Die Aktion Bolero war gewagt, wenn auch nur Randereignis eines infernalischen Weltkrieges. Am 7. Juli 1942, Hitlers Wehrmacht beherrscht halb Europa, heben von einer US-Luftwaffenbasis im Bundesstaat Maine acht Flugzeuge in Richtung Osten ab: Zwei B-17-Bomber sowie sechs Langstreckenjäger des Typs Lockheed P-38 Lightning. Bei den zweimotorigen, mit je 1.475 PS starken Maschinen ausgestatteten V12 handelt es sich um eine der innovativsten Entwicklungen jener Zeit. Das US-Oberkommando will fünf Geschwader mit je 85 P-38 an die britischen Alliierten überführen. Sechs P-38 fliegen als eine Art Vorhut, wobei die Bomber als Navigationshilfe dienen. Die Flugroute führt über Neufundland und, nach einem Tankstopp in Grönland, weiter zu zwei Flugplätzen auf Is
ätzen auf Island. Zwischen Grönland und Island verschlechtert sich das Wetter, die Staffel verliert die Orientierung, muss umkehren, und wegen Spritmangels in der Eiswüste Ostgrönlands notlanden. Ein Schiff rettet alle Besatzungen, die weitgehend unzerstörten Maschinen bleiben zurück - und versinken mit der Zeit unter einer etwa 100 Meter dicken Eisschicht.65 Jahre nach der Notlandung der "verlorenen Staffel" wird in Deutschland eine vergleichbar abenteuerliche Mission zur Bergung der notgelandeten P-38 vorbereitet. Unter Leitung des Berliner Journalisten Dieter Herrmann traf sich der Verein zur Bergung historischer Fahrzeuge Mitte September auf dem Flugplatz von Schönhagen bei Berlin zur Einstimmung auf das Unternehmen Lost Squadron Recovery. 2008 wollen 400 Vereinsmitglieder während einer sechsmonatigen Aktion die Kriegsrelikte frei schmelzen. Doch das Wetter könnte den Organisatoren ebenso einen Strich durch die Rechnung machen wie das Ausbleiben finanzkräftiger Sponsoren.Mit Hägglunds durchs ewige EisEine Runde mit dem Kettenfahrzeug vom Typ BV 206 Hägglunds auf dem Flugplatz Schönhagen zu drehen, war für viele Vereinsmitglieder ein Riesenspaß. Schließlich gilt der Hägglunds als eines der geländegängigsten Fahrzeuge überhaupt.Uwe Lindner, von Beruf Regisseur und bei dem Bergungsunternehmen verantwortlich für Transport und Logistik, betrachtete die Einweisung allerdings mit einem kritischeren Auge. Der Beherrschung der drei Hägglunds sowie zwei Pistenbullys wird bei der geplanten Bergung im kommenden Jahr eine entscheidende Rolle zukommen. "Wegen der klimatischen Verhältnisse können wir unser Material nicht direkt am Landeplatz der P-38 an der Ostküste anlanden, sondern müssen alles an die Westküsten verfrachten", erklärt Projektvater Herrmann: Von dort sollen dann etwa 80 Tonnen per Schlitten quer durch Grönland zur Ostküste gezogen werden. Einziger Orientierungspunkt auf dem Weg durchs Eis: eine von den USA aufgegebene Radarstation.Was das bedeutet, haben der ehemalige Berliner Fallschirmjäger Manuel Brux, ein eiserfahrener Bergsteiger, der als Krankenpfleger arbeitet, und sein ebenfalls polarerprobter Freund Oliver Buß aus Eisenhüttenstadt im März erfahren. Brux und Buß erkundeten das schwierigste, 80 Kilometer lange Teilstück des insgesamt 700 Kilometer langen Weges. Natürlich weiß Manuel Brux, dass die klimatischen und topografischen Gegebenheiten inmitten einer bis zu minus 40 Grad kalten Natureinöde aus zerklüfteten Eis- und Geröllfeldern manchen Hobbyabenteurer überfordern dürften. Doch er setzt auf ein akribisches Trainingsprogramm sowie einen Ausleseprozess. Mit nach Grönland soll nur derjenige kommen, der zwei Eigenschaften mitbringt: "Selbstkontrolle und eine gesunde Selbsteinschätzung."Nicht nur die Anreise dürfte beschwerlich werden, Am Bergungsort soll zwischen dem 15. Mai und dem 15. Oktober ein Lager betrieben werden, das Platz für bis zu 30 Helfer hat. Insgesamt werden rund 400 Mitarbeiter benötigt, "da wegen der Belastungen jeder nur maximal 21 Tage vor Ort bleiben soll", erklärt der Internist Uwe Beiderwellen. Im Eis-Camp, in welchem an eine ökologische Entsorgung der Abwässer ebenso gedacht ist wie an eine Erste-Hilfe-Station und einen Eisbär-Wächter, übernimmt der Arzt die Verantwortung über eine 