Sich ein Leben lang mit Richard Wagner beschäftigen zu müssen, ist auch kein Spaß. Katharina Wagner hat diesen Job in die Wiege gelegt bekommen: aufgewachsen im Festspielhaus, am Mittagstisch mit den großen Wagner-Regisseuren und -Dirigenten, umzingelt vom Familienwahn. Logisch, dass so jemand sich nicht lange mit dem platten Mythos einer Oper wie Tristan und Isolde aufhält. Kein Liebeskitsch, keine orgiastische Todessehnsucht. Sie reduziert ihre Bühnensprache bis zum Maximum: Dunkelheit, Dreieckskonstellation – ein düsterer Abgesang, ein fünfstündiger Liebesqual-Tod. Eine Inszenierung wie ein iPhone: kein Knopf zu viel. Und damit auch ein Gegenentwurf zu ihren Bayreuther Meistersingern, in denen sie noch 2007 eine schrille Revue um Alt-68er mit Nazi-Ideologie und ein zu sattes Festspielpublikum auf die Bühne gehievt hat.
Für Katharina Wagner ist die Oper eine bitterböse Versuchsanordnung: Zwei Menschen, deren Liebe unmöglich ist und die den Tod suchen, auf der einen Seite, auf der anderen rückt sie den viel zu oft weichgezeichneten König Marke in ein tyrannisches Licht. Ihm ist Isoldes Schwärmerei für Tristan nicht entgangen, und er rächt sich als sadistisch-königlicher Foltermeister und inszeniert eine Art Hunger Games der Liebe.
Markes Mannen
Wagner und ihr Ausstattungsteam (Bühne: Frank Philipp Schlößmann und Matthias Lippert, Kostüme: Thomas Kaiser) machen bereits im ersten Aufzug deutlich, dass es sich um eine surreale Liebesgeschichte handelt: In einem escherhaften Treppenkeller brechen die Stufen weg, oben und unten stehen kopf. Egal welche Treppe genommen wird, die Situation bleibt ausweglos. Im zweiten Aufzug, dem Nacht-Teil der Oper, werden Tristan und Isolde schließlich von Markes Mannen mit grellen Scheinwerfern verfolgt: Schlafentzug, Psycho- und Körper-Folter. Steigbügel zur Freiheit brechen wie Zähne in einem Albtraum aus, wenn sie zur Flucht genutzt werden. Im Zentrum steht eine gigantische, silberne „Tötungsmaschine“. An ihr suchen die Liebenden Erlösung. Irgendwann, im großen Liebesduett, kehren Tristan und Isolde dem Publikum den Rücken zu und sehen, wie ihre eigenen, giftgrünen Schattenrisse sich im Nichts auflösen. Eine sadistische Spielanordnung der Leidenschaft, in der es nur Verlierer geben kann.
Der dritte Aufzug gerät schließlich zum stoischen, einstündigen Wahn-Sterben des Helden: Tristan wird vom Nebel des bretonischen Kareols gefressen und durch Isolde-Visionen in holografischen Dreiecken gequält. Wenn er tot und Isolde endgültig entrückt ist, schleppt Marke die ihm versprochene Frau an der Hand ins Off. Eine radikale, eine feministische, eine zutiefst unmenschlich-politische Lesart. Katharina Wagner ist in ihrem Tristan in die Nervenbahnen der Oper vorgedrungen, Lichtjahre entfernt von jedem bekannten Klischee.
Für den Dirigenten Christian Thielemann ist Richard Wagner keine Lebensaufgabe qua Geburt, sondern freiwillig gewählter Enthusiasmus. „Es ist gefährlich, beim Autofahren an diese Musik zu denken“, hat er einmal gesagt, „man bekommt dann diese Idee, mit 200 Sachen an einen Laternenpfeiler zu rasen.“ Für Thielemann ist Wagner existenziell. Aber er hat die Zeit des bloßen Rausches längst hinter sich. Auch er hält sich in seinem Dirigat nicht mehr mit der Haut der Oper auf, sondern dringt zum Mark vor. Thielemann verweigert dem Publikum, dem Orchester und sich selbst den Kontrollverlust durch pure Schönheit. Stattdessen quält er, tut weh, erhebt die Musik selber zum Momentum des Leidens, der Qual, der Ausweglosigkeit. Sein Dirigat ist ebenso verschlungen angelegt wie Eschers Treppenwelten: eine ungreifbare, in sich geschlossene, ausweglose Todesbewegung, oft nur um Nuancen verschoben. Keine effekthascherische Radikalität, kein Ungestüm, alles immer im Schwebezustand. So wie Nikolaus Harnoncourt vor 20 Jahren Mozart durch seine intensive Auseinandersetzung ganz neu gedeutet hat, tut Thielemann das nun mit Wagner. Ein Dirigat, das vom Bauch in den Kopf, von der Unmittelbarkeit in die Akademie gerutscht ist – und gerade dadurch Dimensionen erreicht, die ganz anders berühren als das Bekannte.
Und so zwingt Thielemann auch die Sänger, alteingeübte Tristan-Bahnen zu verlassen. Stephen Goulds Tristan ist eine tenorale Kraftmaschine, die in König Markes Folter-Szenario zum wilden Tier wird. Die Isolde von Evelyn Herlitzius ist kein zerbrechliches Mädchen, sondern eine stimmgewaltige, fast emanzipatorische Elektra.
Seit über vier Jahren lebt Katharina Wagner mit dieser Inszenierung, hat jeden Stoff, jede Bühnenschraube und jeden Schritt ventiliert. Und genau das sieht man dieser Inszenierung an: Sie beginnt, wo das Klischee endet. Und damit ist Wagner durchaus ein Risiko eingegangen, hat dem Bayreuther Publikum die Schwelgerei und das seichte Entertainment verweigert. Endlich ist das Festspielhaus wieder eine Werkstatt, ein Ort, an dem die Wagner-Rezeption ernsthaft auf den Prüfstand gestellt und die Mythen auseinandergeschraubt werden.
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