Bremen, das ist ungefähr so, als wenn das Kind mit einer Fünf in Mathe nach Hause kommt, und die Eltern sagen: Nicht so schlimm! Die Fragen seien zu schwer gewesen, die Lehrer doof und Mathe bräuchte man im späteren Leben eh kaum. Allerdings ist Bremen in so ziemlich allen Fächern unbefriedigend: Seit Jahren Schlusslicht bei der Pisa-Studie, fast nirgendwo ist die Kluft zwischen Arm und Reich so groß wie an der Weser, Kriminalitätsstatistik und Arbeitslosenzahlen sind trist, dazu ist das Land verschuldet, die junge Generation wandert ab, ebenso Konzerne wie Coca-Cola oder Kellogg’s. Aber, hey, immerhin: Werder Bremen kämpft nicht mehr gegen den Abstieg!
In diesem Szenario gibt es natürlich eine Wechselstimmung, aber zugleich scheint es an Wechselmut zu fehlen. Vor vier Jahren fiel die SPD, die seit Kriegsende den Bürgermeister stellt, bereits um 5,8 auf 32,8 Prozent, Bürgermeister Jens Böhrnsen musste seinen Hut nehmen. Unter seinem Nachfolger Carsten Sieling kommt die SPD kurz vor der Wahl an diesem Sonntag in Umfragen nur noch auf 24 Prozent, regiert aber weiter, als wäre nichts geschehen.
Die Bremer lieben ihre Stadt, schwärmen von der Weser, so als hätten München oder Halle keine hübschen Flüsse. Man ist stolz auf das alternative „Viertel“, als gäbe in Hamburg keine Schanze, und als die Welt kürzlich kritisierte, Medien wie der Weser-Kurier seien weitgehend unkritisch und bejubelten vorbehaltlos Institutionen wie das Theater am Goetheplatz, missverstand der Chefredakteur die Attacke als Lob und postete sie stolz auf seiner Facebook-Seite.
Hauptsache Weser
Es scheint, als wolle Bremen in seinen Träumereien über die Vergangenheit nicht gestört werden, damals, als Radio Bremen noch ein linker Kreativsender war, der Loriot, Margarethe Schreinemakers und Hape Kerkeling erfunden hat, als Werder Bremen noch Meister und Pokalsieger war oder Werften wie die AG Weser der Stadt maritimes Flair verliehen. Der Mythos des Alten ist Teil der Bremer Gegenwart. Wer das kritisiert, gilt als Nestbeschmutzer.
Klar, an den Stammtischen wird inzwischen gemosert: In den schicken italienischen Restaurants des Villenviertels Schwachhausen darüber, dass die amtierende rot-grüne Regierung eine autofeindliche Verkehrs- und eine unternehmerfeindliche Wirtschaftspolitik verfolge, darüber, dass Bürgermeister Sieling das Nobel-Wohngebiet als „Problembezirk“ brandmarkte, weil hier Reiche zu Hause seien, die sich nicht für das Gemeinwohl einsetzen würden. Oder darüber, dass die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Carsten Meyer-Heder zwar einen Unternehmer, aber auch einen eher orientierungslosen Polit-Neuling aufgestellt hat. Im Villenviertel wird moniert, dass die Grünen nicht mehr einzuordnen seien und mit Jamaika sowie Rot-Rot-Grün liebäugelten – Hauptsache sie bleiben an der Regierung. Und in einstigen SPD-Hochburgen wie Walle, Osterholz oder Hemelingen findet man, Bürgermeister Sieling sei ein Apparatschik, dem die warmherzige Oma-Umarmungs-Qualität eines Hennig Scherf ebenso abgehe wie der linke Sturkopf eines Hans Koschnick. Tatsächlich liefern sich CDU und SPD in diesem Wahlkampf erstmals ein Kopf-an-Kopf-Rennen. In jüngsten Umfragen übernahm die CDU mit 26 Prozent sogar die Führung. Aber der Glaube, dass sich etwas ändert, scheint abhandengekommen zu sein. Vorigen Freitag hat Bürgermeister Sieling eine Große Koalition ausgeschlossen, mit der CDU will er nicht sondieren, er setzt auf ein Mitte-links-Bündnis. Die Angst vor einer Jamaika-Regierung unter CDU-Mann Meyer-Heder ist aber mindestens so groß wie die Sorge, dass sich unter der wahrscheinlicheren rot-rot-grünen Alternative nichts Wesentliches ändern wird. Auch, weil die durchaus eloquente Spitzenkandidatin der Linken, Kristina Vogt (ihre Partei liegt in Umfragen bei zwölf Prozent), sich weitgehend festgelegt hat, am Ende doch in das zerrüttete Ehebett von SPD und Grünen zu steigen. Gegenüber dem Freitag (Ausgabe 18/2019) hat sie als mögliche Verhandlungslinie für eine neue Koalition nicht etwa eine linke Wirtschafts-, Sozial- oder Bildungspolitik ausgegeben, sondern die Einigkeit über neue Konzepte für den öffentlichen Nahverkehr.
Und so wirkt der Wahlkampf in Bremen von außen wesentlich spannender als von innen. Überregional geht es immerhin auch um die Ehre und das Selbstverständnis der Bundes-SPD. Wenn Sielings Sozialdemokraten erstmals nur zweitstärkste Kraft werden und er eventuell das Bürgermeisteramt verliert, geht es nicht nur um seine Karriere – es wäre auch für Andrea Nahles fataler als eine Niederlage bei der Europa-Wahl. Die CDU kann in Bremen dagegen nur gewinnen und hoffen, eine der letzten SPD-Bastionen einzunehmen. Für die Grünen ist Bremen ein regionaler Test ihrer Erneuerungspolitik. Unter der Newcomerin Maike Schaefer, die Wirtschaftssenatorin Karoline Linnert von der Spitzenkandidatur verdrängte, hat es die Partei in Umfragen von 15,1 Prozent auf 18 Prozent gebracht. Die FDP bleibt mit ihrer Spitzenkandidatin Lencke Steiner profillos, sie fällt weniger mit Sachpolitik als mit einem Pop-Wahlkampf auf, in dem sie sogar ihre private Handynummer auf Plakate schreiben ließ. In Umfragen kommt die FDP auf fünf Prozent, macht es den Grünen aber wesentlich schwerer mit ihr zu koalieren als die Linke. Vogt steht schon jetzt als Gewinnerin fest, ihre Bewährungsprobe dürfte in den Koalitionsverhandlungen kommen.
Weit hinter Leipzig
Vor zwei Monaten, als die beiden Spitzenkandidaten Meyer-Heder und Sieling sich zum ersten Mal zum Schlagabtausch bei der Konrad-Adenauer-Stiftung trafen (der Autor dieses Textes moderierte, Anm. d. R.), sah es noch nicht nach so viel Langeweile aus. Damals war die Nervosität spürbar. Seither aber verfolgt Amtsinhaber Sieling die Strategie, möglichst staatstragend die Unmöglichkeit einer Investitionspolitik in einem bankrotten Bundesland zu erklären, verweist auf die Haushaltsbremse, summiert Mini-Erfolge zur großen Linie und vertröstet auf 2020, wenn Bremen über neue Gelder vom Bund verfügen kann. Der CDU-Herausforderer setzt kompromisslos auf Wechselstimmung, wirft der Regierung vor, in der Vergangenheit nicht gehandelt zu haben, stellt aber selbst kaum Konzepte für die Zukunft vor. Dabei würden die auf der Hand liegen: Warum gelingt es Bremen nicht, in den Sektoren Bildung, Arbeit, Wirtschaft oder Zuzug mit vergleichbaren Städten wie Leipzig gleichzuziehen? Derartige Vergleiche spielen im Wahlkampf aber keine Rolle. Bremen schmückt sich gern mit dem Hanse-Spruch „Buten un binnen – wagen un winnen“. Im Wahlkampf wird auf den Blick in die Welt allerdings weitgehend verzichtet. Man schmort lieber selbstgefällig im eigenen Polit-Saft. Statt sich um Sozial- oder Bildungspolitik zu kümmern, wird in den Duellen und Talk-Runden über das Klein-Klein debattiert. Der Wahlkampf, der als vielversprechender, überregional bedeutsamer Orkan begonnen hat, ist zur müden Brise abgeflaut.
Und so fand eine typische Bremer Wahlkampfveranstaltung neulich auf der Bühne der temporären Hafenkneipe „Golden City“ statt. Vertreter von SPD, FDP und Grünen spielten gemeinsam mit CDU-Mann Meyer-Heder in schrillen Kostümen ein bisschen Abba: „Super Trouper“. Am Ende waren sich alle einig: Bremen ist schön – egal, ob in der Regierung oder in der Opposition! Wen juckt schon eine Fünf im Zeugnis, solange die Weser noch durch die Stadt fließt und der SV Werder nicht absteigt?
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