In den Sechzigerjahren ging es auch in Jugoslawien bunt zu. Rockgruppen schossen aus dem Boden, es gab Hippies, Gurus fernöstlicher Philosophien und die freie Liebe. Da und dort griff die Staatsmacht ein, schlug die Zensur zu, sogar Bücher wurden verboten, relativ selten allerdings. Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution (deutsch: 1994) von Bora Cosic kam auf den Index, griff er doch zwei heilige Kühe an, die politische des Jugo-Sozialismus und die gesellschaftliche der Familie. Die Philosophenschule der Praxis-Leute von Korcula ging den Parteiideologen manchmal zu weit, da witterten die Kirchengläubigen des Marxismus eine dekadente Häresie. Und der "kroatische Frühling" drohte das Zwangskorsett der ideologischen Einheit zu sprengen, da wurde mit dem bekannten eisernen Besen der Säuberung durchgegriffen. Das war zu bunt, bunter als das mit den Hippies oder den Gurus. Feststellen konnte man damals schon zwei Tendenzen: dass die Jugend sich nicht länger ins nationale Korsett einspannen ließ und die ganze, nicht nur die halbe Welt entdecken wollte, und dass die Partei des Internationalismus den besten Boden für nationalistische Wucherungen abgab, die zum Zerfall des Landes führen sollten.
In Zagreb wurde 1968 in diese Zeit hineingeboren die Autorin Rujana Jeger. Ihre Jugend war somit verknüpft mit den Auflösungsstadien des Sozialismus in Jugoslawien. Als Kind erlebte sie noch die Tito-Staffetten, als sie 13 war, starb der Allmächtige. Sie wuchs mit Iggy Pop und Lou Reed auf, mit Ferienlagern an der Makarska-Riviera und Joints nach der Schule, mit 21 erlebte sie Milos?evic´s Verfassungsbrüche und seinen Zug aufs Amselfeld, wo er seine großserbischen Ambitionen verkündete. Es folgten Jahre des Krieges, Genozide, Massenfluchten, Zerstörung, Familien zerfielen, Auswanderungswellen, weil unzählige Menschen in ihrer Heimat keine Perspektive mehr sahen.
Das ist auch der Hintergrund von Jegers Buch Darkroom, ein Roman ohne zusammenhängenden Plot, eine Montage aus kleinen und Kleinstfragmenten. Der Vater ist ein 68er-Guru, Bohèmien und Professor, nahm wohl teil am sommerlichen Philosophieren an der Adria, pflegte wechselnde Beziehungen, einer entsprang die Icherzählerin Morana, die mehrere "Stiefmütter" mitbekommt, die letzte jünger als sie, die Stieftochter. Der Vater lebt zur Erzählzeit in San Francisco. Morana hat sich schon vor Jahren aus Zagreb mit ihrem Mann Boris nach München abgesetzt. Sie ist konsumsüchtig, wie sie ihrem Mann in einem längeren Brief ihr "schreckliches Geheimnis" gesteht. Das bleibt so stehen, ist kein Thema, denn die einzelnen Episoden sind nur impressionistische Farbtupfer.
In München lebt auch Kristijan, ihr bester Freund, in dessen Erzählperspektive sie manchmal springt, wenn sie seinen schwulen Abenteuern mehr unmittelbaren Touch geben will. Auch Großvater lebt in Deutschland, er kommt aus Subotica, aus der Woiwodina, und macht sich Gedanken darüber, wie nach dem Tod seine Asche auf den Friedhof neben seiner Frau bestattet werden kann. Zumal der Friedhof noch Jahre nach dem Krieg vermint war. Mama, einst ein Freak mit Hennahaaren, ist Dialysepatientin und hat einige Operationen hinter sich, sie scheint dennoch eine reisefreudige Frau zu sein, schon als kleines Mädchen war Morana in Stockholm, als ihre Eltern dort zur Saisonarbeit hinfuhren.
Soweit das fixe Personal einer Szenenfolge, in der das Heute und das Gestern, Aktuelles und Erinnertes in kleinen Portionen verabreicht werden. Es gibt keine konsistente Geschichte mehr, die sich von Anfang bis zum Ende erzählen lässt, es gibt nur noch disparate Ereignisse, Bruchstücke vergangener Kuriositäten, da und dort tauchen ein Song, eine Band, eine Marke auf, als Filter 160 erinnert nostalgisch. Es folgten Urlaube am Meer, Korcula, Tunesien, Berlin; Gespräche über Sex, von daher auch der Titel, und über Kochrezepte. Immer kommen irgendwelche Personen vor, mit denen etwas unternommen wird, und die dann nie mehr vorkommen, wie im wirklichen Leben. Die Dinge passieren einfach, es ist schon gut, wenn es nichts Schlimmes ist, die Politik ist fern, darüber sprechen höchstens die älteren der älteren Leute. Der Krieg ist passiert, wie Kriege eben passieren, da war sie 23, was soll eine 23-Jährige schon mit dem Krieg anfangen? Heldin spielen wie in den Partisanenfilmen des sozialistischen Jugoslawien, die den Jugendlichen zum Hals heraus hingen? Nein, der Krieg passierte, und man wurde ohnehin falsch informiert. Man haute ab, nach Deutschland, was sollte man bei diesen Wahnsinnigen noch? Und erinnert sich: Da gab´s bei einem Orgasmus Schüsse und Granaten. Sowieso denkt man in diesem Alter bei Stellungen weit eher an den Geschlechterkrieg.
Das ist manchmal witzig, manchmal nervig, manches kriegt einen schwebenden Ton, vieles langweilt auch. Irgendwann taucht der Eindruck auf: Das schreibt eine, die einen Strich ziehen will. Tatsächlich lautet der Schlusssatz: "Und innerlich schreibe ich einen Liebesbrief an die Stadt, von der ich mich eben verabschiede, nach zehn Jahren, in denen ich mich ständig nach ihr gesehnt habe."
Das wird nun von Werbestrategen verkauft als Geschichte einer "Generation X vom Balkan", weil die Autorin auch in dieses Näpfchen greift, einer Generation X, für die eine liebenswert verlotterte Phase umschlug in die Phase der Auflösung, des Krieges und der Entwurzelung. Dafür, heißt es, habe die Autorin eine überzeugende literarische Form gefunden. Hat sie das wirklich? Im Grunde genommen handelt es sich bei Darkroom um ein wohl bekanntes Genre, nämlich um einen Familienroman. In den Literaturen dieser Region existiert eine bewährte Tradition dieses Genres, die sich in neuere Literaturformen transformiert hat. Das eingangs erwähnte Werk von Bora Cosic setzt ihn zum Beispiel in scharfer Abgrenzung zum sozialistischen Realismus in fulminanter Weise fort. Das war scharfe Kost. Die Familie als tragende Säule der jugoslawischen Gesellschaften, bissig-ironisch gebrochen. Die Familie als tragende Säule des Sozialismus; damit sie ihn aber tragen und ertragen kann, richtet sie sich ihn erträglich her, macht ihn familientauglich, dass man schließlich den Eindruck gewinnt, die Familie ist der Kern des jugoslawischen Sozialismus. Das war wunderbar boshaft und witzig.
Nächste Fortsetzerin ist Julijana Matanovic mit ihrem Episodenroman Warum ich euch belogen habe (2000). Das ist der postmoderne Familienroman, der bereits die Auflösungsphase und das neue Kroatien mitreflektiert. Darkroom dagegen ist ein Buch, das nur noch bei der Befindlichkeit verweilt. Man möchte eine Analogie zur Beatliteratur ziehen, etwa zu Kerouacs On the Road, der gehetzte Ton, die schnelle Sprache, die Nachkriegszeit, der Schlussstrich unter die Vergangenheit - aber spätestens da funktioniert es nicht. Kerouac ist auf der Suche nach etwas Neuem, das "Wort", eine neue Offenbarung. Jeger hingegen, desillusioniert von Jugoslawien, von Gewalt und Zerstörung, hängt sich an die Familie, findet aber nur noch das Familiäre, denn die Familie hat sich aufgelöst, während ihr die Welt nur noch als Darkroom erscheint.
Rujana Jeger, 1968 in Zagreb geboren, studierte Archäologie. Sie lebt in Wien, schreibt für die kroatische «Cosmopolitan» und «Elle». «Darkroom» erschien im Original 2001 und ist ihr erster Roman. | |
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