Ich kenne Dunja Hayali hauptsächlich von Twitter. Ich glaube, wir teilen ähnliche Werte. Ich glaube, wir haben einen vergleichbaren politischen Kompass. Aber trotzdem nerven mich ihre Tweets. Dieses andauernde Kommentieren des eh Offensichtlichen: Seitenstiche gegen Hans-Georg Maaßen und Friedrich Merz, Erinnerungen an Taten wie Hanau, die natürlich nie vergessen werden dürfen. Für wen ist das geschrieben? Für mich, der ähnlich denkt? Oder für die anderen, die sich durch das simple Online-Einmaleins zu sofortigen Beleidigungen provozieren lassen? Oder dient all das nur der Marke Dunja Hayali? Gerade auch die von ihr offensiv verbreiteten Angriffe auf sie selber – aus rassistischen, misogynen oder anderen absurden Gründen? Mich erinner
Öffentlich-rechtliches Fernsehen: Von Gary Lineker und Dunja Hayali lernen
Medien Meinungsenthaltsamkeit ist für Journalisten so zielführend wie das Zölibat: Welche Lehren das deutsche Fernsehen aus dem BBC-Fall Gary Lineker ziehen könnte

Moderatorin Dunja Hayali: Wie viel Meinung ist bei ARD und ZDF erlaubt?
Foto: Hannes P Albert/picture alliance/dpa
nern derartige Twitter-Profile ein bisschen an sich im Kreis drehende Spiegel. Bislang habe ich all das aus dem Augenwinkel wahrgenommen. Aber neuerdings moderiert Dunja Hayali auch das heute journal, und ich frage mich, ob ich gut finde, dass ich die neue Anchorwoman des ZDF so gut von Twitter kenne.England hat gerade eine ähnliche Debatte geführt. Zugegeben, nicht über eine Nachrichtensendung, sondern über die BBC-Erfolgssendung Match of the Day. Und eigentlich war es auch keine Debatte, sondern eine Demonstration der Meinungsfreiheit. Fußball-Legende und Sport-Moderator Gary Lineker hat auf Twitter Kritik an Englands konservativer Regierung geäußert, die Asylpolitik von Premierminister Rishi Sunak und Innenministerin Suella Braverman mit Nazi-Propaganda verglichen. Als die BBC Lineker rauswarf, organisierte die Fußballwelt den Aufstand der Anständigen: Match of the Day musste ohne Experten und Gäste gesendet werden, Englands Sportsmänner und -frauen, inklusive Jürgen Klopp, boykottierten die Ausstrahlung. Schließlich ruderte die BBC zurück, Lineker moderiert wieder, aber der Schaden ist nachhaltig: In einer öffentlichen Umfrage ist die BBC auf der Glaubwürdigkeitsskala hinter den privaten Sender ITV gefallen.Zielführend wie das ZölibatWas die BBC in ihrer Regierungstreue unterschätzt hatte: Lineker hat sich seine Ehre außerhalb des Senders erarbeitet, als Rekordtorschütze der englischen Nationalelf, der in seinen 16 aktiven Jahren ohne Rote oder Gelbe Karte vom Platz gegangen ist, als jemand, der seinen 8,9 Millionen Followern auf Twitter stets mit klarem Kompass begegnet ist: für die Menschen, für die Demokratie, gegen den Brexit und gegen jede Form der Menschenverachtung. Natürlich wurden in der Lineker-Debatte auch jene Stereotype ausgegraben, die wir aus Deutschland kennen: die BBC sei ein „linkslastiges Syndikat“, „moralisch überheblich“, „unausgewogen“, immer wieder war die Forderung zu lesen, dass Menschen, die bei der BBC arbeiten, im Privaten, bitte schön, neutral zu sein hätten. Kritiker von Gary Lineker hätten sicherlich auch Schwierigkeiten mit Dunja Hayali als heute-journal-Moderatorin.Tatsächlich sind die Gesichter unserer Nachrichten auffällig meinungsarm. Tagesthemen-Mann Ingo Zamparonis Twitter-Account ist noch langweiliger als seine Moderationen. Ähnlich mau sieht es bei Caren Miosga aus, die TV-Tipps postet und lächerliches ARD-Social-Media-Gedöns. Marietta Slomka vom heute journal verweist lediglich auf den offiziellen Twitter-Kanal der Sendung, und Christian Sievers ist auf Twitter zurückhaltender als in seiner Krawattenwahl: Er bewirbt sein eigenes Buch Grauzonen, retweetet immerhin andere Kommentare, verlinkt gern guten CNN-Content und kann mit einem Colt-Seavers–Stuntman-Joke auch mal über sich selbst lachen. Wie sich Meinung an Länder-, Parteien-, Geschlechter- oder Herkunftsparitäten abstumpft, wird offensichtlich, wenn in den Tagesthemen über einem Gesicht das Wort „Meinung“ eingeblendet wird. Sie wird in diesem Format (von wenigen Sternstunden abgesehen) zum Einschlaf-Impuls jeder Nachrichtensendung. Wenigstens eine Punchline aus einem Lineker- oder Hayali-Tweet würde einem ARD-Kommentar durchaus guttun. Von Lineker lernen, bedeutet auch, zu begreifen, dass es keine Neutralität im Menschsein gibt. Dass wir Menschen mit Haltung mögen. Dass ein politisches Weltbild ebenso Teil eines Menschen ist wie seine individuelle Sexualität. Die Meinungsenthaltsamkeit ist für einen Journalisten so zielführend wie das Zölibat. Nicht das Unterdrücken der eigenen Meinung schafft Vertrauen, sondern ihre vollkommene Transparenz. Offenheit ist die echte Ehrlichkeit, volle Transparenz der beste Beweis der Unabhängigkeit. Ich finde es okay zu wissen, dass Hart-aber-fair-Moderator Louis Klamroth zu Hause am Abendbrottisch wahrscheinlich mit Luisa Neubauer über neue „Fridays for Future“-Aktionen spricht, noch wichtiger aber ist, dass er Friedrich Merz ebenso kritisch befragt wie Robert Habeck. Die Angst vor Positionierung jenseits der Sender gehört offensichtlich zur DNA von ARD und ZDF. Anders als Twitter scheint das Fernsehen seine Menschen prophylaktisch vor Shitstorms schützen (und sich selber unangreifbar machen) zu wollen. Aber damit wird das Programm entmenschlicht und entfernt sich von den Erwartungen des Publikums, das authentische Leute sehen will, egal aus welchem politischen Kosmos. Jan Böhmermann hat das einmal auf den Punkt gebracht, als er über einen Tagesschau-Sprecher postete: „Ich bin mir zu 72 Prozent sicher, dass Constantin Schreiber ein Roboter ist.“ Dem half da nicht einmal, sofort ein Foto zu posten, auf dem er einen Zettel in der Hand hielt: „I’m real.“ Böhmermann blieb skeptisch und konterte mit der Analyse: „Ist das nicht genau, was ein Roboter tun würde?“Tatsächlich kommt Kritik an der politischen Haltung jenseits des Rotlichts in erster Linie aus dem konservativen, oft sogar aus dem offen rechten Lager. Von „Rotfunk“ ist dann die Rede, von „rot-grün-versiffter Fernseh-Unkultur“. Und tatsächlich muss auch dieser Gedanke erlaubt sein: Wer roten oder grünen Moderatoren zugesteht, ihre Meinungen auf Twitter zu teilen, muss die gleiche Toleranz auch gegenüber konservativen Kolleginnen und Kollegen aufbringen. Doch jene, die CDU-Mainstream auf Twitter teilen, sind im öffentlich-rechtlichen Rundfunk tatsächlich eher selten zu finden. Eva Herman mit ihrer Nähe zum Rechtspopulismus und zu Verschwörungserzählungen ist damit ausdrücklich nicht gemeint. Eher schon das vergessene ZDF-Erfolgsformat von Frontal, als hier noch das gegensätzliche Journalisten-Paar – der konservative Sohn eines Krawattenfabrikanten, Bodo H. Hauser, und der eher linke Nahost-Experte Ulrich Kienzle – die Recherchen aus unterschiedlichen Perspektiven eingeordnet hat. Ein Beispiel aktiver politischer Kommentierung jenseits der eigenen Fernsehsendung ist in Österreich zu beobachten. Der Anchorman der ORF-Nachrichtensendung ZIB 2, Armin Wolf, hat bei Twitter eine halbe Million Follower. Auf seinem Profil macht er aus seiner Haltung keine Mördergrube, geht wesentlich weiter als Dunja Hayali, positioniert sich eindeutig gegen jede Form der Regierungsbeteiligung von Rechtspopulisten. Wolf kommentiert, retweetet und positioniert sich unermüdlich, rechnet auf Twitter auch gern mit Politikerinnen und Politikern ab, die seiner Einladung ins Studio nicht gefolgt sind. Wolfs Twitter-Account ist vielleicht meinungsbildender als jeder Kommentar in der ZIB 2. Ob das die Nachrichtensendung glaubhafter macht? Bei Wolf kann man auch die Kehrseite der öffentlichen Meinungsstärke beobachten. Während Miosga oder Sievers ihre Fernsehinterviews nie als Kampf gegen ihre Interviewpartner führen, sondern als kritisches Gespräch, scheint Wolf viele seiner ORF-Interviews als eher selbstgefällige Twitter-Showdowns anzulegen, als moralische Verhöre – und das gereicht der Sendung nicht immer zum Vorteil.Am Ende ist die Sache doch einfach, wir lieben Menschen mit Meinung in allen Bereichen. Egal, ob wir die Kommentare von Freiburgs Fußball-Coach Christian Streich abfeiern oder Einwürfe zur gesellschaftlichen Situation von Herbert Grönemeyer. Unsere Ärzte und Piloten können posten, was sie wollen (solange es im legalen Rahmen geschieht). Wir erwarten von ihnen, dass sie ihren Job vernünftig machen. Und so sollten wir es auch bei Journalistinnen und Journalisten halten, egal, was sie twittern: Bei Rotlicht ist es ihre Aufgabe, uns einen faktenbasierten Lagebericht der Welt zu geben und Gesprächspartnern unvoreingenommen zu begegnen. Und deshalb freue ich mich, wenn Dunja Hayali das heute journal moderiert, wenn sie den eitlen Twitter-Spiegel zur Seite legt und einfach nur ihren Job macht. Und wenn ich mich über sie aufregen will, besuche ich eben einfach wieder ihren Twitter-Account.