Warum Amerika Amerika heißt, weiß ja jedes Kind. Ich sage nur Americo Vespucci. Wie es allerdings wirklich dazu kam, dass der neue Kontinent nicht nach seinem wahren Entdecker Christoph Columbus benannt wurde, diese Frage beschäftigte mich.
Wer also war Amerigo Vespucci?
Geboren wurde er am 9. März 1452 oder 1454 in Florenz als drittes Kind einer angesehenen florentinischen Familie. Fakt ist auch: Er stand seit 1482 in den Diensten der mächtigen Bankiersfamilie Medici, die Vespucci im Jahre 1491 in ihre Filiale nach Sevilla entsandte. Dort trat er 1492 als Assistent des Geschäftsführers Giannotto Berardi in dessen Dienste. Berardi war auch im Sklavenhandel tätig.
Als die Firma Berardis durch die enormen Kosten von Columbus’ zweiter Reise Bankrott gegangen war, übernahm Vespucci die Abwicklung des Unternehmens. Später half er auch, die Schiffe von Columbus’ dritter Reise auszurüsten. Columbus sah ihn immer als guten Freund.
Von 1499 an zog es Vespucci dann selbst auf See, freilich wohl meist nur als Passagier auf den Schiffen anderer Entdecker, manchmal immerhin auch als Navigator oder als Kapitän eines Schiffes in einer Flotte. Aber mehr nicht. Dafür war er jedoch ein großartiger Erzähler. Er erfand eine ganze Expedition und schilderte andere Reisen, etwa nach Brasilien, in farbigen Briefen an Bekannte und Würdenträger, ganz so, als wäre er selbst der entscheidende Mann der Flotte gewesen. Vermutlich wusste Vespucci damals schon, dass die Welt belogen werden will. Sein Verdienst: Er ahnte wohl, dass sie es da mit einer „Neuen Welt“ zu tun hatten. Und deshalb hieß einer seiner Texte „Mundus Novus“, und das war ein neuer Gedanke.
Und während Columbus seine Entdeckungen meist recht trocken beschrieb, ließ der Florentiner nichts aus. Besonders das Liebesleben der Indianer hatte es Vespucci angetan. Die Indianerfrauen seien „sehr wollüstig“ und würden „die Genitalien der Männer mit Drogen behandeln, damit diese anschwellen. Die Männer wiederum würden es mit allen treiben, auch mit Mutter und Schwester. Die Europäer daheim verschlangen die deftigen Texte entsprechend gierig, Vespuccis Briefe wurden schnell vervielfältigt und kursierten bald in Übersetzungen auf dem ganzen alten Kontinent.
Ein Exemplar gelangte auch zu dem deutschen Kartografen Martin Waldseemüller (Waltzemüller) aus Lothringen. Im Alter von etwa 20 Jahren wurde er 1490 unter dem Namen Martinus Waltzemüller an der Universität Freiburg immatrikuliert. Er studierte Mathematik und Geographie. Während des Studiums lernte er auch den späteren Partner Matthias Ringmann kennen. Nach seinem Studium reiste Waldseemüller mit Ringmann in den Ort St.Didel (Saint-Dié-des-Vosges) auf der Westseite der Vogesen im Herzogtum Lothringen. Das dortige Kloster entwickelte sich im Mittelalter zu einem Zentrum der humanistischen Bewegung. Waldseemüller lehrte dort als Professor für Kosmologie, arbeitete jedoch gleichzeitig zusammen mit Ringmann, der Professor für Latein war, als Kartograf.
Im Jahre 1507 veröffentlichte Waldseemüller mit Hilfe seines Partners Ringmann sein bekanntestes Werk. Eine Weltkarte, die erstmals auch die Neue Welt darstellte. Diese Karte stellt zusammen mit einem Erdglobus und einer Beischrift ein dreiteiliges Projekt dar, dem Waldseemüller den lateinischen Namen „Universalis cosmographia secundum Ptholomaei traditionem et Americi Vespucii aliorumque lustrationes“ gab.
Übersetzung: „Die vollständige Kosmografie nach der Überlieferung des Ptolemäus sowie nach dem Augenschein Amerigo Vespuccis und anderer.“
Waldseemüller schrieb in einer Art Begleitwort: Weil Americus Vesputius einen vierten Teil der Welt entdeckt hat, sehe ich nicht, warum irgendjemand dagegen Einspruch erheben sollte, dass dieser Teil nach Americus dem Entdecker benannt wird. Also Land des Americus oder America,da sowohl Europa als auch Asien ihre Namen von Frauen haben …“
So geschah es also. Und da Waldseemüller so ungemein viel Spaß an seiner Idee hatte, da „America“ so schön klang, trug er diesen Namen auch gleich auf seiner Karte ein, natürlich in Großbuchstaben. Und der wahre Entdecker Christopher Columbus war seit einem Jahr tot und konnte demzufolge naturgemäß keinen Einspruch mehr erheben. Von den Wikingern (Leif Eriksson) mal ganz zu schweigen.
Nichtsdestotrotz in gewisser Weise machte diese Namensgebung dennoch Sinn, da Christoph Kolumbus stets der Ansicht war, den Seeweg nach Indien entdeckt zu haben, weshalb Kolumbus die von ihm entdeckten Inseln auch als westwärts von Indien gelegene Inseln ansah und sie deshalb als Westindische Inseln (und demzufolge deren Bewohner Indianer) benannte. Bald danach übernahmen die meisten Kartografen Waldseemüllers Wortschöpfung. Wessen Idee es aber wirklich war, den neuen Kontinent America zu nennen, ob es nun Waldseemüller oder sein Partner Ringmann war, das kann wohl nie geklärt werden.
www.youtube.com/watch?v=QPYL9swf2_k
Quellen:
Die letzte Reise / Der Fall Christoph Columbus Von Klaus Brinkbäumer / Clemens Höges
And last but not least: wikipedia
Kommentare 8
Endlich mal ein informativer und lehrreicher Beitrag, gern gelesen.
Vielen Dank!
Macht mir auch Spaß mich ab und an als Hobbyhistoriker zu betätigen.
Vielleicht noch dieses zur sogenannten Entdeckung "Amerikas", lieber bambulie:
545 n. Chr.:
Einer nicht gesicherten Überlieferung nach tritt der irische Mönch Brendan in einem Fischerboot eine abenteuerliche Seereise an, die im 9. Jahrhundert in der Navigatio Sancti Brendani abbatis aufgezeichnet wird. Auf seiner Reise nach Westen könnte er Neufundland oder sogar südlicher gelegene Gebiete der amerikanischen Küste erreicht haben, glauben einige Forscher. Berichte dazu finden sich in einigen nordischen Sagas.
985 n. Chr.:
Der Wikinger Bjarne Herjolfsson sichtet als erster Europäer die Neue Welt. Auf der Fahrt von Island nach Grönland hat ihn ein Sturm vermutlich an die Küste von Labrador verschlagen. Nach zwei Tagen segelt er zurück gen Osten, ohne an Land gegangen zu sein.
992 n. Chr.:
Auf den Spuren Herjolfssons erreicht Leif Eirikson mit 35 Mann die Neue Welt. An der Nordküste Neufundlands, in Vinland, schlagen sie ein Winterlager auf.
Insbesondere durch päpstliche Interventionen in Form von Edikten, wurde der Schiffsverkehr mit "Amerika" beginnend mit dem 9. Jhd., der insbesondere von Norwegen aus bis dahin gepflogen wurde, eingestellt. Es war das sozusagen eine Art ganz bewußte und gewollte Abschottung Europas gegen diesen Erdteil hin, um in einer besonderen Weise, wie es sich dann ja auch so herausgestellt hat als ein bis heute schlecht ausrottbarer Macht- und Weltdeutungsanspruch Roms, in Europa das Christentum als Katholizismus in einer besonderen Weise verbreiten zu können.
Danke für den Beitrag und ein Tipp: Neben dem Museum Unterlinden in Colmar (Grünewald-Altar) sollte man im Elsass unbedingt die humanistische Bibliothek in Séléstat besuchen. Es ist so rührend altertümlich wie grandios, rote Decken von Vitrinentischen zu rollen und darunter mittelalterliche Manuskripte und frühe Drucke buchstäblich zu entdecken. Darunter eben auch die Druckfassung der Cosmographiae introductio mit großer Weltkarte Waldseemüllers, zum Teil noch per Hand koloriert. Ich habe dort richtig weiche Knie bekommen - und Rückenschmerzen beim entrückten Entziffern.
@Gebe,
vielen Dank für die Ergänzungen.
Columbus wusste natürlich auch von dem Navigatio Sancti Brendani, einen im Mittelalter sehr beliebten und verbreiteten Bericht über eine Seereise, die der Mönch Brendan zwischen 565 und 573 mit vierzehn Gefährten unternommen haben soll.
Jahrelang studierte Columbus alles damalige Kartenmaterial das ihm in die Finger kam. Dadurch wusste er auch von den Passat-Winden, die nach Westen führen sowie von der Westwind-Drift die wieder zurück nach Osten führt. Das sogenannte Atlantik-Karussell. Heutzutage nützt auch der Plastikmüll dieses Karussell.
de.wikipedia.org/wiki/Plastikmüll_in_den_Ozeanen
Und hier ein Brief des florentinischen Gelehrten Paolo dal Toscanelli von 1474.
Dieser Brief war nicht an Columbus gerichtet, aber er bekam ihn zu lesen, lange bevor er die Inseln der Karibik fand.
Obwohl ich weiß, dass es mit einer Kugel in der Hand zu erklären wäre, glaube ich, dass es einfacher ist, eine Karte zu benutzen. Deshalb sende ich euch eine Karte, die ich selbst gezeichnet habe. Auf dieser ist das ganze Gebiet von Irland aus nach Süden bis Guinea eingezeichnet – mit all den Inseln, die in diesem Bereich liegen.
Ihnen gegenüber genau im Westen ist der Anfang der beiden Indien eingezeichnet, mit jenen Inseln und Orten, zu denen ihr gelangen könnt.
Eingezeichnet ist auch, wie viel Raum dazwischen liegt, also nach wie vielen Meilen Ihr jene Orte erreichen könnt, die so reich sind an Gewürzen, Juwelen sowie Edelsteinen.
Stört euch nicht daran, dass ich die Region, in der die Gewürze wachsen, als Westen bezeichne, obwohl sie für gewöhnlich der Osten genannt wird. Denn wer nach Westen segelt, der wird diese Länder immer im Westen finden.
Und wer über den Landweg Richtung Osten geht, der wird ganz genau dieselben Länder im Osten finden.
Columbus hat sich jahrelang mit alle möglichen Schriften beschäftigt, wenn auch gegen seinen Willen, da ihm Königin Isabella I. einfach kein grünes Licht gab. Er las auch alte Geografen wie den Aaraber Alfraganus oder Marinus von Tyros. Ptolemäus und andere. Diese logistische Vorarbeit war auch eine seiner großen Stärken.
@wwalkie
Vielen Dank auch für den Tipp. Die humanistische Bibliothek in Séléstat werde ich bei Gelegenheit aufsuchen.
Ich kann Ihnen nachfühlen, wenn man vor diesen mittelalterlichen Manuskripten steht überkommt auch mich regelmäßig ein wohliger Schauer. Ein seltsames Gemisch aus Ehrfurcht und Bewunderung zugleich.
Kann ganz schön anstrengend sein, da haben Sie schon recht. :)
Hallo bambulie,
ein ebenfalls sehr lesenswertes Buch zu diesem Thema ist Stefan Zweigs "Amerigo. Geschichte eines historischen Irrtums".
@Andreas Kuntz
Danke für den Buchtipp. Stefan Zweig war ein großartiger Schriftsteller.
Die Schachnovelle kenne ich. Unvergesslich in mein Gehirn eingebrannt.