An meine Völker!

LINKE UND MULTIKULTUR Mit Habsburg gegen Haider?

Die "guten alten Zeiten" Österreichs! Barockarchitektur, Mozart und Donauwalzer, Powidltatschkerln und böhmische Küche. Und der Mythos eines übernationalen Reiches, ein weiser Herrscher mit über fünfzig Titeln: Kaiser von Österreich, König von Ungarn, Böhmen, Galizien und Dalmatien, Herzog von Kroatien, von der Bukowina und weiß der Teufel worüber noch, Markgraf von Mähren bis Podolien. Hinter all dem Bombast steht ein multi-ethnisches Reich: Ein alter ethnografischer Atlas weist für die Monarchie drei Regionen mit mehr als 25 Nationalitäten aus: die Bukowina, die Batschka und den Banat (etwa die heutige Wojwodina) und die Primorska (Friaul und Istrien). Angesichts der großen Zahl der Völker sprach der pater populorum sie in seinen Dekreten summarisch an: "An meine Völker!"

Wenn heute Linke in Europa diskutieren, ob sich aus den Habsburger Traditionen Funken schlagen lassen für eine Strategie gegen Haider, sollte man nicht vergessen, dass dieser Multikulturalismus ein paternalistischer, autoritärer war. "Was Wien", notiert Karl-Markus Gauß auf seiner Reise Ins unentdeckte Österreich', "Was Wien, das den Westen Mitteleuropas repräsentierte, aus dem Osten aufnahm, das waren die Menschen: die vielen begabten Menschen, die das Lexikon heute als Österreicher verzeichnet und die doch irgendwo zwischen Istrien und der Bukowina geboren wurden, Wissenschaftler, Erfinder, Künstler; Namenlose der slawischen Provinzen, die sich und die Ihren in der Metropole einen Namen als Kaufleute oder Beamte machten, Massen von Arbeitern und Arbeiterinnen, deren Nachfahren heute nicht selten jener gedächtnislosen Elite zugehörten, die die Geschichte am liebsten mit sich selbst, mit ihrer eigenen Herrlichkeit beginnen lassen möchte." Die Zerschlagung des Reiches 1918, die Reduktion auf einen Kleinstaat bewirken ein Trauma. Dieser Staat mit seiner für die sieben Millionen Einwohner viel zu großen Hauptstadt beherbergt weiterhin eine große Zahl von Menschen aus Regionen der ehemaligen Monarchie, die nunmehr "Ausländer" sind. Wien ist bis heute die zweitgrößte tschechische Stadt.

Nun kommen zwei Mechanismen in Bewegung. Der revanchistische Nationalismus des bürgerlichen Lagers, der bald umschlägt in den Rassenwahn, und die Xenophobien in der Arbeiterbewegung - denn die wirtschaftliche Lage ist bedrückend und die Konkurrenz um den Arbeitsplatz mit den Arbeitern aus Böhmen oder Ungarn ist hart. Kein Wunder, dass sich die Widersprüche unerhört scharf zuspitzen, dass Kernschichten der Arbeiter, die 1934 noch gegen die Bourgeoisie kämpfen, 1938 schon für Hitler votieren. Im Grunde ist, ganz gleich in welcher Schicht, die Erste Republik gekennzeichnet als ein verzweifelter Prozess einer Identitätsfindung. Mit unerhörter Schärfe reissen sich große Teile der Bevölkerung aus ihren multikulturellen Wurzeln, um um jeden Preis deutsch zu werden. Als Braunau-Adolf wiederkehrt, hat das Land bald die höchste NSDAP-Organisationsdichte.

Bis heute dauert das Leugnen an. FPÖ-Clubobmann Peter Westenthaler sah sich für seine FPÖ-Karriere veranlasst, von seinem Vaternamen Hojac auf den Tejtschnamen seinr Mutta umzusteigen. Andererseits, weil das Leben immer viel vielfältiger ist als manche FPÖ-Einfalt, lernt Frontman JirŠi Haider derzeit Slowenisch und bemüht sich, durchaus mit Erfolg, um gutes Einvernehmen mit den Vertretern der slowenischen Minderheit in Kärnten. Das wird er bald seinen Gegnern um die Ohren hauen. Allerdings zeigt sich - und hier schließt sich der Bogen zu den vertrottelten Habsburgern -, dass Haider einer Doppelstrategie folgt. Denn die FPÖ-Politik lautet: Immigration nein, Familienzusammenführung nein, laut FPÖ-Stellvertreter Prinzhorn Kinderbeschränkungen für Ausländer ("Hormonbehandlungen..."), Rassismus und Ausgrenzung. Das ist die eine Seite, die andere: An die Minderheiten, die seit jeher auf Österreichs Boden leben, wird sich Haider bald mit ähnlicher Geste wie der alte Kaiser Franz Joseph wenden: "An meine Völker..."

Bevor aber Haider wieder punkten kann, müssen ihm die Kräfte, die jetzt wieder Mut schöpfen, zuvorkommen. Zum einen gilt es, ein unverkrampftes Verhältnis zur österreichischen Geschichte zu finden, insbesondere zu historischen Knackpunkten. Zum anderen ein praktisches Verhältnis zur Gegenwart, denn das ganze schöne Geschwätz von Multikulturalismus nutzt gar nichts, wenn man sich nicht in einer Sprache des Nachbarn verständigen kann.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden