Es soll tatsächlich Menschen geben, die Angst davor haben, dass ein schwuler Außenminister Deutschland bei den gleichsam polygamen und homosexuell-feindlichen Staatsführern arabischer Länder in Bredouille bringen könnte. Das ist natürlich vollkommener Blödsinn. Viel bedenklicher für das Ansehen der Deutschen ist wohl ein Außenminister, der BBC-Journalisten auf einer Pressekonferenz barsch anfährt und sie bittet, deutsch zu sprechen, dann etwas hilflos mit den Armen rudert und stottert: „Aber, es ist Deutschland hier.“
Es soll auch Menschen geben, die Angst davor gehabt haben, dass Deutschland von einer Frau regiert wird, die zudem noch aus dem Osten der Republik kommt. Das ist natürlich ebenso großer Blödsinn. Viel bedenklicher ist wohl eine Kanzlerin, die im Wahlkampf Steuersenkungen verspricht und nach dem Wahlkampf nicht so genau weiß, wie sie die eigentlich bezahlen soll.
Zugegeben, für einige ausländische Staats- und Regierungschefs mag es durchaus bemerkenswert sein, dass die Bundesrepublik von einer Kanzlerin aus dem Osten und einem homosexuellen Vizekanzler regiert wird. Ausgerechnet Deutschland, die Nation von Recht und Ordnung, das Land, in dem Randgruppen vor 65 Jahren noch organisiert verfolgt, gedemütigt und ermordet wurden.
Und, ja, das neue Spitzen-Duo könnte sogar als endgültiger Abgesang auf die alte Bonner Männer-Republik herhalten, in der Herbert Wehner, Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher in der Kantine des Wasserwerkes bei einem Glas Bier die Regierungspläne ausgeklüngelt haben. Als Franz Josef Strauß sein Portemonnaie noch bei einer New Yorker Prostituierten vergaß, ohne dass Presse oder politische Gegner Kapital daraus geschlagen hätten. Sex hatten sie alle – geredet wurde darüber nie. Das Privatleben war tabu: Schwule und Frauen hatten in der Politik so wenig zu suchen wie auf dem Fußballplatz.
Bayern und Bremen vereint
Und mehr noch: Merkel und Westerwelle scheinen für das endgültige Ende der patriarchalischen „Basta-Politik“ eines Macho-Kanzlers wie Gerhard Schröder zu stehen, der seine Politik noch mit 'ner „Buddel Bier“ und allerhand Männerfreundschaften gemacht hat. Dagegen scheinen die beiden Neuen die endgültige Erfüllung der schönen, ressentimentlosen Bundesrepublik zu sein: weltoffen, kunterbunt und anders.
Klar, die Deutschen witzeln gern über ihre neue Führung, die sie selbst gewählt haben. Aber wie lahm sind die Zoten von „Guido Schwesterwelle“ und „Kanzlerin Angie“, von „dem Merkel und der Westerwelle“? Tatsächlich erscheint kaum ein anderer deutscher Politiker privat derart neutral zu sein wie Merkel und Westerwelle.
Sie sind keine Ikonen der Milieus, denen sie angehören. Kaum ein Schwuler wird die FDP gewählt haben, weil mit ihr die Chance bestand, die Regenbogen-Revolution voranzutreiben und einen schwulen Vizekanzler zu etablieren. Kaum ein Ostdeutscher dürfte für Angela Merkel gestimmt haben, wie er sich von ihr verspricht, dass sie für die Interessen der Rostocker, Dresdener und Magdeburger eintritt. Das kann die Linke sicherlich besser, und Merkel wirbt für sich als Frau „aller Deutschen“ – also auch für die Männer, die Bayern und Bremer.
Merkel und Westerwelle sind keine Milieu-, sondern perfekte Nadelstreifen-Politiker. Alles was an Regenbogen erinnern könnte, ist ihre chamälonhafte Wandlungsfähigkeit. Und so ist das wirklich Interessante an unserer vermeintlichen „Minderheiten“-Regierung, dass sie hinter der politisch überkorrekten, staatsmännischen Alltags-Maske jeden Anschein des Andersseins verborgen hält.
Wenn Guido Westerwelle sagt, dass seine Homosexualität „kein Vorteil und kein Nachteil“ bei der Bundestagswahl gewesen sei, und dass er dieses als Beweis dafür versteht, „dass die Deutschen lediglich über politische Inhalte abstimmen“, scheint er zunächst einmal Recht zu haben. Bei genauem Hinsehen aber wiegt sich Westerwelle in einer Scheinrealität, die er selbst perfekt inszeniert hat.
Von Obama lernen
Von Westerwelle heißt es, dass er nachts um zwei Uhr in einer Berliner Seitenstraße nicht bei rot über die Ampel laufen würde. Er hätte Angst, dass ein Paparazzi der Bild-Zeitung ihn erwischt. Westerwelle ist jemand, der alles richtig machen will. Der das Anderssein verbergen will. Und das ist letztlich wohl sein eigentliches Manko. Er hat einen Mythos aufgebaut, in dem er als Mensch nicht mehr erkennbar ist. Er ist zu einer kunterbunten Medienfigur und gleichzeitig zu einem neutralen Politiker geworden.
Letzteres teilt er mit Kanzlerin Angela Merkel. Von ihr ist nur wenig Privates zu hören. Ihren Mann nimmt sie höchstens zu den Bayreuther Festspielen mit, sie erzählt gerade einmal, dass sie zum Mauerfall in der Sauna war. Über ihre Rolle als Frau in der Politik oder als Ostdeutsche im vereinten Deutschland schweigt sie lieber. Sie will das Bild einer sachlichen, rationalen Politikerin vermitteln, die Entscheidungen nicht aus ihrer eigenen Biographie fällt sondern aus rein wissenschaftlichen Erwägungen. So entemotionalisieren Westerwelle und Merkel die Politik und koppeln sie vom Privaten ab. Sie blenden einen Großteil ihres Menschseins aus. Und vielleicht ist auch das ein Grund dafür, dass wir sie kaum als schwul und als Frau wahrnehmen und sie uns selbst als Politiker immer ein bisschen fremd bleiben.
Wie so vieles könnten Deutsche Politiker auch in Sachen Privates und Öffentliches von Obama lernen. Er ist einer der wenigen Politiker, die selbstbewusst mit ihrer Biographie umgehen. Sein afroamerikanischer Hintergrund steht nicht im Vordergrund, er wird aber auch nicht weggeredet. Im Gegenteil: Barack Obama weist immer wieder darauf hin, dass seine Politik auch die Politik eines Menschen ist, der das Leben vieler Schwarze in den USA kennt.
Axel Brüggemann ist Publizist, Journalist und Drehbuchautor. Am 3. November läuft sein Film Heintje, Henze, Nina Hagen: 60 Jahre Bundesrepublik um 23.15 im WDR-Fernsehen.
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