Genau vor einem Jahr, am 27. Juli 2000, erschütterte der Bombenanschlag von Düsseldorf die deutsche Öffentlichkeit. Dabei explodierte an einem S-Bahnhof eine umgebaute Handgranate in der Nähe einer Gruppe mehrheitlich jüdischer Einwanderer aus Osteuropa. Ein Baby wurde im Mutterleib getroffen und starb, zwei Erwachsene rangen lange mit dem Tod. Obwohl die Bombenleger und ihr Motiv bis heute unbekannt blieben, wurde nach der Attacke der Ruf nach einem verstärkten Kampf gegen Rechtsextremismus laut. Die Parole »Aufstand der Anständigen« nach einem Jahr. Seit Oktober vorigen Jahres versucht die Berliner Initiative EXIT, Mitgliedern der rechten Szene beim Neustart zu helfen. Ohne rechte Ideologie, mit neu erlerntem Demokratieverständnis. Die Zwischenbilanz ihrer Arbeit: 80 Aussteiger. Probleme gibt es vor allem bei inhaftierten Rechtsextremen.
Wenn eines der Handys klingelt, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder hagelt es am anderen Ende der Leitung Beschimpfungen und Drohungen. Oder aber es ist jemand dran, der neu anfangen will. In diesem Fall trifft der Anrufer auf offene Ohren. - Das Team der Berliner Initiative EXIT versucht seit Oktober vergangenen Jahres ausstiegswilligen Menschen aus der rechten Szene bei ihrem Schritt aus dem braunen Umfeld unter die Arme zu greifen. Je nachdem, wie engmaschig das Netz gestrickt ist, aus dem sich die Betroffenen lösen wollen, vermittelt EXIT Kontakte zu lokalen Initiativen, gibt Ratschläge, wie man mit Drohungen der alten Kameraden umgeht oder leistet Hilfe, wenn nur durch einen Ortswechsel der Bruch mit der Vergangenheit zu schaffen ist.
Sechs Mitarbeiter, unter ihnen PsychologInnen, ein Politologe und ein ehemaliger Polizist, Bernd Wagner, der Initiator des deutschlandweiten Projekts, organisieren die Kontakte mit den Aussteigern. Irgendwo in Berlin liegt ihr Büro, dessen Adresse auch EXIT-Kollege Felix Roth (*) nicht kennt. Für die Fragen der Presse steht er zur Verfügung, die anderen werden abgeschirmt, um nicht ins Fadenkreuz rechter Gruppen zu geraten.
Die 80 von EXIT betreuten Personen kommen in der Mehrzahl aus dem Westen der Republik - erst langsam zeichnet sich ein Gleichgewicht zwischen Ost und West ab - und stammen aus allen Ecken des rechten Lagers. Der jugendliche Mitläufer aus der Provinz, Mitglieder der Freien Kameradschaften oder aus der extrem gewaltbereiten Blood Honour-Szene finden sich genauso in der EXIT-Kartei wie Sascha Stange, ein ehemaliger NPD-Funktionär. Stange organisierte die Präsenz der Rechten im Internet und brachte mit diesem Insiderwissen große Unruhe in die rechtsextreme Gemeinde. Heute ist er Vorzeige-Aussteiger und begehrter Protagonist auf Veranstaltungen und für Reportagen. Der Stern stellte mit den Spendengeldern der Kampagne »Mut gegen Rechts« die finanziellen Mittel für die Arbeit von EXIT bereit. »Wenn die nicht mehr fließen, könnte es eng werden für unsere Arbeit«, sagt Roth, denn auf staatliche Gelder und eine damit verbundene Abhängigkeit will die Initiative verzichten. Schon allein weil es eher unwahrscheinlich sei, dass Rechte sich Hilfe bei staatlichen Stellen suchen, so Roth. Beim Staat, den es für die Rechten zu bekämpfen und anzugreifen gelte.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht das anders. Hier verweist man auf inzwischen 120 Kontakte mit ausstiegswilligen Neonazis und rund 30 im Kölner Bundesamt geführte Gespräche. »Die müssen als ersten Test auf die Ernsthaftigkeit ihres Ausstiegswunsches zu uns nach Köln kommen, in unser Gebäude«, so der Sprecher Hans-Gert Lange. Dafür können die straffälligen Rechten von den guten Kontakten des Dienstes profitieren. Wenn es um Haftverschonung oder Strafmilderug geht, »können wir natürlich schon einiges tun«, erklärt Lange mit gezwungener Bescheidenheit. Außerdem warte seine Behörde nicht nur auf Anrufe aus der rechten Szene, sondern »geht gezielt auf Wackelkandidaten zu«. Zu diesen Kandidaten zählt Lange Personen, »bei denen wir gute Gründe für die Annahme haben, dass sie finanzielle oder persönliche Probleme haben«. »Oder sie haben eine Freundin, von der wir wissen, dass sie rechte Ideen ablehnt.«
