Wenn so die Rechts-Revolution aussieht, hätte Rumpelstilzchen seinerzeit bei den Gebrüdern Grimm mühelos die Weltherrschaft übernommen: ein trostloser Marktplatz irgendwo in Mannheim, ein abgewrackter roter Bühnen-Laster, der sonst von Alleinunterhaltern gemietet wird, eine Handvoll zufälliger und müder Passanten, die sich auf die sogenannte Montagsdemonstration verirrt haben, Eltern mit Kindern auf den Schultern, und auf dem Laster ein verkorkster Sänger, der Sätze faselt wie „Hat Deutschland eine Verfassung? Ist Deutschland noch besetzt?“ und fragt: „Tut die NSA gar nichts Verbotenes, sondern darf er [sic] das eigentlich sogar, weil die Deutschen es ihr per Gesetz erlauben?“
Nein, dass Xavier Naidoo irgendwann zum Revolutionsführer wird, ist mit diesem Auftritt ein für alle Mal ausgeschlossen. Diese Nummer zeigt vielmehr, dass man die neurechten Montagsdemos wohl doch nicht ernster nehmen sollte als ein Kurkonzert in Neuharlingersiel mit Tony Marshall.
Klar, man kann den Journalisten Georg Diez verstehen, der Naidoo nun auf Spiegel Online als „Reichsbürger“ outet, ja, gar zum christlichen Fanatiker hochjazzt, der unser gesetzestreues Denken unterwandert: ein One-Man-Christen-IS mitten in Deutschland. Diez knüpft damit an Marcus Staiger an, den Gründer des Labels Royal Bunker und ehemaligen Chefredakteur von rap.de. Der griff Xavier Naidoo 2012 bereits als „christlichen Fundamentalisten“ an und entdeckte in dessen Liedern eine „Highlander-Romantik“, „einen völkischen Heroismus, in dem unentwegt einer aufsteht, einer sich erhebt, eine messianische Lichtgestalt, der Eine, der von der Vorsehung auserwählte, der die Massen mitreißt und in die Schlacht führt und am Ende das Dunkle vernichtet“.
Aber apropos Massen: Wer ist eigentlich heute noch Xavier-Naidoo-Fan? Jürgen Klinsmann vielleicht, aber der ist bei der WM – was noch mal? Ach ja: im Achtelfinale ausgeschieden. Die deutschen Weltmeister-Kicker wollen von dem steinigen und schweren Weg, den Naidoo im Song zum Sommermärchen besang, schon lange nichts mehr hören. Die sind mit Helene Fischer Weltmeister geworden.
Wenn wir heute über Xavier Naidoo schreiben, ist er längst eine entschärfte Bombe, die sich durch zu viele Fehlzündungen selbst in die Luft gesprengt hat. Durch den Kuschelkurs mit homophoben Rapperkerlen, oder auch durch seinen Morgenmagazin-Auftritt, in dem er sich 2011 schon einmal zu der Behauptung verstieg, dass Deutschland noch immer besetzt sei. Seine Welt ist längst ein Paralleluniversum, eine Ein-Mann-Philosophie, die nicht aus gesellschaftlichen Analysen, sondern aus persönlichen Erfahrungen, Kränkungen und Ängsten entstanden ist.
Die Erhebung der eigenen Schizophrenie
Dass Popstars sich zur APO stilisieren, ist nicht neu: der Weltverbesserungsanspruch von Bono oder Marius Müller-Westernhagen nervt zwar auch – aber, hey: Sie meinen es ja irgendwie gut. Bei Xavier Naidoo war das schon immer anders. Er hat sich in seiner Musik eine Privatmystik geschaffen, ungefähr so wie Richard Wagner, der seine privaten Phobien zum Gesamtkunstwerk erhob. Kunst ist für Naidoo die Erhebung der eigenen Schizophrenie zur gesellschaftlichen Konvention.
Dabei gab es früher durchaus eine Schnittmenge des kleinbürgerlichen Protestlers und des politikverdrossenen Spießertums mit Naidoo. Damals, in Zeiten des Sommermärchens, als noch nicht klar war, ob Schwarz-Rot-Gold nun Politik oder Party war. Als er – und das muss man ihm lassen – in der Casting-Show The Voice of Germany als Juror dem Trash-TV Niveau gab (was ihm sogar heute noch in Sing meinen Song gelingt). Damals, als auf der Kippe stand, ob Deutschland größenwahnsinnig oder einfach nur entspannt ist, war Naidoo nicht nur erfolgreich, sondern auch gefährlich, weil er Unmut und Verdrossenheit in eine ungute Richtung hätte lenken können. Weil er ein Emotionalisierer war.
Aber das Land ist ohne ihn weitergegangen, folgte ihm nicht in seinen Homophobie-Eskapaden, seinen Verschwörungstheorien und seiner Aufforderung, die Hände aus den Taschen zu nehmen, loszuschlagen und der Politik, „diesem Biest“, den „tödlichen Stoß“ zu versetzen, wie er mit den Söhnen Mannheims rappte. Naidoo wollte eine Volksrevolution, aber das Volk wollte keinen Erlöser, sondern wählte – so sind wir eben – Angela Merkel.
Längst mag auch der kleine Mann den Gedankengängen des Sängers nicht mehr folgen, wenn dieser Kinderschändern die „Klöten zerquetschen“ will, weil sie „die kleinen Mösen lieben“. Was Naidoo heute so herrlich ungefährlich macht, ist, dass er seine Kruditäten noch immer ernst nimmt. Dass er also wirklich an die Weltverschwörung glaubt, dass er sich dauernd verfolgt vorkommt, dass er in Österreich sogar eine Farm gekauft haben und bei Panzer-Versteigerungen mitmachen soll, um sich, im Fall der Fälle, selbst versorgen und verteidigen zu können.
Die Frage ist nur: gegen wen? Gegen Georg Diez? Gegen die Amerikaner? Gegen seine Fans? Gegen jeden, der in ihm nicht den Messias erkennen will? Oder gar gegen die vielen Millionen Deutschen, denen das Treiben des Soul-Highlanders schlichtweg egal ist? Naidoo rüstet sich für den Kampf – allein ihm fehlen die Feinde.
So kontrovers wir über die NSA, über Deutschlands Rolle in der Welt, über soziale Gerechtigkeit und die politische Klasse auch streiten können, macht sein trostloser Auftritt auf dem kreischroten Alleinunterhalter-Mobil in Mannheim vor allen Dingen eines klar: Die Montagsdemonstrationen sind an ihrem Tiefpunkt angekommen, sie sind allenfalls ein Sammelbecken für desillusionierte Privatideologen.
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