Die revolutionäre Bewegung im Iran rüttelt auch die exiliranische Community in Deutschland auf. Dass es sich hierbei keineswegs um eine einheitliche Gemeinschaft handelt, daran erinnerte jüngst die Autorin Asal Dardan: In ihrem Text „Mein Prinz, der Teufel und die Demokratie“ schreibt sie im Freitag über ihre familiären Verstrickungen mit dem Schah-Regime in den 1970er Jahren und an die Zerrissenheit, die sie zwischen dieser Biographie und ihrer heutigen politischen Perspektive empfindet. Offen schreibt Dardan über ihren Vater, der für den SAVAK arbeitete, den repressiven Geheimdienstapparat des Schahs, der politische Oppositionelle im In- und Ausland verfolgte – deren Nachkommen heute ebenso in Deutschland leben. Dies könnte der An
lle im In- und Ausland verfolgte – deren Nachkommen heute ebenso in Deutschland leben. Dies könnte der Anfang einer dringend notwendigen Debatte darüber sein, wie es nachfolgenden Generationen möglich ist, die politische Verantwortung für historische Geschehnisse zu übernehmen – sei es im Kolonialismus, oder im Umgang mit repressiven Regimen wie denen des Schah im Iran.Der offene Umgang mit der eigenen Familiengeschichte von Asal Dardan erweitert die Perspektive auf die in Deutschland lebenden Exiliraner:innen um diejenigen, die vom Schah-Regime profitiert haben. Die stark individualisierte Perspektive des Artikels jedoch lässt den eigenen Handlungs- und damit Verantwortungsrahmen recht klein erscheinen. Dabei gibt es die Möglichkeit, anhand der eigenen biographischen Bezüge die iranische Geschichte politisch aufzuarbeiten und dabei auch intergenerationelle Verantwortung zu übernehmen.So ist es für die politische Einordnung der aktuellen Revolution im Iran wichtig, zu wissen, dass das Repressionssystem des Schahs keineswegs in eine längst vergangene Zeit gehört: Faktisch gibt es politische Kontinuitäten bis hin zum heutigen Regime. Der Unterdrückungsapparat des Schahs wurde im Iran nach der Revolution 1979 vom neuen Regime übernommen und massiv ausgebaut. Der Geheimdienst SAVAK wurde in eine neue Ideologie überführt und erschien im neuen Gewand. Ehemalige Mitglieder nutzten ihr Wissen über linke Gruppierungen, um diese zu infiltrieren und Massenverhaftungen vorzunehmen. So dienten die ersten Jahre nach der Revolution der politischen Säuberung und erreichten mit den Massenhinrichtungen im Jahr 1988, bei dem zehntausende politische Gefangene ermordet wurden, einen grausamen Höhepunkt. In den 1990ern setzte sich die Verfolgung politischer Oppositioneller fort und mündete in den sogenannten Kettenmorden, bei dem bis zu 100 oppositionelle Künstler*innen und politische Aktivist*innen im In- und Ausland ermordet wurden.Die in den vergangenen Monaten international bekannt gewordene Praxis des öffentlich erzwungenen Geständnisses, bei dem Inhaftierte gezwungen wurden, sich von ihren politischen Ansichten zu distanzieren, wurden bereits unter dem Schah praktiziert. Auch das berüchtigte Evin Gefängnis wurde bereits 1971 vom Schah gebaut, um politische Oppositionelle einzusperren. Es unterstand bis 1979 dem SAVAK.Aus deutscher Perspektive verdienen auch die verschiedenen Fluchtgeschichten aus dem Iran eine Aufarbeitung. Regime-Mitglieder hatten teils ganz andere Möglichkeiten, das Land zu verlassen, als Oppositionelle: Sie konnten unter dem Schah nicht nur finanzielles, sondern auch soziales Kapital in Form von Netzwerken anhäufen, und zwar auch in der alten Bundesrepublik Deutschland, die damals enger