43jährige Drogenabhängige einem Durchschnittsdeutschen ein unkontrollierbares Sympathomimetikum. Da der Mann zufällig im Parlament sitzt und die Sache nun aufgeflogen ist, beobachten wir eine Art Rauschzustand im hiesigen Blätterwald.

Kurz zusammengefasst wurde da geschrieben: Das Leben eines Politikers sei am Ende eben Krieg. Immerhin war Crystal Meth schon im Zweiten Weltkrieg als „Panzerschokolade“, „Stuka-Tablette“ und „Göring-Pille“ eine Wunderwaffe, die Schmerzlosigkeit, Euphorie und grenzenlose Motivation garantierte. Heute taugt sie offenbar für Grabenkämpfe im Bundestag und betäubt auch allen anderen Frust. Burnout und Rückenschmerzen waren gestern. Die Volkskrankheit der Alltagssoldaten heißt Crystal Meth!

Natürlich wurde auch viel über Politik geschrieben, dieses bigotte, machtberauschte und beinharte Kampffeld, auf dem gerade die Unscheinbaren zu Süchtigen oder – diese Vergleiche wurden tatsächlich angestellt – zu Kinderporno-Abhängigen werden. Zu morallosen Bürokraten, die das Verbot von Hasch predigen und Crystal Meth schlucken.

In Wahrheit aber ist unsere neue Droge die mediale Ekstase. Eine meiner Lieblingsüberschriften in den vergangenen Tagen war: „Nichts Neues im Fall Hartmann“. Während kaum etwas aus dem Hoeneß-Knast, nichts aus der Schumacher-Reha und von der Westerwelle-Therapie nach außen dringt, die WM spielfreie Tage hat, wird eben die heiße Luft um den Schrebergarten-Lapsus inhaliert. Ein bisschen Breaking-Bad-Glamour. Und ein angenehmer Schauder, dass es diese Unterschichtendroge offenbar so selbstverständlich ins Parlament geschafft hat.

Dass die jüngste Drogenbilanz weitgehend positiv ausfällt, massiver Rückgang von Alkohol- und Zigarettenkonsum bei Jugendlichen, wird von dieser wir-sind-ja-alle-ein-bisschen-Hartmann-Stimmung leider verdrängt.

In der Jungsteinzeit war es der Wein; im alten Ägypten das Bier; in Assyrien das Cannabis; bei den alten Chinesen der Schlafmohn; in den sechziger Jahren kamen LSD und Hasch; in den Siebzigern gab es am Bahnhof Zoo das Heroin; im deutschen Wirtschaftswunder-Parlament wieder das Bier- und Weingelage (selbst 1994 hat Detlef Kleinert im Bundestag seine Rede noch gelallt), in den Achtzigern das Koks: Und nun eben Crystal Meth. Nicht, dass das gut wäre. Aber es ist eben nicht neu, dass die Leute auf der Flucht vor der Welt sich selbst zerstören.

Neu ist die Volksdroge Skandalisierung, die jenen, die auf den Trip gekommen sind, eine Rückkehr in unsere Gesellschaft unmöglich macht, ihre Vita zerstört wie das Metamphetamin die Nerven, den Magen und die Zähne. Ein Verrottungsprozess. Letztlich wirken die Medien inzwischen wie diese amerikanischen TV-Serien: Sie werben für eine Droge, die das Alphatier in uns weckt und durch ihre Zerstörung gleichzeitig zu Outlaws macht, zu Helden, denen der Tod lieber ist als das Leben in unserer Gesellschaft.

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Geschrieben von

Axel Brüggemann

Journalist und Autor in Wien und Bremen.

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