Ob ZDF oder Spotify: Er ist in seinen Systemen meist eine Person höheren Rechts
Foto: Jens Koch/ZDF
Am Ende war es ein typischer Böhmermann: Welt-Mann Stefan Aust muss so außer sich gewesen sein über seinen Namen auf dem RAF-ähnlichen FDP-Fahndungsplakat, dass er sich nicht zu schade war, ein wenig windschief gegen den Fernsehmann zu klagen. Nicht dagegen, dass Böhmermann die Liberalen in ihrer Wut auf die „Letzte Generation“ selber zu Terroristen erhoben hat (denn das ist: Satire!), sondern, weil Böhmermann in seiner Sendung ZDF Magazin Royale über Austs Namen nicht das Bild von Aust, sondern von Volker Bruch gesetzt hat, der Stefan Aust im Film Der Baader Meinhof Komplex gespielt hat.
So oder so: Das ZDF durfte das Bild (und das Video mit dem Bild) nicht länger verbreiten. Und, klar, statt reumütig zu sein, reagierte Böhmerma
;tig zu sein, reagierte Böhmermann sofort. Mit einem Twitter-Post gegen „WeLT-Rädelsführer Stefan Aust“, das „Comedyoberlandesgericht Hamburg“ und mit einem Bild, das den jungen Aust mit wildem Haar zeigt, über das Böhmermann – in Anlehnung an René Magritte – schrieb: „Ceci n’est pas une pipe“. Böhmermann ist eben ein Meister der Karl-Kraus-Sentenz: „Was trifft, trifft zu.“Der kleine Aust-Disput, der Sturm im konservativen Wasserglas und das schnelle Vergessen der großen Aufregung sind ein Sinnbild für die Kunst Jan Böhmermanns. Kaum jemand antizipiert die Regeln und Mechanismen der Mediendemokratie wie er, kaum jemand irritiert das Gefüge der Macht derart durch die unendliche Freiheit, die er sich zu nehmen scheint, und kaum jemand vertraut bei alldem so sehr auf den Schutz unseres Rechtsstaates wie Jan Böhmermann. Aber der Reihe nach.Vielleicht hilft es, sich den kleinen Jan Böhmermann als Kind in seiner Bremer Heimat Vegesack vorzustellen. Viel Zeit verbrachte er im Kinderzirkus „Tohuwabohu“. Und als Zirkus begreift er unsere Welt auch heute noch. Seine Rolle: der Clown, der Hofnarr, der im Mittelalter durch die Gunst des Königs Narrenfreiheit genoss, und dessen Kunst heute durch das Grundgesetz geschützt wird. Nur einmal, in seinem Kampf gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, hat Böhmermann sein Vertrauen in die geliebte Bundesrepublik fast verloren, als Angela Merkel ihn fallengelassen hat, als er unter Personenschutz stand, als nicht klar war, wie sicher der Spötter in Deutschland leben kann. Aber am Ende hat Jan Böhmermann sein Recht auf Narrenfreiheit durchgesetzt und verwischt seither weiter die Grenzen zwischen Zirkus und Welt. Er ist ein Chamäleon, das sich mal als investigativer Journalist präsentiert, dann aber gern die Grenzen politischer Correctness überschreitet, die Hände hebt, die rote Nase aufsetzt und sagt: „Ich bin doch nur ein Clown!“ Gag- und Investigativ-FabrikJan Böhmermann ist nicht greifbar, ist ein Meister der Unfassbarkeit. Und das auf so vielen Ebenen: Private Geschichten, die er in seinem Podcast Fest & Flauschig erzählt, sind erstunken und erlogen – oder eben: wahr. Der Stinkefinger, den er Griechenlands Finanzminister Varoufakis andichtete, wäre durch Günther Jauch fast real geworden, die satirische Schmähkritik gegen Erdoğan löste ein echtes Diplomatie-Beben aus, und Vera Int-Veen glaubte daran, dass Robin und René wirkliche Kandidaten bei Schwiegertochter gesucht und keine Böhmermann-Schaupieler waren. Seine „Quatschzeitung“ Freizeit Magazin Royale