Mag sein, dass ein Spiel 90 Minuten dauert, aber, hey, wen interessiert schon ein Spiel? Neben den zwei bis drei täglichen Partien geht es vor allem darum, dauerhaft vom Fußball umgeben zu sein: Vorberichte, Zwischenberichte, Live-Schaltungen nach Evian, Nachbesprechungen – und dann noch die abendliche Plaudernachspielzeit bei Lanz oder Beckmann. Also, lieber Sepp Herberger, das mit dem Spiel stimmt, aber ein EM-Tag dauert in Deutschland inzwischen mindestens 600 Minuten!
Was ARD und ZDF dieser Tage auf die Beine stellen, erinnert den Fußballfernsehjunkie oft an die alten Stefan-Raab-Sendungen: ein Endlos-Glotzen, in dem das Warten selbst zum Sinn wird, ein opulentes Zeittotschlagen. Im Grunde schaut man zu, wie ARD und ZDF zehn Stunden lang Schlag den Fußball übertragen. Spätestens in der Nacht, wenn der kleine Markus Lanz allerhand dicke, bärtige Männer wie Weißbierwaldi und eine Quotenspielerfrau in seiner Wohnzimmer-Lagerfeuer-Analyse bewundert, scheint es, als würde das gewohnte Programmschema einfach weiterlaufen – außer, dass irgendwie immer alles mit dem Ball zu tun hat.
Wacht man nach einem 0:0 im Pariser 3-D-Animationsstudio bei Olli W. und Olli K. auf, weiß man nicht genau, ob man sich gerade in der heute-show oder im EM-Studio befindet. Während Olli K. den Hassknecht gibt, sucht Olli W. schon die nächste Pointe – und Holger Stanislawski wirkt wie eine Parodie auf Tina Hausten, wenn er mit den „bekloppten und beballerten Taktik-Touchscreens“ kämpft wie Mario Götze mit seiner Rolle in der Nationalelf. Klar, da will man die Sky-Bundesliga samt Bananen-Talk-Desk kopieren, was aber schon deshalb nicht funktioniert, weil ein echter Comedian wie Lothar Matthäus im Gegensatz zu Kahn gar nicht lustig sein will. Aber Lustigsein scheint zum Hauptziel des öffentlich-rechtlichen Fußballzaubers geworden zu sein.
Die weitgehend ernsthaft gedachte ZDF-Analyse-Show löst dieses Ziel noch am besten ein, während in der als Humorformat konzipierten Football-Soap der ARD, Reinhold Beckmanns Sportschule, nun wirklich jedes Lachen im Fremdschämen erstickt. Im abgetakelten Malente-Trainingslager werden der große Uwe Seeler als Herbergsvater und der kleine Tim als Türsteher auf der Wiese so lange in Beckmanns Talk-Vakuum erniedrigt, dass man Big Brother allmählich für eine menschenwürdige Schau hält.
Dabei kann eine EM doch nicht so schwierig sein: ein bisschen Analyse, ein bisschen Humor, ein bisschen Unterhaltung. Aber nein, da erklärt die ARD, dass sie Jogis Juckreiz und seinen Griff in die Bundeseier (anders als die Italiener) unter keinen Umständen zeigen wird, was die muntere Talk-Runde allerdings nicht daran hindert, immer wieder unter die Trainermittellinie zu tauchen und sich wie Viertklässler an Poldis 80-Prozent-Eier-PK einen runterzulachen.
Das Problem ist, dass der Fußball so unendlich bieder daherkommt und man gleichzeitig so unendlich hip sein will. Wenn Matthias Opdenhövel gefühlte drei Nachspielzeiten auf die Twitter-Reaktionen auf seinem Multimedia-Screen warten muss und Mehmet Scholls Dauergrinsen dabei gefriert, stellen sich irgendwann doch lustige Momente und die Erkenntnis ein, dass den Öffentlich-Rechtlichen die 600 TV-Tagesminuten noch immer nicht reichen, aber die Ausweitung der Fußballzone ins Netz mit „MyView“ oder „Coach-Cam“ dann doch meist in die Hose geht.
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