Warten auf Fracht

Seeleute Kaum eine Branche ist von der Wirtschaftskrise so hart getroffen worden wie der Güterverkehr zur See. Ein ­Besuch im Hamburger Hafen

Der Lärm schwillt an, in der Luft liegt der schwere, süße Geruch von warmem Pflanzenöl. Ulf Christiansen hat den Kragen seines Anoraks hochgeschlagen, eine graue Haarsträhne lugt unterm weißen Bauhelm hervor. Er drückt den Summer am rostig-grauen Gittertor. Zwei Meter hoch, bewehrt mit Stacheldraht, sichert der Zaun die Kaianlagen der Hamburger Ölmühle und die festgemachten Schiffe. Dann öffnet sich das Tor.

Ulf Christiansen arbeitet sei 20 Jahren als Inspektor für die Internationale Transportarbeiter-Gewerkschaft (ITF), kämpft für bessere Arbeitsbedingungen der Seeleute. Heute steht ein Routinebesuch auf der Donna Maria an. Ein 250-Meter-Schiff, am Heck weht die liberianische Flagge. Christiansen schaut hoch zu den riesigen Saugrüsseln, die tonnenweise Sojabohnen aus dem Schiffsbauch pumpen. Früher ist er selber zur See gefahren, hat ein Kapitänspatent in der Tasche und kennt die Arbeit auf die Weltmeeren.

Wenn Ulf Christiansen kommt, dann unangekündigt. Zumindest der Kapitän weiß oft nichts vom anrückenden Gewerkschafter. Zwei, dreimal pro Monat bekommt er einen Hilferuf von Schiffsbesatzungen in der Anfahrt auf Hamburg: Per SMS oder E-Mail erreichen ihn dann Meldungen über schlechtes Essen, ausstehende Heuer oder miserable Arbeitsbedingungen.

Ein Bündel Dollarscheine

Für die weltweit rund 1,3 Millionen Seeleute sind 130 ITF-Inspektoren im Einsatz. Sie überprüfen, geben Ratschläge, organisieren Widerstand. Auf der Donna Maria kommt Christiansen schnell zur Sache, will wissen, wie hoch die Heuer der Seeleute ist, ob pünktlich gezahlt wird. Seemann Alex kommt von den Philippinen, klopft sich lachend auf die Brusttasche und öffnet sie: Das Bündel Dollarscheine hat ihm der Kapitän heute morgen ausgezahlt, pünktlich wie immer, sagt Alex. Und von der Finanz- und Wirtschaftskrise bekommt er bisher gar nichts mit, sein Vertrag läuft noch ein halbes Jahr, bis dahin ist die Donna Maria ausgebucht. Das Schiff bringt mit jeder Fuhre 48.000 Tonnen Sojabohnen aus Südamerika nach Europa und fährt mit Düngemittel an Bord wieder zurück.

Kalt erwischt hat die Krise dagegen eine Hand voll Schiffe im Hamburger Hafen: Auflieger ohne Charteraufträge, einer davon die Passat Spring, ein Frachter mit Stellfläche für 3.500 Container. Die Reedereien geben sich zugeknöpft, niemand will in der Zeitung lesen, dass ihm Aufträge fehlen. Nur über Umwege ist ein Besuch an Bord möglich: über die Seemannsmission Duckdalben mitten im Hafen.

Einer der ehrenamtlichen Helfer der Einrichtung ist Werner Tantzscher, Mitte 60, graue kurze Haare. Er bremst den VW-Bus am Schlagbaum zu den Kaianlagen am Terminal Tollerort, die Scheibe surrt herunter, Tantzscher zeigt seinen Ausweis vor, wir durchgewunken. Seit Ende September liegt die Passat Spring in Hamburg, der Schiffsdiesel und alle bordeigenen Generatoren sind abgestellt, ein dickes schwarzes Stromkabel versorgt das Schiff mit Elektrizität.

Wippende Füße, Applaus

Tantzscher besucht einmal pro Woche das Schiff. Angekommen auf dem Heck der Passat Spring schüttelt er Daniel Trinca die Hand, der Kapitän kommt aus Rumänien, mahnt zur Vorsicht auf dem rutschigen, vereisten Stahldeck. Zwei Phillipinos winken Tantzscher heran, er plaudert mit ihnen in gebrochenem Englisch. Im Aufenthaltsraum läuft ein Karaoke-Programm im Fernsehen, zwölf Männer sitzen herum, einer singt Lieder aus der Heimat, wippende Füße, Applaus.

Derweil lässt sich auf der Donna Maria, dem Sojabohnenfrachter aus Brasilien, ITF-Inspektor Christiansen vom philippinischen Kapitän Césare Abu die Bücher zeigen. Abu legt eine grüne Karte auf den Tisch, Christiansen lächelt zufrieden. Die Karte belegt: Alle Seeleute auf dem Schiff arbeiten unter ITF-Tarifverträgen, niemand verdient unter 900 Euro brutto, im Schnitt liegt der Verdienst an Bord bei rund 1.500 Euro, der Maschinist und der Erste und Zweite Offizier arbeiten für rund 5.000 Euro brutto, der Kapitän bekommt ein- bis zweitausend Euro mehr.

