Wie ein Telefonspaß zur Tragödie wird

Alltagskommentar Wie geht's Kate?, wollten zwei Radiomoderatoren von einer Krankenschwester wissen. Mit tragischen Folgen. Der Anruf setzte eine unausweichliche Schicksalskette in Gang

Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch an Verstehen Sie Spaß? in den achtziger Jahren. Damals stand Karl Dall in einer Telefonzelle und rief Leute an, um sie auf die Schippe zu nehmen. Das war echt lustig. In einer Zeit, als ein Telefon noch eine Wählscheibe mit zehn Löchern hatte und als es keine Chance gab, die Szene noch einmal zu sehen, wenn man gerade auf Klo war, als Karl Dall die Bäckerin aus Mannheim veräppelte.

Über die Telefonanrufe hat sich niemand wirklich totgelacht. Und erst Recht hat sich keiner ihretwegen umgebracht. Damals blieb ein Kinderstreich eben noch ein Kinderstreich! Heute sind Telefonstreiche eher etwas für Lokalsender. Heinz Strunk vom Studio Braun hatte bis 2001 immerhin eine eigene Sendung bei Radio Fritz und FM4. Und Karl Dall sitzt heute, ganz ohne Telefon, bei Lanz auf der Couch.

Zwei unvereinbarte Welten prallen aufeinander

Natürlich wussten auch die australischen Moderatoren Mel Greig und Michael Christian, dass Telefonstreiche nicht mehr der letzte Schrei sind. Deshalb sollte ihr eigentlicher Witz auch nicht das Telefonat mit der Klinik King Edward VII. sein, sondern seine Vorbereitung. Die beiden lachten über ihre miserable Imitation von Prince Charles, der Queen und den Corgis. Die Medienprofis waren sicher, dass sie sofort entlarvt würden. Dass die Königsfamilie – spätestens nach dem Tode Dianas – eine undurchdringbare Medien-Mauer aufgebaut hat. Aber auf der anderen Seite trafen sie auf eine medial unverdorbene Krankenschwester. Für sie schien es selbstverständlich, dass sich eine Großmutter nach dem Gesundheitszustand der Frau ihres Enkels informiert.

Das Telefonat verlief tragisch im Sinne Shakespeares. Es setzte eine unausweichliche Schicksalskette in Gang. Zwei unvereinbare Welten prallten aufeinander: Die modernen Medien-Macher haben unfreiwillig die alte, heile Welt von Verstehen Sie Spaß? angerufen. Letztlich ist die Krankenschwester nicht durch den Telefonstreich in die Tragödie und den Tod getrieben worden, sondern weil eine andere Instanz – das Internet – ihre herzliche Naivität so außerordentlich fand, dass Millionen Menschen sie auf Facebook- und Twitter-Accounts gepostet haben. Als genialen, harmlosen Spaß. Wahrscheinlich jene Menschen, die Greig und Christian nun die Schuld in die Schuhe schieben!

Echte Tragödien kennen keine Helden und Täter. Sie sind Geschichten der Unausweichlichkeit. Geschichten darüber, wie ein Kindergeburtstag als Weltuntergang außer Kontrolle gerät. Der australische Telefonstreich ist eine.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Axel Brüggemann

Journalist und Autor in Wien und Bremen.

Avatar

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden