Wahrheit? Welt? Irdisches Glück? Ewiges Leben? Ecce homo: mit seinen läppischen Möglichkeiten, ein paar Mal ein- und auszuatmen, seinen Körper aufzupäppeln, der immer irgendwelche Schwierigkeiten bereitet, ziemlich viel wirres Zeug und wenig vernünftiges im Hirn herumzuwälzen, sich gar noch mit Metaphysik und, zum Selbstschutz vor der blanken Angst, mit Jenseitsglauben herumzuschlagen, mit Leuchttürmen, Paradies und Religion, um letztlich doch nur, wie alles weltlich Ding, den Konkurs anzumelden und sich zu kadavrieren. Mehr, Frau Präsidentin, Herr Lumpensammler, Frau Bankchefin, Herr Kardinal, Ihr alle, die Ihr in den unteren, mittleren und oberen Etagen der Gesellschaft herumturnt, mehr ist es nicht als diese schmale Spanne Zeit, als dieses ku
kurze Krümmen zwischen Geburtsschrei und Exit. Über allem steht der Konkurs, kein Gebet kann ihn weichzeichnen, kein Vatikan, kein Zion, keine Lichtwerk-Sekte kann ihn retuschieren, der Tod ist ein gnadenloser Gläubiger, überallhin schickt er seine Konkursmasse-Verwalter, unerbittlich führen sie alles zum Fall. Letztlich bleibt in Maxglan - einem Salzburger Stadtteil - wie auch anderswo auf dieser Pflaume nur die Wüste, durch die der Ramadan weht. Ach, und vielleicht noch etwas. Das existenzielle Wie.Paragraphen der Konkursordnung dienen Max Blaeulich denn auch als irritierende Überschriften der einzelnen Kapitel. Doch scheint erst einmal alles den gewohnten Gang eines Romans zu gehen. Ein gewisser Heinrich wartet 1958 in der Eingangshalle der Maxglaner Knopffabrik in Salzburg auf ein Bewerbungsgespräch, studiert die Fotos von der Errichtung der Fabrik, sorgt sich um seine Nase, deren Scheidewand vom vielen Bohren durchstoßen ist, ein ausgiebiges Thema, nebensächlich das Gespräch, wir erfahren nur, dass er eingestellt wird. Gewisse Umstände erinnern ihn dabei an Kindheit und Jugend, die wesentlich bestimmt waren von einer "Lichtwerk" genannten Sekte. Diese erweist sich als eine straffe Organisation mit klarer Hierarchie, zusammengesetzt, scheinbar Ausdruck der Nachkriegsverhältnisse, aus Tätern und Opfern der Nazizeit, aus SS-lern wie auch aus KZ-lern. Es gibt bei den "Heerscharen" die Führungsschicht der Prinzen und Könige und die Gefolgschaft der Diener, sie huldigen einem sich nahenden Paradies, ihr größter Lebenseifer besteht darin, mit obskuren Mitteln den Zeitpunkt dieses Nahens zu berechnen, sich gegenseitig ihrer Überzeugung zu vergewissern und auf dieses Ziel hin durch den Verkauf von Werbematerial möglichst viele Leute zu überzeugen. Ideologisch begründet sich das Lichtwerk auf den Büchern des Alten Testaments, entsprechend zahlreich sind die Anspielungen und Zitate. Messianismus also, der sich von der Heilslehre der freien Marktwirtschaft nur dadurch unterscheidet, dass er seine Glücksversprechen auf St. Nimmerlein transzendiert. Schon nach diesen ersten beiden Kapiteln, nach diesen Einführungen in Knopffabrik und Leuchtturm, ins Jammertal des kapitalistischen Diesseits und ins Mannatal des christlichen Jenseits, merkt der Leser: Er ist in ein ganz ungewöhnliches Buch hinein geraten.Heinrich ist der Vergil durch das Blaeulich´sche Inferno, eine Halbwaise, der Vater gefallen, die Mutter irgendwann abgehauen, "verreist" mit einem Verkäufer, er selbst in Obhut genommen von deren Schwester, in die Mangel genommen von den Lehren des Lichtwerks, in die Mangel genommen von Herrn Zerr, der ihm die Geheimnisse der Chronologie, des Verkaufs und der Reinheit beibringen soll, der ihm täglich seine Unreinheit nachweist, wenn er den Jugendlichen melkt. Worauf Heinrich das Nasenbohren und das Zeichnen beginnt. Heinrich beginnt auch das Paradies auszurechnen. Erst als die Tante und Herr Zerr ein Paar werden und für Heinrich kein Platz mehr ist, versteckt er sich in einer Garconnière. Dem Leuchtturm wird er deshalb nicht entkommen.Erst einmal hält die Knopffabrik über viele Jahre den Entwerfer Heinrich im Atem. Eine Knopffabrik ist ein außerordentlich komplizierter Organismus; wie eine solche realiter funktioniert, kann man zum Beispiel an der Hans Dill GmbH KG im ostbayrischen Bärnau studieren, die auf ihrer Homepage einen eindrucksvollen Blick in ihre aufgeknöpften Eingeweide zulässt. Vergleicht man derlei Fachdarstellungen mit Blaeulichs Schilderungen, oder genauer: Analysen, wird einem erst gewahr, dass der Autor auch noch die letzten Tiefen dieses diffizilen Sektors auslotet, ausleuchtet, geradezu ausgreift, keine Darmwindung auslässt und keine Hämorrhoide. Er geht also dem Kapitalismus bis in die letzte Arschfalte nach, bis zum finalen Konkurs, wozu er das Abführmittel des Masseverwalters Jauchinger, nomen est omen, einführt - ein armer behinderter Krückengänger, der schließlich zum Lichtwerk konvertieren wird, das die Konkursmasse samt Jauchinger aufkauft. Zu einem Teil handelt es sich bei diesem Buch also um ein Werk der Politischen Ökonomie, denn Blaeulich arbeitet sich gewissenhaft an Produktion, Kreativabteilung, Lager, Buchhaltung und Chefetage ab. Von Marx unterscheidet er sich in angenehmer Weise, indem er nicht die Methode der Reduktion und Abstraktion anwendet, die, wenn es dann um die "abstrakte Arbeit" geht, viele hervorragende Ökonomen verwirrt hat, im Gegenteil. Bei unserem Autor gibt es nur konkrete Arbeit oder das, was Lohnabhängige in einer Zeitspanne tun, die irrtümlich als Arbeitszeit verengt wird. So wird "Arbeit" ganz anschaulich ein Ort des Überdrusses, des Lebenszeitverplemperns, der Lüste und Geilheiten, des Klatsches und der übelsten Ausrichterei und sonstiger Leitwerte dieser Gesellschaft. Es gibt grandiose Passagen etwa über den Weg, den Knöpfe gehen, was dabei in der Seele der Knöpfe vor sich geht, wie sie sich vor dem Lager fürchten, wo sie landen, wenn sie nicht in den Umlauf gelangen, nicht auf philippinische Uniformjacken oder Damenblusen in italienischen Boutiquen, stattdessen von Schwarzhändlern umgearbeitet oder anderswie verschachert werden, weit unter ihrem Preis, sozusagen einen Identitätswandel vornehmen oder überhaupt vergessen werden und dumpf dahin dämmern, ein hübsches Allegoriechen auf die humane Welt. Der Fabrikbauch, wo Kapital nur noch ruht und verschlampt oder herumgeschoben und vernichtet wird, während in den Büchern Fantasiewerte aufscheinen, die je nach gewünschtem Bilanzergebnis fieberkurvig aufgeplustert und abgezockelt werden, ist der eigentlich spannende Teil der Kapitalwelt. Natürlich muss auch Produktion sein, aber was hier sich abspielt, ist das Um und Auf. Waren den Kindern Knöpfe nicht Ersatzgeld? Wird hier nicht etwas von der Finanzwelt abgebildet? Und zwar mit gnadenloser Poesie? Blaeulich ist ein sprachstarker Autor, der seinesgleichen sucht, und das will etwas heißen in Österreich.Immer wieder gibt es Fäden mit der anderen Welt, dem Lichtwerk, direkte Verbindungen. Leute aus der Fabrik sind Mitglieder der Sekte, deren Strukturen und Rituale, deren brutale Ausleseverfahren, deren Werbe- und Verkaufsorganisation irgendwie. Ja, das Denken der Menschen bewegt sich eben nicht außerhalb der Zeitläufe. Ob ein Prinz Leide oder ein Prinz Podolny, sosehr sie nach dem Höchsten und Jenseitigen streben, ihr Sinnen ist im Grunde ein Säkulares, Verkaufverkaufverkauf, Konkurrenzkonkurrenzkonkurrenz, der Feind ist immer und überall, der Kapitalismus auch. Mit welch unglaublich widerlicher Melodramatik diese Sektenscheißer ihre unfehlbare Überzeugtheit inszenieren, führt uns der Autor mit eindringlicher Sachkenntnis vor Augen. Und dann die Schicksale einzelner Personen, meist kleiner Leute. Die da ihre ganze Hoffnung hinein gelegt haben. Dumm, ja. Irgendeine "Verfehlung", ein Zweifel. Man geht dem Ende entgegen, da stellt sich manchmal eine kleine Frage ein. Peng. Und draus bist du. Gnadenlos die Begnadeten. Dann die kleinen Konkurse, unabwendbar, das Sterben der Leute. War da etwas? Ausgeatmet. Ein verfettetes Herz. Besessenheit. Die besessenen Prinzen aber schreiten unerbittlich voran. Können auch Bischöfe, Kardinäle, Äbte sein. Alle Sekten der Welt, vom Papst angefangen. Mit zwingender Logik wird Prinz Podolny als Vertreter des Lichtwerks die bankrotte Knopffabrik für einen Pappenstiel kaufen, im Konkurs kopulieren Diesseitsjünger und Jenseitsjünger.Heinrich: auch ein Ausgeschlossener, aus der Fabrik, aus dem Orden. "Nirgends war er ganz angenommen worden. Was immer er entwarf, es war umsonst." Wenn er ins Moor geht, vergeht, wird ein Sperling vom Himmel fallen, aber kein Gott wird davon wissen. Kein Gott weiß, wie es auf dieser Erde zugeht.Max Blaeulich: Die Knopffabrik. Roman, Klagenfurt, Wieser, 2002, 304 S., 21 EUR
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