könnte auch aus der echten Regenbogenpresse kommen, und ja, es ist unsere neue mediale Wirklichkeit, dass NSU-Akten aufgrund eines Satiremagazins geleakt werden. Die Akten zur Terrorgruppe, die der hessische Verfassungsschutz 30 Jahre unter Verschluss halten wollte, veröffentlichte Böhmermanns ZDF Magazin Royale vergangenen Oktober zusammen mit der Plattform Frag den Staat.Böhmermanns Heimat, das ZDF Magazin Royale, ist ein einzigartiges Zwitterwesen des Fernsehens, gleichzeitig Gag- und Investigativ-Fabrik. 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten in der Redaktion, die von der deutsch-österreichischen Journalistin Hanna Herbst geleitet wird. Sie hat letztes Jahr, gemeinsam mit Böhmermann und Robin Droemer, ehemals Deutschlandfunk-Kultur-Redakteur, auch die Produktionsfirma TRZ Media gegründet. Das Magazin ist eine wirkliche Neuerfindung des Fernsehens und setzt sich mit seiner eigenen Schlagkraft Woche für Woche selber unter Druck. Manchmal kommen gewollt aufklärerische Flops heraus wie eine Sendung über Weinpanscherei, manchmal Sternstunden der Fernsehgeschichte. Was die Sendung neu erfunden hat: die gnadenlose Auflösung der Grenze zwischen Unterhaltung und Polit-Aktivismus.Vielleicht versteht man Jan Böhmermann am besten als Fortsetzung von Christoph Schlingensief ohne kulturellen Anspruch. So wie Schlingensief – etwa durch die Partei Chance 2000 oder durch seine real gefakten Talkshows – die Grenzen zwischen Kunst und Wirklichkeit eingerissen hat, reißt Böhmermann die Grenzen zwischen Zirkus und Welt ein, lotet aus, wie etwas gesagt werden muss, um genau richtig falsch verstanden zu werden.Man könnte Böhmermann auch als Fortsetzung von Harald Schmidt mit anderen Mitteln verstehen. Aber das würde lediglich die Entwicklung seiner Programmschiene erklären, nicht seine unbestreitbare Wirkung auf die öffentliche Debatte. Schöngeist Harald Schmidt hat das Zeittotschlagen im Fernsehen kultiviert, das Ende der Unterhaltung als musisch-literarischer Fernseh-Traumschiff-Kapitän. Jan Böhmermann scheint mit Hochkultur indes nur wenig anfangen zu können (die musikalische Belanglosigkeit seines Bobo-Tanzorchesters Ehrenfeld spricht Bände). Er liebt Musicals, fühlt sich wie ein Fisch im Wasser, wenn er sich Nischen in seiner Sendung baut, in denen er singen darf wie Rudi Carrell, oder sogar eine ganze Show als Musical (Der Eierwurf von Erfurt) präsentiert. Aber er ist eben nicht bei Schopenhauer, Hegel oder Kant zu Hause, nicht im Theater oder im Konzert. Literatur scheint sich bei ihm auf Sibylle Berg, Heinz Strunk und die Gebrauchsanweisung seiner Küchengeräte zu beschränken, Musik auf den Millennial-Mainstream von Danger Dan bis Igor Levit. Er ist ein Nachrichten-Junkie, ein Sammler von Nazi-Kuriositäten und einer, der Spaß daran hat, überall den Grat aufzustöbern, wo die Realität sich an der Erfindung bricht.Was Stefan Aust so ärgertWas Stefan Aust wie so ziemlich alle freiheitsliebenden Liberalen, von Ulf Poschardt bis Christian Lindner, auf die Palme bringt, ist lustigerweise ausgerechnet Böhmermanns scheinbar grenzenlose, anarchische Freiheit. Anders als sie ist er ein wirklicher Libertin im Sinne Cyrano de Bergeracs. Einer, der sich die Freiheit dadurch erkämpft, dass er vollkommen frei von persönlichen Verantwortlichkeiten zu sein scheint. Don Giovannis Kampfansage an die Welt lag darin, dass er den Tod nicht fürchtete – so hebelte er die Macht der Kirche aus. Der Tod hat seinen Schrecken heute längst verloren, ebenso wie die Kirche. Aber in der medialen Realität herrscht die Angst vor anderen Institutionen. Und genau deren gottgegebene Macht ignoriert Böhmermann konsequent. Während eines der größten Probleme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Angst seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor interner Kritik ist, nimmt Böhmermann sich die Freiheit, im ZDF-Hauptprogramm 30 Minuten lang gegen die Machenschaften des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu polemisieren. Ihn stört es nicht, dass seine Recherchen Fynn Kliemann, einen der besten Freunde seines Podcast-Partners Olli Schulz, zu Fall bringen. Jan Böhmermann hat kein Problem damit, dass er auf Spotify die Struktur von Spotify kritisiert. Böhmermann macht all das, weil er es machen kann! Weil er sich eine seltene mediale Unabhängigkeit erarbeitet hat, ein Netzwerk vieler Hochzeiten, ein Tanz zwischen den Institutionen, eine Position, in der ZDF oder Spotify mindestens so sehr von ihm profitieren wie er von diesen Institutionen. Böhmermann ist in seinen Systemen meist eine Person höheren Rechts. Die Freiheit hat allerdings einen Preis. Jan Böhmermann ist unverschämt subjektiv. Sein Kompass ist realpolitisch am ehesten wohl an grün-progressiven Idealen ausgerichtet. Sein anarchischer Habitus wird in Wahrheit allerdings von der regierenden Mehrheits-Welt domestiziert. Er ist Apostel seiner ureigenen Moral. Und selbst wenn sein Kompass meist zielsicher in Richtung Mitmenschlichkeit ausgerichtet ist, orientiert der innere Magnetismus sich stets am grundsätzlichen Ego-Pol Böhmermanns. Wer nicht auf Linie ist, wird rhetorisch weggelabert. Das ist meist nicht wirklich sympathisch, zumal Böhmermann seine Kunstfigur als fast schon soziopathisches Individuum angelegt hat. Zum einen ist er ein unglaublicher Ehrgeizling, der von seiner Schulzeit an den Weg auf die Medienbühne gesucht hat. Einer, der Menschen eigentlich nicht mag, aber unglaublich gern für Menschenrechte kämpft. Einer, der es liebt, die große weite Welt zu ordnen, dabei aber am liebsten die Hauspantoffeln des deutschen Michels anbehält. Kurz gesagt: Einer, dessen moralische Überheblichkeit ziemlich nerven kann. Umso ärgerlicher ist es für seine Feinde, wenn er am Ende auch noch recht bekommt.Jan Böhmermann ist kein Fernsehmensch, mit dem man gern ein Bier trinken will. Und das kommt ihm wahrscheinlich ganz gelegen. Böhmermann ist ebenso unempfänglich für das Sehen und Gesehenwerden im Grill Royal wie für eine Hochzeitseinladung nach Sylt. Böhmermann ist nicht nur als Medienfigur, sondern auch als Mensch der Gegenentwurf zum Kuschel-Talker und Fernseh-Narziss Markus Lanz. Statt Schampus und Party lötet er lieber im Kapuzenpulli die Dioden eines Yps-Radios zusammen. Und wahrscheinlich ist diese biedere deutsche Bürgerlichkeit, die DNA des Polizistensohns aus Bremen-Nord mit polnischen Migrationswurzeln, seine einzige Versicherung gegen das Abheben.Und genau das könnte sowohl seinen gigantischen Erfolg erklären als auch den Umstand, dass er einer der wohl am meisten gehassten Medienfiguren unserer Zeit ist. Jan Böhmermann ist uns auch deshalb oft so fremd, weil er so viel von dem verkörpert, was wir selber sind: typisch deutsch.
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