Kampfansage mit Charme

Porträt Kirsten Kappert-Gonther will Fraktionschefin der Grünen werden – im Duett mit Cem Özdemir
Ausgabe 38/2019
Ihre Praxis hat die Fachärztin stillgelegt. Jetzt macht sie im Bundestag Politik, die Jens Spahn teils sogar in Gesetze gießt
Ihre Praxis hat die Fachärztin stillgelegt. Jetzt macht sie im Bundestag Politik, die Jens Spahn teils sogar in Gesetze gießt

Foto: Thomas Trutschel/Photothek/Imago Images

Als Kirsten Kappert-Gonther und Cem Özdemir sich das erste Mal getroffen haben, funktionierte eigentlich gar nichts – außer der Chemie zwischen den beiden. Das war vor zwei Jahren auf dem Marktplatz in Bremen. Die Grünen hatten die Bürgerschaftsabgeordnete Kappert-Gonther als Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl ins Rennen geschickt, anstatt der angesehenen und langjährigen Routine-Kandidatin Marieluise Beck. Und Özdemir kam als Bundesvorsitzender und Spitzenkandidat zu Besuch. Geplant war ein Talk-Format: Partei-Linke Kappert-Gonther und Realo Özdemir sollten auf Holzpaletten miteinander debattieren. Der Marktplatz war gut gefüllt, aber die Mikrofone fielen aus. Nach einigem Hin und Her verwandelten die Kandidaten das Format kurzerhand in ein Bürgergespräch. Es wurde (zumindest für die Besucher in den ersten vier Reihen) ein spannender Abend, an dem die Partei-Blöcke präsentierten, dass es durchaus Spaß machen kann, wenn man miteinander spricht, einander zuhört, Unterschiede nicht wegmoderiert, sondern offensiv anspricht, um Kompromisse zu finden.

Der Bundestagswahlkampf in Bremen war auch deshalb spannend, weil die Spitzenkandidaten allesamt Spitzenkandidatinnen waren, die in Berlin seither für Aufsehen sorgen: Sarah Ryglewski (SPD) wurde Staatssekretärin von Olaf Scholz, Elisabeth Motschmann (CDU) provozierte ihre Partei mit ihrem spät entdeckten Feminismus, Linken-Kandidatin Doris Achelwilm (Linke) kämpft vehement für Demokratie und Gleichstellung, und Kirsten Kappert-Gonther hat durch ihre Debatten zur Bioethik, zur Organspende und zur Geburtshilfe Politik gemacht, die zum Teil sogar von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in Gesetze gegossen wird. Zudem sensibilisiert sie das Parlament regelmäßig für Deutschlands postkoloniales Erbe. Nun hat sie gemeinsam mit Cem Özdemir ihre Kampfkandidatur gegen Katrin Göring-Eckard und Anton Hofreiter für den Fraktionsvorsitz angekündigt. Die Wahl steht am 24. September an.

Innerhalb der Grünen hat die Kandidatur für allerhand Rumoren gesorgt, besonders im Fundi-Flügel. Der zögert zumindest, sich hinter Kappert-Gonther zu stellen, positioniert sich aber vor allen Dingen gegen Cem Özdemir. Der ehemalige Parteivorsitzende ist den Linken suspekt. Kein Teamspieler, heißt es, Ego-Show statt parteitreu, außerdem flirtet Özdemir mit der CDU statt mit dem Bremer Kappert-Gonther-Modell Rot-Rot-Grün.

Kritik, die Kappert-Gonther an sich abperlen lässt. Die Grünen seien seit jeher eine Partei, die es ernst mit demokratischen Alternativen meint. Ihre Kandidatur sei kein Affront, sondern böte die Möglichkeit einer Diskussion um den Ton des Diskurses der Grünen-Fraktion. Näher an den Menschen wolle sie debattieren, konkreter werden, nachvollziehbarer, und, ja, vielleicht auch wieder etwas radikaler. Ein Wort, das sie besonders gern verwendet, wenn sie von einer „radikalen Gleichstellung aller Menschen, egal in welchem Bereich“ spricht, von Teilhabe auf allen Feldern, von der Umwelt- bis zur Sozialpolitik. Kappert-Gonther will die Menschen als Individuen begreifen, „ich will wissen, wie der Einzelne dasteht“, sagt sie, „zuhören und gemeinsam Ideen entwickeln.“

Wenn Kappert-Gonther so redet, wird klar, dass sie auch die Lager ihrer Partei nicht als starre Größen versteht. Parteimitglieder sind für sie Individuen, die bei politischen Fragen immer wieder vor neue, persönliche Antworten gestellt werden. Die Zusammenarbeit mit Cem Özdemir scheint für sie weniger ein machtpolitischer Schachzug zu sein als ein Experiment, das von der Neugier auf das Denken der anderen geprägt ist. Kappert-Gonther will auch keine traditionellen, dogmatischen Macht-Gesetze akzeptieren. Es ist auffällig, dass sie die erste Frau ist, die es innerhalb von sechs Jahren wagt, den im grünen Netzwerk gut verankerten Anton Hofreiter herauszufordern. Und das, obwohl der Führungsstil und die Außenwirkung des Fraktionsvorsitzenden pateiintern schon lange debattiert werden.Seit 2013 teilen sich Hofreiter und Göring- Eckard den Fraktionsvorsitz, bei ihrer letzten Wiederwahl fiel das Ergebnis für beide mau aus, ganz ohne Gegenkandidaten. Seit Robert Habeck und Annalena Baerbock den Parteivorsitz haben, wirkt die Fraktion ungewohnt zurückhaltend. Kappert-Gonther mag es nicht, wenn etwas in Stein gemeißelt ist, bewegungslos oder gar alternativlos. Notfalls sorgt sie selber für die Alternative. Und so ist ihre Kandidatur auch eine fundamentale Grünen-Geste gegen einen Partei-Apparat, dem erneute Verkrustungen drohen.

Der Gegenwind aus der Partei stresst Kappert-Gonther dabei nicht. Es wurde schon vom Rückzug ihrer Kandidatur getuschelt, aber sie hat nicht vor, sich ihre gute Laune und ihre Neugier nehmen zu lassen. In den letzten Tagen hat die promovierte Fachärztin für Psychiatrie immer wieder erklärt, dass sie als Leiterin einer Reha-Einrichtung und durch die Erfahrung mit ihrer eigenen psychiatrischen Ambulanz in Bremen Führungserfahrung gesammelt hätte.

Mit ihrer Wahl in den Bundestag hat sie ihre Praxis bei der kassenärztlichen Vereinigung stillgelegt, und damit auch ihre Arbeit als Therapeutin – sie will die Grünen nicht therapieren, sondern begeistern. Das macht ihr offensichtlich Spaß. Man sollte Kirsten Kappert-Gonther auf keinen Fall unterschätzen. Sie weiß genau, was sie will – und dass sie es eher durch Freundlichkeit, Lachen und Sympathie bekommt statt durch dogmatische Verbissenheit. Ein Charakterzug und eine Strategie, die gerade dem linken Teil ihrer Partei oft fehlt. Kirsten Kappert-Gonther könnte für eine radikal-kompromisslose Charmeoffensive stehen.

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Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Axel Brüggemann

Journalist und Autor in Wien und Bremen.

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