Der Anstoß zum Aussteigen kommt nicht immer vom Neonazi selbst. Oft melden sich besorgte Eltern oder eben die Freundin, die den Schritt heraus zur Bedingung für alles andere macht. Wenn die Ratsuchenden von sich aus Kontakt aufnehmen, geschieht dies meist aufgrund besonderer Erlebnisse, erklärt Roth. »Einige sind, wenn sie das erste Mal an einer Gewalttat teilnehmen, sehr erschrocken darüber, wohin ihre Ideologie führt. Andere fallen im wahrsten Sinne des Wortes vom Glauben ab, weil die Realität einfach nicht mit der Ideologie zusammenpasst. Immer wurde von den wundervollen Deutschen gesprochen und um sie herum war von diesen großartigen Mitgliedern des deutschen Volkes wenig zu sehen.«
Von heute auf morgen lässt sich die Herauslösung nicht bewerkstelligen. Ein bis zwei Jahre veranschlagt Roth für diesen Prozess, der vor allem bei inhaftierten Rechtsextremen Konspiration und besondere Vorsichtsmaßnahmen erfordert. Draußen kann EXIT bei der Wohnungs- und Jobsuche helfen und am neuen Wohnort Kontakte mit lokalen Gruppen vermitteln. Innerhalb der Gefängnismauern finden sich diese Auswege nicht. Dort existieren gut organisierte Netzwerke, die die rechte Knastszene zusammenschweißen und von der 1979 gegründeten Hilfsorganisation für nationale und politische Gefangene und deren Angehörige, kurz HNG, koordiniert werden. Sie vermittelt Rechtsanwälte, organisiert Brieffreundschaften und bietet, so Roth, sogar Schulungen an, um die Kameraden bei der Fahne zu halten.
Wer sich innerhalb dieser Strukturen zum Ausstieg entschließt - um die 20 Prozent der von EXIT Betreuten sitzen ein -, gar mit späten Zeugenaussagen die Kampfesgenossen belastet, dem droht Gefahr: Ein von EXIT betreuter Häftling musste verlegt werden, nachdem er mehrmals von alten Kameraden »regelrecht gefoltert« (Roth) wurde. In diesen Fällen nimmt die Aussteigerinitiative Kontakt mit den Justizministerien der Länder auf. Und wenn »im Ministerium die Zustände in den Gefängnissen nicht geleugnet werden oder die zuständigen Beamten nicht einfach nur überrascht sind über unsere Schilderungen, ist die Zusammenarbeit mit diesen Stellen recht gut«, sagt Felix Roth.
Das liegt vor allem daran, dass die zwei bundesweiten Aussteigerprogramme inzwischen von Initiativen in den meisten Bundesländern flankiert werden. Das niedersächsische Justizministerium etwa zielt allein auf inhaftierten Neonazis, während das Programm des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg breiter angelegt ist und bereits 70 Aussteiger vermeldet.
Dass Aussteigerprogramme nur Symptome bekämpfen, nicht aber die Ursachen des Rechtsextremismus, will Felix Roth wenigstens für EXIT so nicht stehen lassen. Immerhin gehe es der Initiative nicht allein um Resozialisierung, also um »ein schönes Auto, eine schöne Wohnung und einen schönen Job, sondern um die Re-Demokratisierung der Ratsuchenden«. »Wer gewaltlos bleibt, aber weiterhin seine Deutsche Stimme liest und NPD wählt, ist eben nur resozialisiert. Und das ist nicht unser Ziel.« Deshalb ist EXIT auch in das Gesamtkonzept der Amadeu-Antonio-Stiftung eingebunden. Unter ihrer Federführung werden unter anderem Opfer rechter Übergriffe betreut, das »Community Coaching« hilft Bezirken und Kommunen im Umgang mit rechten Gruppen und animiert Jugendliche, sich auf lokaler Ebene politisch zu engagieren.
Die aktive rechte Szene ist derweil nicht tatenlos und bastelt sich ihr eigenes Programm. Diskutiert wird eine Art Wiedereinsteiger-Initiative, die Abtrünnige wieder auf den rechten Pfad zurückführen soll.
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