Partner des Schah-Regimes war. Auch der Verfassungsschutz arbeitete seit Mitte der 1960er Jahre eng mit dem SAVAK zusammen, um Oppositionelle in der BRD und der DDR zu verfolgen. Inwieweit ergaben sich durch diese Verbindungen erleichterte Fluchtwege in die BRD?Für Oppositionelle hingegen gestaltete sich die Flucht während und nach der Revolution zumeist deutlich anders. Sie wurden unter dem Schah über Jahrzehnte hinweg verfolgt, inhaftiert und waren vom Arbeitsverbot betroffen. Dadurch lebten viele am Rande der Armutsgrenze im Untergrund. Die Fluchtwege waren entsprechend beschwerlicher, teilweise zu Fuß über den Landweg in die Türkei oder die damalige Sowjetunion, monatelang, gar Jahre wartend an der Grenze zu Europa. Selbst wer es in die Bundesrepublik schaffte, wurde anders behandelt als Mitglieder des Regimes. So wies der Historiker Patrice Potrus in seinem Buch „Umkämpftes Asyl“ darauf hin, dass die vor dem sogenannten Asylkompromiss 1993 noch geltende Regelung „politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ in der Auslegung und Umsetzung oftmals von außenpolitischen Interessen beeinflusst war.Im Kontext des Kalten Krieges diente das Asylrecht häufig der Unterstützung anti-kommunistischer Machthaber und damit einhergehend auch der Bekämpfung anti-kolonialer und anti-imperialer Kämpfe. Erst die erstarkten islamistischen Kräfte der 1980er brachten die Weltordnung entlang der Blockteilung ins Wanken, sodass auch verstärkt Linken aus dem globalen Süden in Deutschland Asyl gewährt wurde.Wer in Westdeutschland als Oppositioneller Asyl bekam, setzte in der Diaspora die politische Arbeit teils fort und baute damals Strukturen auf, auf die Exil-Gruppen bis heute zurückgreifen können. Oppositionelle waren es auch, die das Iran-Tribunal gründeten und nach jahrelanger, unermüdlicher Arbeit im Jahr 2012 eine Wahrheitskommission einrichten konnten, um die Aussagen von ehemals politischen Gefangenen und Menschenrechtsaktivist*innen einzusammeln. Auch in Deutschland selbst trugen sie zu progressiven Veränderungen bei. In ihrem Buch „Migrantischer Feminismus“ zeichnen Encarnación Gutiérrez Rodríguez und Pinar Tuzcu nach, wie iranische linke Frauen gemeinsam mit anderen geflüchteten und migrantischen Frauen jenseits des weißen Feminismus (Beratungs-)Strukturen aufgebaut haben, die Raum für Empowerment und Auseinandersetzung mit Antirassismus boten.Je mehr Menschen dazu bereit sind, intergenerationelle Verantwortung zu übernehmen, desto besser bekommen wir Einblicke in die unterschiedlichen Wissen und Zugänge der unterschiedlichen Biografien: Welche Privilegien genossen Mitglieder des Schah-Regimes in Deutschland gegenüber geflohenen Oppositionellen? Welche Unterschiede ergeben sich aus dieser sozialen Ungleichheit bis heute – und in kommende Generationen in und außerhalb des Iran? Selbst wenn sich viele Fragen nicht im familiären Kreis beantworten lassen, kann das biographische Wissen dazu dienen, sich auf die Suche zu machen danach, wie sich Fluchtwege und Asylprozesse für Regime-Mitarbeiter*innen darstellten. Das könnte dazu beitragen, die Rolle Deutschlands kritisch zu beleuchten: Welche innenpolitischen Hebel nutzte die Bundesrepublik, um repressive Regime auf der Welt zu unterstützen? Zu dieser Aufarbeitung sollten alle beitragen: Nicht nur diejenigen, deren Familien von der Verfolgung und Inhaftierung des Schah-Regimes betroffen waren. Sondern auch die vielen, die – teilweise bis heute –von dem Regime profitierten.