Solidarität der Hafenarbeiter

Die Arbeit auf der Donna Maria ist besser als auf den meisten der weltweit rund 45.000 Frachtschiffen. Christiansen berichtet von unzähligen Verfahren der ITF gegen säumige Reeder. Gerade in der Krise versuchen viele von ihnen, die Löhne zu drücken oder sogar einzubehalten. Allein 2009 hat Ulf Christiansen Heuer in Höhe von über 900.000 Dollar eingefordert. Manchmal reichte ein Anruf des Inspektors, manchmal nur der Gang vor Gericht.

Die Flaute in der Branche bringt manche Reeder noch auf ganz andere Ideen: Sie wollen Liegegebühren sparen und lassen die Mannschaften vor dem Einlaufen in den Hafen die Verankerungen der Container lösen – ein klarer Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften und gegen die Trennung der seemännischen Arbeit von jener der Hafenarbeiter. Aber, so Ulf Christiansen, immer öfter reagieren die Hafenarbeiter auf solche Aktionen, die nicht nur ihnen schaden, sondern auch den Arbeitsdruck der Seeleute weiter erhöhen. Mittlerweile herrscht große Solidarität zwischen den beiden Gruppen.

Auf der Passat Spring sitzt Werner Tantzscher mit dem Kapitän und dem Ersten Offizier in der Bar. Das ganze Schiff, erzählt Trinca, sei nach der langen Liegezeit in erstklassigem Zustand: Vorn über den Ladeluken arbeitet die Crew unter riesigen dicken Planen und entrostet, pflegt und lackiert all die Teile, an denen Salzwasser, Hitze und Kälte ihre Spuren hinterlassen haben. Trinca hofft, dass es bald wieder losgeht, binnen 24 Stunden ist die Passat Spring fertig zum Auslaufen, verspricht er. Dann könnte der Kapitän das Schiff über die Häfen Europas durch das Mittelmeer und den Suezkanal, durch den Golf von Aden nach Asien und Australien führen. Dicke Stacheldrahtrollen stehen auf dem Vordeck bereit. Festgezurrt an der Bordwand sollen sie die Passat Spring vor Piratenangriffen schützen.

Gefährliche Passage

Solche Sorgen muss sich Cesare Abu auf der Donna Maria nicht machen: Seine Zielhäfen liegen in Südamerika und Failed States wie Somalia nicht auf der Reiseroute. Ulf Christiansen ist nach anderthalb Stunden auf dem Frachter schon auf dem Weg zur Gangway, als ihn der Superintendent des Schiffs noch einmal sprechen möchte. Der junge Mann ist in Indien geboren, seine Frau lebt mit den beiden Kindern in Hongkong. Jasenthil Kumar macht sich Sorgen um seine Freunde und Kollegen, die immer wieder die Piratengewässer vor Somalia befahren. Kumar will wissen, was die ITF für diese Seeleute tut und welche Ratschläge Christiansen für sie hat.

Der Inspektor lehnt an der Brüstung des Schiffs und berichtet von den zähen, aber erfolgreichen Verhandlungen mit den Reedern: Durchgesetzt hat die ITF eine Verdopplung der Heuer für die Tage, an denen die Mannschaft in diesen Gebieten unterwegs ist. Denn auch wenn die internationale Militärmission einen relativ sicheren Korridor für Frachtschiffe bereithält – hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Und sollte sich ein Kapitän aus ökonomischen Gründen zur Passage außerhalb des Sicherheitskorridors entscheiden, rät Ulf Christiansen der Mannschaft zum Streik. Die ITF verhandelt gerade mit den Reedern, damit rebellierende Seeleute keine Sanktionen fürchten müssen. Bisher müssen sie den Befehlen dieser Kapitäne gehorchen, wenn sie ihren Job behalten wollen.

Auf der Passat Spring begleitet Kapitän Trinca seinen Gast Werner Tantzscher zur Gangway, rückt die weiße Mütze mit dem schwarz glänzenden Schirm auf dem Kopf zurecht, grüßt militärisch. Die Piraten schrecken ihn nicht. Er fürchtet nur, dass es auch in diesem Monat nichts wird mit neuer Fracht. Im Golf von Aden wird er, wenn es so weit ist, im Konvoi fahren und die Stacheldrahtrollen in Stellung bringen.

Der langen Liegezeit in Hamburg kann Trinca auch eine gute Seite abgewinnen: Ohne Wirtschaftskrise hätte er die Stadt nicht kennengelernt. Aber dann zuckt Trinca doch noch mit den Schultern: Für ausgedehnte Landgänge ist er nicht Kapitän geworden.

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