Dieser Mittwoch war ein schwarzer Tag für den deutschen Fußball. Bayern München, die Mannschaft, die im nationalen Wettbewerb so konkurrenzlos scheint, verlor im internationalen Wettbewerb mit 1:4 in Mailand und führte - eine Woche nach dem 1:4 der deutschen Nationalmannschaft gegen Italien - damit vor, dass der deutsche Fußball offenbar zu schlecht ist, um mit der europäischen Spitze konkurrieren zu können.
Der vorletzte Mittwoch war aber auch ein schwarzer Tag für die Statistik. Nachdem Endstand, wir erinnern: 1:4, wurden weitere, mittlerweile obligatorische Zahlen eingeblendet. Ballbesitz und Torschüsse: 51 zu 49 Prozent beziehungsweise 23:11. Beide Male lagen die soeben verheerend geschlagenen Bayern vorn. Dementsprechend interessierte die Statistik an diesem Abend niemanden.
Das ist nicht immer so. Statistik ist heute der Stoff, aus dem der Fußballkommentar ist. Und das nicht erst, seit Jürgen Klinsmann sich mit Fitnesstests und anderen Amerikanismen anschickte, den deutschen Fußball, nun ja, zu optimieren. Der Einbruch der Zahl in die Fußballbeschreibung verdankt sich hierzulande dem Privatfernsehen. Anfang der neunziger Jahre wurde Sport als wirksames Mittel zur Quotensteigerung erkannt und die beschauliche Sportschau von dem Budenzauber abgelöst, den Anpfiff (RTL) und später ran (Sat1) um das Spiel herum entfachten.
Wer die Spielberichte über zwei Stunden streckt, der will auch was erzählen. Also gründete Sat1 rasch die ran-Datenbank, die man sich als eine Art Atlantis vorstellen musste: einen magischen Ort, von dem niemand wusste, wo er sich befindet und wie es in seinem Inneren aussieht, auf den sich aber immerfort bezogen werden konnte, um noch so billige Mythen zu produzieren: 2 verlorene Spiele = 1 Mini-Krise. Und schon hat man Gesprächsbedarf.
Die statistische Überwachung des Sports kommt aus Amerika. Allerdings hat sich weder Sat1 noch die ARD - die von Sat1 nicht nur ewig jugendliche Moderatoren (Beckmann) übernommen hat, sondern auch das scheinbar moderne Antlitz der Fußballberichterstattung (Zahlen) - gefragt, ob für den deutschen Fußball sinnvoll ist, was etwa im amerikanischen Basketball praktiziert wird.
Zum einen legitimiert die Statistik das Star-System in Amerika, indem das Spielergebnis, das die Mannschaft erreicht hat, in die Anteile zerlegt werden kann, die die Einzelspieler daran haben. Diese Populärwissenschaft ist von der einfachen Addition lange zur gehobenen Division übergegangen: Ein Spieler, der 40 Punkte pro Spiel und mehr erzielt, zählt zu den herausragenden. Wirft er damit aber mehr als 40 Prozent aller Punkte seiner Mannschaft, runzelt der Statistiker die Stirn: schlechte point dispersion (Punkteverteilung), die eine zu starke Abhängigkeit des Teams von seinem Star signalisiert. Hierzulande ist die Star-Produktion eine Sache der Exegeten, in vorderster Front: der Günter Netzers und Franz Beckenbauers, die einem Spieler besondere Qualitäten attestieren. Der Respekt etwa vor Bayern Münchens Abwehrspieler Lucio verdankt sich nicht so sehr den Zweikampfwerten, die jedermann präsent hätte, als vielmehr Lucios kantiger und entschlossener Spielweise. Und tatsächlich macht die Zahl allein noch keinen Star. Der Basketballspieler Kobe Bryant hat unlängst 81 Punkte in einem Spiel erzielt und kurz darauf als jüngster Spieler die 16.000-Punkte-Grenze durchbrochen. Dennoch taugt Bryant nicht als der Superstar, der Michael Jordan gewesen ist. Ihm mangelt es an Ausstrahlung.
Zum anderen lässt sich im Basketball leichter zählen. Während der Rebound, die Balleroberung nach einem Abpraller vom Korb, tatsächlich einem Basketballer gutgeschrieben werden kann, ist die Torverhinderung im Fußball eine Ensembleleistung, die zumeist schon im Mittelfeld beginnt.
Dass die Statistik dennoch zu einem allgegenwärtigen Mittel der Spielbeschreibung geworden ist, deutet vor allem auf eine Maxi-Krise des Kommentatorenwesens hin. Das kann man in den Zusammenfassungen sehen, die das DSF von den beiden Sonntagsspielen liefert. Dort wird ereignislosen Partien wie Frankfurt gegen Duisburg eine Aufmerksamkeit zugeteilt, die ein dröges 0:0 nicht zu rechtfertigen weiß. Weil aber, unabhängig von der Qualität des Spiels, eine ausführliche Berichterstattung vorgesehen ist, bleibt dem Kommentator nichts übrig, als die Langeweile mit noch langweiligeren Statistiken zu füllen.
In der Samstagsausgabe der Sportschau, wo die ARD ja eigentlich die Möglichkeit hätte, den Spielen den Raum zu geben, den sie verdienen, regiert ebenfalls die Zahl. Zwischenmoderationen sind Bilanzen und kurze Werbung wird mit so genannten Fakten zum Spiel getarnt. Da kann man dann lesen, dass der Abstiegskandidat Duisburg seit 7 Heimspielen ungeschlagen ist; eine an Bedeutungslosigkeit nicht zu übertreffende Information, die bestätigt, weshalb man an jeder Zahl zweifeln muss: Statistiken lassen sich in den Dienst noch der dümmsten Wahrheit nehmen.
Das Expertenwissen, das man sich vom Sportkommentator erhofft und das sich eigentlich aus einer langjährigen und emphatischen Kennerschaft des Sports speisen sollte, besteht heute aus blindem Glauben an die demokratische Aufklärung durch möglichst viele Zahlen. Wer eine Datenbank hat, braucht sich um sein Gerede nicht zu sorgen. Der Herrschaft von Statistik hat sich die Sprache der beinahe gesamten, ununterscheidbaren ARD-Kommentatorenriege unterworfen. Eine treffende Beschreibung zu finden, ist nicht mehr erstrebenswert, weil die Zahlen selbst dann aufgeboten werden können, wenn sie nichts sagen. "Ebi Smolarek führt jede Datenbank ad absurdum", setzte Reinhold Beckmann einmal in bemerkenswerter Verkennung der eigenen Verblendung an, da sich die hohe Zahl an Treffern des Dortmunder Stürmers gerade nicht durch Ballkontakte oder ähnliches belegen ließ: "Ist es nicht schön, wenn Zahlen können."
Ist es nicht. Die Entmythologisierung der Sprache schlägt, als Element des gesamten Aufklärungsprozesses, in Magie zurück.
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