Relevanzmonitor Kultur: Tiger statt Troubadour?

Kulturpolitik Die Deutschen gehen lieber in den Zoo als in die Oper. Das zeigt der „Relevanzmonitor Kultur“ der Bertelsmann-Stiftung. Trotzdem ist eine große Mehrheit für den Erhalt der Kulturlandschaft. Ein Vertrauen, das die Theater nutzen sollten
Ausgabe 23/2023
Ein Großteil der Deutschen findet, dass Theater zur kulturellen Identität des Landes gehören – aber die werden nur wenig genutzt
Ein Großteil der Deutschen findet, dass Theater zur kulturellen Identität des Landes gehören – aber die werden nur wenig genutzt

Foto: Imago/Steinach

Mit Theatern und Orchestern verhält es sich ein bisschen wie mit dem alten Dampfradio von Oma: irgendwie gehörte es immer selbstverständlich in ihr Wohnzimmer, aber wenn sie tot ist, können wir nichts mehr damit anfangen. Fasst man den „Relevanzmonitor Kultur“ des Liz Mohn Centers der Bertelsmann-Stiftung zusammen, klingt das ähnlich: 91 Prozent der Deutschen wollen ihre Kulturlandschaft der kommenden Generation vererben – aber zwei Drittel der Erben können mit den Theatern und Orchestern nur noch wenig bis gar nichts mehr anfangen.

Ein Großteil der Deutschen findet, dass Theater zur kulturellen Identität des Landes gehören. Das klingt gut, aber dummerweise werden die Institutionen nur wenig genutzt. Während 42 Prozent der Befragten Interesse an einem Zoobesuch haben, interessieren sich nur 18 Prozent für die Oper. Und: nur 12 Prozent aller Deutschen haben im vergangenen Jahr überhaupt ein Opernhaus besucht. Ein Drittel gibt an, noch nie in der Oper oder im Ballett gewesen zu sein. Im Zoo waren allein letztes Jahr 27 Prozent der Menschen.

Entwicklungshilfe für die Theater

Matthias Meis vom Liz Mohn Center der Bertelsmann Stiftung war früher in der so genannten Entwicklungshilfe tätig und sieht (zu Recht) Parallelen: Es ist leicht, sich mit etwas offensichtlich Gutem zu solidarisieren, sich aber aktiv zu engagieren, sei etwas ganz anderes. Mit anderen Worten: Unsere Theater brauchen Entwicklungshilfe!

Die gigantische Kluft zwischen allgemeiner Akzeptanz von Kultur und aktueller Nutzung von Kulturangeboten ist offensichtlich. Ein Großteil des Publikums fühlt sich ausgeschlossen, nicht angesprochen und fremd in Oper und Konzert. Das Marketing funktioniert also nicht (kein Wunder, schaut man sich auf den Homepages der Theater um). Und offensichtlich sind selbst die bezuschussten Preise zu hoch: 17 Prozent der Befragten fordern kostenlose Tickets, 28 Prozent zumindest günstigere Karten. Müssen wir da vielleicht radikal umdenken? Ist es bei einer mit 150 Euro subventionierten Theaterkarte nicht auch egal, ob sie am Ende fünf oder 50 Euro kostet?

Und noch etwas: Die Mehrheit der Menschen will im Theater zwar lachen, aber das Publikum hat durchaus Ansprüche: 43 Prozent fordern explizit künstlerische Experimente, 61 Prozent politische Diskussionen auf der Bühne. Nur 63 Prozent der Deutschen wollen Klassiker sehen, 73 Prozent dagegen neue und aktuelle Stücke. Ein Trend, den die MET in New York längst bestätigt: Uraufführungen verkaufen sich hier weitaus besser als Verdis Troubadour.

Das Publikum will Modernität

Also: Unterschätzt das Publikum nicht! Denn – auch das zeigt die Studie – es hat durchaus kreative Ideen. Ein großer Teil der Befragten wünscht sich mehr Offenheit im Theater, mehr Auftrittsmöglichkeiten für Laiengruppen, kurz: mehr Leben in der Bude! Hier könnte das Theater Basel zum Vorbild werden: Es bietet bereits ein offenes Foyer für jeden an, der sich und seine Kunst präsentieren will.

Die Situation ist ernst, aber Kultur genießt noch ein hohes Vertrauen. In der Verantwortung ist auch die Politik. In Deutschland fällt zum Beispiel viel zu viel Musikunterricht aus. Wie wollen wir ein erwachsenes Publikum für Kultur gewinnen, wenn wir schon die Kinder nicht für Kultur begeistern? Ach ja: Und ein bisschen mehr Modernität in Sachen Unternehmenskultur würde den Theatern sicherlich auch guttun. Denn die Studie zeigt auch: Die Menschen wollen, dass die Bühnen sich mit ihnen bewegen, in eine neue Zeit, in neue Welten – hin: zu neuen Ideen.

In seinem PodcastAlles klar, Klassik?“ stellt Axel Brüggemann den Relevanzmonitor Kultur unter anderem im Gespräch mit dem Intendanten der Mailänder Scala, Dominique Meyer, Berlins Kulturstaatssekretärin Sarah Weil Wilson und dem Intendanten der Staatsoper Unter den Linden, Matthias Schulz vor

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Geschrieben von

Axel Brüggemann

Journalist und Autor in Wien und Bremen.

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