Bei den Verhandlungen zur Osterweiterung der EU wird seit 1998 kritisch überprüft, inwieweit sich die Kandidaten der ersten Gruppe - Estland, Polen, Slowenien, Ungarn, Tschechien - dem Umweltrecht der Union nähern. Dabei gelten Zwischenregelungen bis 2015 oder 2020 als nicht ausgeschlossen. Wären allein die Umweltstandards der Union maßgebend, dürfte vor 2005 kein Kandidat aufgenommen werden.
Hinter den Brüsseler Kulissen finden derzeit intensive, teils recht kontroverse Verhandlungen über den Umgang mit den EU-Umweltstandards durch die Beitrittsaspiranten statt. Bereits 1997 hatte die Europäische Kommission konzedieren müssen, die Bewerber könnten wohl nur langfristig sämtliche Normen garantieren. Diese pessimistische Prognose - von Umweltverbänden seinerzeit als eine Art Persilschein für die EU-Anwärter moniert - wird nun durch die Verhandlungen mit den "Luxemburg-Staaten" (Estland, Polen, Slowenien, Ungarn, Tschechien und Zypern) nachdrücklich bestätigt. Allein für diese Gruppe werden die Kosten für eine Adaption des EU-Umweltrechts auf 65 Milliarden Euro geschätzt (etwa 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts dieser Länder). Käme allein das Aufnahmekriterium Ökologie in Betracht, wäre ein Beitritt bis 2004 praktisch ausgeschlossen.
Grundsätzlich bleiben der Union drei Möglichkeiten, darauf zu reagieren: Sie kann eine Aufnahme weiter verzögern, die Investitionshilfen deutlich aufstocken oder die von den Beitrittsstaaten beantragten Übergangsfristen für einzelne Umweltstandards (teilweise) akzeptieren. Angesichts der politischen Grundierung einer Osterweiterung und des durch die Agenda 2000 vorgegebenen finanziellen Limits, das eine markante Aufstockung bereits bestehender Umweltprogramme für die Beitrittsländer ausschließt, erscheint allein die dritte Option realistisch. Vermutlich werden sich die EU-Altmitglieder entsprechenden Fristen schon deshalb nicht widersetzen, weil sie bei den Beitrittsverhandlungen in anderen Bereichen - bei der Agrarpolitik oder der Freizügigkeit für Arbeitnehmer - für sich selbst günstige Übergangsregelungen anstreben.
Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass besonders der Gewässerschutz in allen "Luxemburg-Staaten" erhebliche Investitionen verlangt. Die EU-Vorgaben für die Abwasserklärung würden Polen beispielsweise 3,5 Milliarden Euro kosten - Tschechien knapp zwei Milliarden. Warschau hat daher bereits eine Übergangsfrist für die Kommunalabwasserrichtlinie bis 2015 beantragt - die Regierung in Prag bis 2010. Offen ist in Polen aber nicht nur wann, sondern vor allem wie die Richtlinie konkret umgesetzt werden muss: Aufgrund der Eutrophierung (*) der Ostsee drängt Brüssel darauf, das gesamte Territorium Polens als "empfindliches Gebiet" auszuweisen, was höhere Maßstäbe für die Abwasserbehandlung zur Folge hätte. Ein Ansinnen, das in Warschau auf taube Ohren stößt. Ähnlich konfliktgeladen wird über die Nitratrichtlinie verhandelt, die vorgibt, wie Dung gelagert und gewässerbelastende Stickstoffverbindungen in der Landwirtschaft ausgebracht werden sollen. Kritisch sieht die Union auch die bis 2009 reichenden Anträge einiger Bewerber auf Fristen bis zur Übernahme der EU-Gefahrenstoffrichtlinie. Schließlich sind grenzüberschreitende Gewässer wie die Elbe durch gefährliche Substanzen nach wie vor schwer belastet.