30-köpfige Arbeitsgruppe. "Ich muss alle zusammenzuhalten, einem Lagerkoller und Depressionen ebenso vorbeugen wie die Alphatiere mäßigen." Beiderwellen, der ein Faible für Abenteuer und alte Warbirds hat, ist sich allerdings auch darüber im Klaren, dass bei diesem außergewöhnlichen Unternehmen, "keiner weglaufen kann."So viel Mühe, nur um fünf Weltkriegs-Relikte zu bergen? "Klar ist das Projekt verrückt", sagt Initiator Herrmann. Aber genau das ist es, was den TV-Journalisten seit etwa sieben Jahren reizt: "Es ist eines der letzten großen Abenteuer." Weil die Bergung alleine nicht zu stemmen war, gründete er vor drei Jahren den Verein zur Bergung historischer Fahrzeuge. An Gleichgesinnten, vom Arzt bis zum Pilot, herrscht kein Mangel. Freilich ist es nicht das Abenteuer allein, was viele reizt. Herrmann, der Flugzeugbau studiert hat, ist Pilot und Flugzeugfan mit Leib und Seele: "Die P-38 war etwas Besonderes." So sei der mit 665 Stundenkilometern für die damalige Zeit äußerst schnelle Langstreckenjäger etwa das erste serienmäßig gebaute Flugzeug mit Turbolader gewesen. Zudem gebe es von dem Typ "nur noch wenige flugfähige Exemplare".Eines davon ist jene Maschine, welche ein US-Bergungsunternehmen 1992 aus der "verlorenen Staffel" bergen konnte, Mit einem Millionen-Dollar-Aufwand sei die Maschine laut Herrmann restauriert worden. Trotzdem will die Lost Squadron Recovery-Crew einiges anders machen als 1992. Nicht wie damals sollen, einem Schweizer Käse gleich, Blöcke aus dem Eis geschnitten werden, um sich in die Tiefe zu den Wracks vorzuarbeiten. Herrmanns Leute setzen auf eine Schmelztechnik: Dazu wird ein sechs Meter langer und 2,50 Meter breiter doppelwandiger Metallkörper mit Ölfüllung benutzt, der wie eine umgedrehte Hundehütte aussieht und erwärmt wird. Wenn man in etwa 100 Meter Tiefe die Flugzeuge erreicht hat, sollen Hochdruckreiniger zum Einsatz kommen. Es folgen Demontage, Konservierung und Verschiffung. Davon, dass die Maschinen weitgehend intakt sind, ist Dieter Herrmann überzeugt: "Eine 3D-Vermessung sowie zwei Gutachten bestätigten, dass die Flugzeuge noch in dem Zustand sind wie die, die bereits 1992 geborgen wurde."Eine Lightning für GatowWenn die fünf US-Jäger geborgen sind, soll eine als Dank für die Unterstützung bei der Bergung an Dänemark verschenkt werden. Dazu besitzt der deutsche Verein auch das Recht: "Wir haben ein Schreiben, in welchem das US-Verteidigungsministerium die Rechte an den Flugzeugen aufgibt", erklärt Herrmann. Außerdem besage ein Rechtsgutachten, dass "solche Funde in Grönland dem Finder gehören" Von daher könnte Herrmann drei weitere Maschinen zur Refinanzierung der Bergung versteigern lassen. "Eine geborgene P-38 besitzt einen Schätzwert von rund zwei Millionen Dollar."Die fünfte Lightning soll das Luftwaffenmuseum der Bundeswehr in Gatow bekommen. Über die "tolle Maschine" würde sich Andreas Bonstedt, Geschäftsführer des dortigen Fördervereins, freuen, allein, es fehlt ihm der Glaube: "Da muss man dem Realismus Respekt zollen. Mir scheint die Aktion nicht durchführbar." Bonstedt verweist etwa auf eine stillgelegte VW-Teststrecke in Grönland: "Über die will der Bergungstrupp ziehen, aber die Strecke liegt bereits wieder unter meterhohem Eis begraben."Abgesehen von den Widrigkeiten im Hinblick auf Wetter, Wegstrecke und Fitness der Helfer ist die Finanzierung das große Problem. Von den kalkulierten drei Millionen Euro an Kosten liegen erst eine Million auf dem Vereinskonto. Für viele potenzielle Sponsoren gibt es aus Sicht von Dieter Herrmann einen heiklen Punkt: "Sollte die Bergung vor laufenden Kameras scheitern, könnte damit auch der Firmenname in Verbindung gebracht werden." Trotzdem bleibt er optimistisch, bis zum 31. Dezember die Gelder zusammen zu bekommen. Er argumentiert, dass es sich um "ein einmaliges Projekt, das so nie zuvor jemand gewagt hat", handle. Außerdem gibt es noch einen Mutmacher: Die 1992 geborgene P-38 fliegt inzwischen wieder. Ihr Spitznahme: Glacier Girl.
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