Der Prism-Skandal und Europa

Netzschau Neues vom Überwachungsskandal des US-Geheimdienstes NSA. Eine kommentierte Netzschau der neuesten Artikel aus dem Guardian und der deutschen Presselandschaft

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Die Überwachung des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA übertrifft jegliches legitime Sicherheitsinteresse und behandelt selbst enge europäische Verbündete und Partner wie Feinde wie im Kalten Krieg. Deutschland befindet sich in einer Überwachungskategorie wie China, Irak oder Saudi Arabien: Deutschland als Partner und Angriffsziel zugleich. Wie sehen die europäischen Reaktionen dazu aus?

Der Guardian berichtet ausführlich darüber, wie mehrere EU-Parlamentarier gegen die amerikanischen Überwachungspraktiken wüten: Berlin accuses Washington of cold war tactics over snooping. Darüber hinaus spricht Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, von schwerwiegenden Auswirkungen auf die US-Europäischen Beziehungen: EU demands clarification over US spying claims.

Zu welchen Stellungnahmen ist die Politik nun bereit, wo sie sich sonst eher wohlgesonnen gegenüber ihrem Verbündeten Amerika zeigt? Regierungssprecher Steffen Seibert bezieht hierzu Stellung, während Merkel selber schweigt: NSA-Affäre: Bundesregierung kritisiert US-Spähaktion scharf. Jenseits der politischen Kampfsphäre, wo Aussagen nicht zwingend unter Verdacht eines Wahlkampf-Stimmenfangs fallen würden, hat Bundespräsident Gauck die Chance vertan, klare Stellung zu beziehen, so Michael Spreng im Carta: Gaucks verpasste Chance. Der Spiegel hingegen findet, dass Gauck öffentlich noch einen Schritt weiter geht als Seibert: US-Abhördienst: Gauck fordert Aufklärung des NSA-Spähskandals.

Transatlantisches Freihandelsabkommen gefährdet?

Zudem überschattet der Skandal die nächste Woche beginnenden Verhandlungen zu einem transatlantischen Freihandelsabkommen. Da mutet es geradezu zynisch an, wenn Robert Madelin, britischer Abgeordneter in der Europäischen Kommission, relativierend darauf hinweist, dass die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen immer schon auf der Annahme geführt wurden, dass ohnehin abgehört werde. Hierzu der Guardian: Key US-EU trade pact under threat after more NSA spying allegations.

Wie man richtig spioniert

Im Folgenden ein kleiner Exkurs, welche Methoden angewandt wurden, um ein erfolgreiche Überwachung - darunter auch die diplomatischen Vertretungen von Frankreich, Italien und Griechenland, sowie Japan, Mexiko, Süd Korea, Indien oder die Türkei - durchführen zu können: New NSA leaks show how US is bugging its European allies. Einen genauen Einblick gewähren vier am Wochenende veröffentlichte Folien der NSA durch die Washington Post. netzpolitik.org veranschaulicht einige interne Vorgänge der NSA und zeigt, wie die NSA in Echtzeit überwachen kann: PRISM: neue Folien gewähren tieferen Einblick ins Spionageprogramm.

Die Enthüllung eines weiteren Dokuments zeigt, inwiefern Prism mit neun Unternehmen – Microsoft, Yahoo, Google, Facebook, PalTalk, YouTube, Skype, AOL and Apple – gekoppelt war. Die meisten der Unternehmen weisen die Vorwürfe zurück, sie hätten der NSA direkten Zugang zu ihren Systemen gewährt. Washington Post releases four new slides from NSA's Prism presentation.

Der bedrohte Rechtsstaat

Abschließend noch ein Blick weg von der Problematik, in welchem Ausmaße denn überwacht wird. Wer, trotz des offensichtlich nicht mehr durch Terrorabwehr legitimierbaren Ausmaßes der Überwachung, immer noch meint, wer nichts zu verstecken habe, auch nicht so einen Aufwind mache solle, wenn er im Zuge der Prism-Überwachung erfasst wird, dem sei Anja Seeligers Beitrag empfohlen: Was geht mich das an?

Was bleibt dem Einzelnen zu sagen? Dass derartige "Gefahrenabwehr"maßnahmen in ihrer Summe eine gefährliche Totalität aufweisen und diese Summe lautet: permanenter Ausnahmezustand. Hierzu auch Fachanwalt für IT-Recht, Thomas Stadler, der fürchtet, der Einzelne im Staat werde unter derartigen Bedingungen zum Objekt einer undurchsichtigen Überwachungsmaschinerie: Von der Hinterlist einer lichtscheuen Politik.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Baran Korkmaz

Stipendiat am Bildungswerk Kreuzberg und derzeit Praktikant beim Freitag.

Baran Korkmaz

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