Auch für die Nachrüstung von Altanlagen mit moderner Umwelttechnik - hier gilt die IVU-Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzung - werden in einigen Industriesektoren Übergangsfristen bis mindestens 2010 gebraucht. Man denke nur an die osteuropäische Schwerindustrie, die unter verminderter Wettbewerbsfähigkeit leidet, regional stark konzentriert ist und häufig noch nicht vollständig privatisiert wurde. Ähnlich schwer lastet der Anpassungsdruck auf der petrochemischen Industrie einiger Beitrittsstaaten.
Soll also die Ökologie das Kalendarium der Erweiterung nicht nachhaltig korrigieren, führt an Interimslösungen kein Weg vorbei. Deren mögliche negative Konsequenzen stehen allerdings auch außer Zweifel: Exzessive Ausnahmen für die "erste Staffel" schaffen Präzedenzfälle für die nächste Erweiterungsrunde. Auch könnten sich EU-Altmitglieder durch in Aussicht stehende Sonderregelungen veranlasst sehen, eigene Defizite bei Umweltstandards zu rechtfertigen. Außerdem kursiert die Warnung vor einem "Umweltdumping", das bei zu vielen Konzessionen herauf beschworen werde. Wissenschaftlich lässt sich diese Furcht zwar allenfalls für eine sehr geringe Zahl von Industriesektoren erhärten - diese Fälle könnten jedoch die Legitimation der Osterweiterung aus Umweltsicht insgesamt unterlaufen.
Allerdings zeigt der Verhandlungsstand auch, dass mit keinem "Worst case-Szenario" zu rechnen ist. Kein Beitrittsland setzt auf unbefristete nationale Alleingänge, und die Kommission drängt darauf, die Zahl der von Übergangsregelungen betroffenen EU-Bestimmungen spürbar zu senken. So gab EU-Umweltkommissarin Margot Wallström vor wenigen Tagen bekannt, Slowenien würden lediglich drei der fünf beantragten Fristen zugestanden, die zudem an strenge Kriterien gebunden blieben. Auch die polnische Regierung - mit 13 beantragten Ausnahmen Spitzenreiter unter den "Luxemburg-Staaten" - wird Vergünstigungen etwa beim Abfallmanagement nicht durchsetzen können. Letztlich haben alle "Luxemburg-Staaten" bereits akzeptiert, beim Bau neuer Produktionsanlagen grundsätzlich alle EU-Umweltstandards sofort zu respektieren. Eine Genugtuung für die Kommission, dürfte doch gerade dieses Agreement Wettbewerbsverzerrungen vermindern helfen.
Zweifellos wird eine Umweltpolitik der "verschiedenen Geschwindigkeiten" für viele Jahre europäische Realität sein. Dies wirft Fragen nach dem künftigen Umgang mit "nationalen Flexibilitätsspielräumen" innerhalb der EU-Umweltpolitik auf. Beispielsweise erlaubt es das Umweltrecht der Union bisher kaum, ökonomische Instrumente wie Umweltabgaben zur Implementierung von Richtlinien einzusetzen, was natürlich den jetzigen Verhandlungsprozess tangiert. Auch entfalten viele, ursprünglich auf spezifische Probleme der EU-Altmitglieder abzielende ökologische Auflagen in den Beitrittsländern keine vergleichbaren positiven Wirkungen, verursachen aber teils enorme Kosten.
Was letzten Endes auch immer in den Beitrittsverträgen stehen mag, die Erweiterung wird nicht nur nationale Abweichungen innerhalb der Union stimulieren, sondern auch die politischen Mehrheiten für eine ambitionierte Fortentwicklung der EU-Umweltpolitik verändern. Verständlicherweise beharrt die EU-Kommission auf vollständiger Implementierung ihres Reglements, doch wird sie sich stärker auf eine variable Geometrie und eine flexible Integration im Umweltbereich einlassen müssen, die im Übrigen ökologische Ziele keineswegs konterkarieren muss.
(*) Zunahme von Stoffen in Gewässern, die zu pflanzlichen Wucherungen führen.
Dr. Axel Klaphake ist wissenschaftlicher Assistent am Institut für Management in der Umweltplanung der TU Berlin.
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